
Ein Jahr nach der Explosionskatastrophe: Lage im Libanon weiter schwierig
Beirut ‐ Im Libanon geht es bergab. Ein Jahr nach der Explosion im Hafen von Beirut steht es schlecht um Hoffnungszeichen für einen Ausweg aus der Krise. Kirchen- und Stiftungsvertreter berichten von Chaos und Not.
Aktualisiert: 17.02.2023
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Dienstag, 4. August 2020, 18.07 Uhr. In Ordnung ist die Welt in Beirut schon lange nicht mehr. Doch die nächsten Sekunden werden das Gesicht des einstigen „Paris des Nahen Ostens“ dramatisch verändern. Eine Explosion wird die Stadt aus den Fugen reißen und mehr als 200 Menschen töten. Ein Jahr später steht die Aufklärung der Katastrophe nach wie vor am Anfang. Das Land trudelt unterdessen ungebremst ins Chaos.
„Die verheerende Explosion im Hafen war symbolisch für alles, das im Libanon falsch gelaufen ist“, sagt der Präsident der Evangelischen Nationalkirche von Beirut, Habib Badr. Seither habe sich die Stadt „nicht wirklich erholt“, so der 70-jährige Pastor gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Libanon und Beirut sind in viele Teile zerbrochen. Sie als funktionierendes Land und Nation wiederaufzubauen, scheint immer weniger wahrscheinlich mit jedem Tag, der vergeht.“
Firas Lutfi teilt Badrs Einschätzung. „Die allgemeine Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag“, sagt der regionalverantwortliche Franziskanerpater. Die Liste der Probleme ist lang: Die Währung hat dramatisch an Wert verloren; immer seltener gibt es Strom. Es fehlt an Trinkwasser, viele Medikamente sind in den Apotheken des Landes nicht mehr erhältlich. Wer tanken will, muss sich auf stundenlange Wartezeiten einstellen.
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„Ernsthafte Schwierigkeiten und Herausforderungen"
Im Volk wachsen Wut und Frustration, sagen Badr und Lutfi. Es drohen „soziale Brüche, die Libanon zu einem unbändigen, gescheiterten Staat machen könnten“, so Badr. Zu all dem hinzu kommen die Corona-Pandemie und eine Auswanderungswelle. Im Libanon habe es eine gut ausgebildete Mittelschicht gegeben, die „gerade verschwindet“, erklärt der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Beirut, Kristof Kleemann. Für viele sei der 4. August der Sargnagel des Libanon gewesen. Das kollektive Trauma sei noch lange nicht aufgearbeitet.
Von Verzweiflung will Badr nicht sprechen, wohl aber von ernsthaften Schwierigkeiten und Herausforderungen. Aber auch von einer Botschaft der Hoffnung und Entschlossenheit: „Selbst, wenn nur noch wenige von uns übrig sind, hoffen wir weiter“, schließlich liege in der Hoffnung das Wesen des christlichen Glaubens. „Wir hoffen auf das Beste, und wir bereiten uns mit Glauben, Mut und Ausdauer auf das Schlimmste vor“.
Inflation erschwert Nothilfe
In ihren Gemeinden haben beide Kirchenmänner alle Hände voll zu tun, den unter der anhaltenden Krise leidenden Menschen zu helfen. Ein Problem: Es wird immer mehr Geld benötigt, um der gleichen Zahl von Menschen helfen zu können. Badr: „Vor fünf Monaten konnte man mit 50.000 Pfund etwas kaufen, heute ist die Summe quasi nichts mehr wert.“
Der Wiederaufbau am Konvent der Franziskaner und an der protestantischen Kirche sind inzwischen weit fortgeschritten. Dies sei auch ein Weg gewesen, „angesichts des Terrors nicht zu kapitulieren und der Gemeinschaft im Viertel Hoffnung zu geben“, sagt Franziskaner Lutfi. Zwar sei die Stadt „von der Normalität noch weit entfernt“, aber „in die am stärksten von der Explosion betroffenen Viertel kehrt das Leben zurück“, bestätigt Kleemann. Zu verdanken sei dies ausschließlich privaten Initiativen.
Bis heute keine Ursachenforschung
Die Katastrophe vom 4. August hat zu Solidarität geführt, auch aus Deutschland. Der libanesische Staat glänzt in alldem durch Abwesenheit. Fehlendes Geld, fehlende Organisationskraft und ein mit Blick auf den Aufbau von Infrastruktur traditionell schwacher Staat macht Kleemann als einen Grund aus. „Jahre der Korruption, aufeinanderfolgende dysfunktionale Regierungen, tief verwurzelte sektiererische Haltungen“ kommen laut Badr hinzu, „verschärft durch die Entwicklungen in den umliegenden Ländern“.
Eine Regierung, die sich der enormen Herausforderung stellen könnte, fehlt bislang. Erst Mitte Juli trat der designierte Regierungschef Saad Hariri nach neun Monaten gescheiterter Versuch einer Regierungsbildung erneut zurück. Dabei, so Kleemann, „bräuchte es dringend eine Regierung, wenn das Land größere internationale Hilfen erhalten möchte“. Zwar gibt es inzwischen mit Nadjib Mikati einen neuen Ministerpräsidenten. Ob der das Land jedoch aus der Krise führen kann, ist bislang nicht abzusehen.
Als symptomatisch für eine „Kultur der Straflosigkeit“, die Beamte im Libanon seit langem genießen, bewertet „Human Rights Watch“ die Tatsache, dass mit einer Aufklärung der Explosion bisher nicht ernsthaft begonnen wurde. Sie ist eine von 53 Organisationen, die Mitte Juni eine unabhängige internationale Untersuchung des UN-Menschenrechtsrats forderten. Die Chancen auf eine innerlibanesische Aufklärung, glaubt Kleemann, sind gering. Es fehle schlicht das politische Interesse.
Von Andrea Krogmann (KNA)
© KNA

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