Libanon wählt erstmals seit 2009 Parlament
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Libanon wählt erstmals seit 2009 Parlament

Libanon ‐ Der Libanon hat die Wahl: Erstmals seit neun Jahren wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt - nach neuem Wahlrecht. Die Ausgangslage ist dabei alles andere als übersichtlich, Prognosen für den Ausgang schwer.

Erstellt: 04.05.2018
Aktualisiert: 17.02.2023
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Der Libanon hat die Wahl: Erstmals seit neun Jahren wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt - nach neuem Wahlrecht. Die Ausgangslage ist dabei alles andere als übersichtlich, Prognosen für den Ausgang sind schwer.

Stillstand ist der Begriff, der die libanesische Politik seit Jahren prägt. Der Zusammenbruch der Regierung, mehrfach verlängerte Legislaturperioden des Parlaments, Vakanz des Präsidentenamtes, verschobene Wahlen und ein Streit um das Wahlrecht brachten zur außenpolitischen Herausforderung durch den Bürgerkrieg in Syrien innenpolitische Instabilität. Mit der für Sonntag angesetzten Parlamentswahl – der ersten seit 2009 – könnte das Land nun einen weiteren Schritt aus der innenpolitischen Lähmung machen.

Den Anfang auf dem Weg zurück in eine politische Normalität machte im Oktober 2016 die Wahl von Michel Aoun zum Präsidenten, die nach hartem Ringen die 29-monatige Vakanz beendete. Die Kabinettsbildung im Dezember 2016 ermöglichte im Juni darauf eine Einigung im jahrzehntelangen Streit um die Reform des Wahlrechts von 1960.

Während nicht zuletzt christliche Kräfte durch das alte Mehrheitswahlrecht eine faire Vertretung der Christen und damit das konfessionelle Zusammenleben gefährdet sahen, kommt das neue Verhältniswahlrecht ihren Anliegen entgegen. Auch eine der zentralen Forderungen der maronitischen Kirche wurde erfüllt: Erstmals haben in dieser Wahl auch im Ausland lebende Libanesen eine Stimme. Ende April durften rund 82.000 registrierte Wähler in 39 Ländern votieren.

Im Vorfeld mahnten Stimmen vor unlauteren Methoden. Stimmenkauf und Einschüchterung von Kandidaten untergrüben die Demokratie und die Wahlfreiheit, warnten etwa die maronitischen Bischöfe. Die Tage um die Wahl erklärte die Regierung zu Feiertagen. Der private Fahrdienst Uber versprach für mehrere Städte Gutscheine für Freifahrten zu Wahlbüros. Eine hohe Wahlbeteiligung sei entscheidend, betonte zuletzt Parlamentssprecher Nabih Berri laut der staatlichen Nachrichtenagentur „NNA“. Die Wahlen müssten zum „echten Referendum“ werden, das beweise, dass Patriotismus weder ein Slogan sei noch zur Verhandlung stehe.

Die Herausforderungen für das Land sind groß. Die Wirtschaft ist angeschlagen, Korruption, Stromausfälle und die Abfallkrise machen seit langem Schlagzeilen. Während die Sicherheitslage sich entspannt hat, belasten mehr als eine Million syrische Flüchtlinge die Infrastruktur und das gesellschaftliche Klima. Scharfer Populismus gegen die Flüchtlinge prägte den Wahlkampf.

Einheitliche Prognosen zum Ausgang gibt es nicht angesichts des Wahlrechts mit einem den meisten Systemen unbekannten Vorzugsstimmrecht. Die politischen Akteure sind seit der Zeit des Bürgerkriegs die gleichen, unabhängige Kandidaten drohen an der Zehn-Prozent-Hürde zu scheitern. Dagegen bringt das Verhältniswahlrecht die seit 2005 etablierten Allianzen des prowestlich-antisyrischen Parteienbündnisses „14. März“ unter sunnitischer Führung und ihres antiwestlich-prosyrischen Pendants „8. März“ schiitischer Dominanz unter Druck.

Am Sonntag kämpfen fast 1.000 Kandidaten, so viele wie nie zuvor, in 15 statt bisher 26 Wahlbezirken um die Gunst der 3,6 Millionen registrierten Wähler. Nach wie vor ist die Religionszugehörigkeit der Schlüssel zur Aufteilung der Macht, sind die Sitzverteilung im Parlament und die Vergabe der höchsten Ämter nach Konfession in der Verfassung festgeschrieben. Der Staatspräsident ist ein maronitischer Christ, der Ministerpräsident ein Sunnit und Parlamentspräsident ein Schiit.

Der Wahlausgang wird zeigen, ob es mit der Reform gelungen ist, die politische und konfessionelle Zerrissenheit des Landes zu überwinden, die auch die Christen spaltet. Abgeschlossen ist der Prozess damit noch nicht. Die maronitischen Bischöfe mahnten eine rasche Regierungsbildung an, auch, damit das Land seinen Verpflichtungen nachkommen könne und damit die benötigte internationale Unterstützung erhalte.

Im sensiblen konfessionellen Gefüge des Libanon spielen die Maroniten als stärkste Christengruppe eine respektable politische Rolle. Die seit Jahren von deren Führung wiederholten Forderungen nach nationaler Einheit und raschem Ausweg aus der politischen Krise verhallten jedoch in der Vergangenheit nur zu oft ungehört.