Kardinal Pierbattista Pizzaballa (3.v.l.), Lateinischer Patriarch von Jerusalem; und Theophilos III. (r.), griechisch-orthodoxer Patriarch von Jerusalem (Israel)
„Nachts terrorisiert und tagsüber belagert“

Kirchenführer und Diplomaten besuchen attackiertes Palästinenserdorf

Taibeh  ‐ In Taibeh sprechen sie von einer „systematischen Auslöschung der christlichen Präsenz an ihrer Wiege“. Zweimal wurde es vergangene Woche angegriffen. Radikale Siedler setzten in der Nähe von Wohnhäusern Felder in Brand.

Erstellt: 14.07.2025
Aktualisiert: 14.07.2025
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Von Andrea Krogmann (KNA)

Taibeh und seine Christen dürfen nicht der Gewalt extremistischer jüdischer Siedler zum Opfer fallen – mit diesem Aufruf versammelten sich am Montag Kirchenführer von sechs christlichen Konfessionen, Diplomaten aus 20 Ländern und lokaler Klerus im letzten rein christlichen Dorf des von Israel besetzten Westjordanlandes. Jordaniens König Abdallah II. ließ eine Solidaritätsbotschaft verlesen. Man wollte Problembewusstsein schaffen, Einheit demonstrieren, gemeinsam beten und die Welt zum Handeln auffordern. „Selbst in Kriegszeiten müssen Heilige Stätten geschützt werden“, so die Kirchenführer.

Der Lateinische und der griechisch-orthodoxe Patriarch, Kardinal Pierbattista Pizzaballa und Theophilos III., armenische, melkitische, lutherische Bischöfe und Erzbischöfe sowie Vertreter der Anglikaner und der Kustodie des Franziskanerordens waren gekommen, um sich vor Ort ein Bild zu machen.

Zweimal war Taibeh allein vergangene Woche angegriffen worden. Radikale Siedler setzten in der Nähe von Wohnhäusern, des Friedhofs und der historischen Georgskirche Felder in Brand. Sie konnten gelöscht werden, bevor größerer Schaden entstand. Aber die Menschen vor Ort fürchten, dass die eskalierende Gewalt der Sargnagel für die Christen im Heiligen Land werden könnte. Taibeh sei „zur letzten Verteidigungslinie für eine lebendige christliche Präsenz im Land Jesu geworden“, sagte der lateinische Pfarrer des 1.300-Einwohner-Dorfes, Baschar Fawadleh, vor den Besuchern; eine Präsenz, die durch direkte Verfolgung und „einen stillen Aderlass“ gefährdet sei.

Rund 50.000 Christen gebe es noch in Palästina, erklärte Patriarch Pizzaballa. „Die Versuchung auszuwandern ist angesichts der Lage groß“, meint er; auch weil im Vergleich zu früheren Konflikten ein Ende nicht absehbar sei. Und zwar nicht nur in Taibeh: Allein aus dem christlichen Dreieck Bethlehem, Beit Dschallah und Beit Sahour sind laut dem italienischen Ordensmann in den vergangenen zwei Jahren 100 Familien gegangen.

Weder Passant noch Migrant

Pfarrer Fawadleh gibt sich kämpferisch. In unerschütterlichem Glauben wolle man bleiben, weil man weder Passant sei, Migrant noch anderweitig fremd – sondern „das Volk, das Olivenbäume in Gebete, das Land in einen Altar und Standhaftigkeit in ein Evangelium verwandelt hat“. Wenn aber Sicherheit verwehrt, Heilige Stätten verbrannt und durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit jede Hoffnung auf ein würdiges Leben genommen würden, könnte das Dorf „zu einem steinernen Zeugen einer Präsenz werden, die einmal war - nicht eines Lebens, das noch ist“.

Die Kirchenoberhäupter Jerusalems stellten sich an die Seite der bedrängten Dorfbewohner und erklärten, es sei „der größte Akt der Tapferkeit“, Taibeh weiter als Heimat zu bezeichnen, nachdem „die systematischen und gezielten Angriffe“ gegen Christen zugenommen hätten. Sie geben Israels Regierung und den Sicherheitsbehörden eine Mitschuld an der Eskalation. Sie seien es, die „diesen Radikalen“ ihr Tun in Taibeh „erleichtern und ermöglichen“, während Notrufe der Gemeinde unbeantwortet verhallten.

In Taibeh sprechen sie von einer „systematischen Auslöschung der christlichen Präsenz an ihrer Wiege“. Die Bürger würden „nachts terrorisiert und tagsüber belagert“, sagt Pfarrer Fawadleh. Gleichzeitig reihe sich das Dorf in das ein, was palästinensische Orte im ganzen Westjordanland aushalten müssten: Belagerung, Abriegelung, Landnahme, Hauszerstörung und Gewalt bis zum Tod.

Ende Juni wurden drei Palästinenser in Kufr Malik getötet, mutmaßlich durch jüdische Siedler. Erst am Samstag traf es zwei junge Männer, einer von ihnen palästinensisch-US-amerikanischer Doppelbürger in Al-Mazraa al-Scharkija. Beide Orte liegen Luftlinie keine vier Kilometer von Taibeh entfernt.

Patriarch Pizzaballa: Zum Recht zurückkehren

Die Schwere des täglichen Siedlerterrors und ihre systematischen Angriffe auf Dutzende Dörfer, Städte und Lager in den besetzten Gebieten erforderten eine sofortige entschlossene internationale Haltung, forderte König Abdallah II. in seiner von Patriarch Theophilos II. verlesenen Botschaft. Die Gewalt müsse ein Ende haben, ebenso der „anhaltende Völkermord“ im Gazastreifen.

Was man in Taibeh und überhaupt für die christliche Minderheit im Land fordere, seien keine Privilegien, hieß es bei dem Solidaritätstreffen wiederholt. Wahrheit und Gerechtigkeit müssten durchgesetzt werden, so Pfarrer Fawadleh. Es brauche eine Rückkehr zum Recht und dessen Umsetzung, so Pizzaballa.

Die konkreten Forderungen: ein Ende der Angriffe, eine Strafverfolgung der Täter, ein Rückbau der illegalen Siedlungsposten auf palästinensischem Land, garantierter Zugang zu den Ländereien der Dorfbewohner und Schutz der Bauern bei der Arbeit. Fawadleh richtete noch einen weiteren Appell an die Schutzmächte des Heiligen Landes. Das Dorf solle aufgrund seines einzigartigen Charakters in internationale Schutzprogramme für religiöses und lokales Kulturerbe aufgenommen und seine Bewohner durch direkte und nachhaltige humanitäre und Entwicklungshilfe in ihrer Widerstandsfähigkeit gestärkt werden.

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