Lateinischer Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa
„Wir kennen hier Kriege, aber einen solchen bislang nicht“

Jerusalemer Kardinal vermisst die Stimme religiöser Führer

Fulda  ‐ Die katholischen Bischöfe beraten bei ihrer Herbstversammlung über den Nahostkonflikt. Der Jerusalemer Kardinal Pizzaballa sieht derzeit kaum Signale für Frieden. Und ein deutscher Bischof geht Israel scharf an.

Erstellt: 25.09.2024
Aktualisiert: 25.09.2024
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Von Bernward Loheide (KNA)

Der katholische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, vermisst im Nahostkonflikt Initiativen der Religionen vor Ort. Bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda sagte der Kardinal am Mittwoch: „Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben wir in den letzten Monaten keine Reden, Überlegungen oder Gebete von religiösen Führern gehört, die sich von denen anderer politischer oder gesellschaftlicher Führer unterscheiden.“ Er habe den Eindruck, jeder von ihnen spreche nur aus der Perspektive seiner eigenen Gemeinschaft, die oft gegen die jeweils andere Seite gerichtet sei.

Kardinal Pizzaballa rief zu einer sorgfältigeren Sprache auf: „Eine mit Gewalt, Aggressionen, Hass und Verachtung, Ablehnung und Ausschließung beladene Sprache spielt in diesem Krieg keine Nebenrolle, sondern ist eines der Hauptwerkzeuge in diesem und allzu vielen anderen Kriegen.“

Auch in sozialen Medien werde vielfach Hass geschürt, sagte der gebürtige Italiener. Formulierungen, die die Menschlichkeit der Mitmenschen verneinten, seien eine Form der Gewalt, die weitere Gewalt ermögliche. „Dabei handelt es sich um Formulierungen, die möglicherweise noch mehr verletzen als Massaker und Bomben.“

Pizzaballa zeigte sich skeptisch hinsichtlich der Verhandlungen für eine Freilassung von Geiseln, die die Hamas genommen hatte: „Die Anzeichen für eine erfolgreiche Beendigung der Verhandlungen sind sehr schwach.“ Ein Ende des Konflikts sei nicht in Sicht.

Nach Ansicht des Jerusalemer Kardinals können die Angriffe der israelischen Armee auf Stellungen der Hisbollah im Libanon den Konflikt nicht lösen, sondern nur verschärfen: „Gewalt ist keine Lösung.“ Stattdessen seien kreative politische Lösungen gefragt. Eine Ein-Staaten-Lösung mit Israelis und Palästinensern halte er allerdings nicht für machbar.

Der Vorsitzende der bischöflichen Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten, der Paderborner Erzbischof Udo Bentz, sagte: „Auch wenn ein Ende des Krieges noch lange keinen Frieden bedeutet, ist es das Gebot der Stunde, die Waffen niederzulegen und Deeskalation, Verhandlung und Dialog Raum zu geben. Andernfalls geht das Blutbad immer weiter, und die Spirale der Gewalt dreht sich noch schneller.“ Das Eintreten für die Sicherheit Israels diene auch den Palästinensern. Umgekehrt diene auch das Eintreten für die Rechte der Palästinenser der Sicherheit Israels.

Eindringlich kritisierte der Erzbischof die humanitäre Lage im Gazastreifen. Dort hungerten Hunderttausende Menschen, mehr als 85 Prozent der Bevölkerung seien auf der Flucht. „Die Bedingungen sind katastrophal. Es fehlt vor allem an Trinkwasser, Lebensmitteln und Medikamenten.“

Bentz appelliert an die Bürger in Deutschland, mit Spendengeldern die schwierige Arbeit der Hilfsorganisationen in Gaza weiter zu unterstützen. Kirchliche Organisationen wie Caritas international und Malteser blieben aktiv, erhielten derzeit aber nur wenige Spendenmittel. An die Bundesregierung appellierte er: „Der Druck auf die israelische Regierung muss erhöht werden, damit die Menschen im Gazastreifen vollen Zugang zu den Hilfsgütern und zu medizinischer Versorgung erhalten.“

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