
Bischof Wilmer: Bewährten Organisationen der internationalen Katastrophenhilfe Zugang zu Gaza gewähren
Bonn ‐ Krieg, Klimaschutz, Kontrollen an Grenzen: Bei etlichen schwerwiegenden Themen steht die aktuelle Politik der EU oder einzelner Mitgliedstaaten in Spannung zur katholischen Lehre. Europa-Bischof Heiner Wilmer bezieht Position.
Aktualisiert: 07.07.2025
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Der Hildesheimer katholische Bischof Heiner Wilmer ist in der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für Europafragen. Als deutscher Delegierter bei der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) hielt er sich Anfang Juli zu politischen Gesprächen in Brüssel auf. Im Interview äußert er sich zu aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Fragen.
Frage: Bischof Wilmer, die EU steht weiter hinter Israel, stellt aber auch das Assoziierungsabkommen auf den Prüfstand. Die internationale Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen wächst. Welche Kriterien muss aus Ihrer Sicht als Bischof die EU in ihrem Kurs gegenüber Israel und dem Gaza-Konflikt einhalten?
Bischof Heiner Wilmer: Hier erinnere ich an die Aussagen des Heiligen Vaters: Die „tragische und unmenschliche Situation in Gaza“ hat Papst Leo XIV. bei einer Audienz am 26. Juni 2025 kritisiert. Der Europäische Rat hat am gleichen Tag in seinen Schlussfolgerungen „eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen und die bedingungslose Freilassung aller Geiseln als Schritte hin zu einem dauerhaften Ende der Feindseligkeiten“ gefordert sowie „die verheerende humanitäre Lage im Gazastreifen, die inakzeptable Zahl ziviler Opfer und das Ausmaß der Hungerkatastrophe“ beklagt.
Die Kritik sowohl des Papstes als auch des Europäischen Rats teile ich. Daraus folgt: Die EU sollte in ihrem Kurs bezüglich des Konflikts im Heiligen Land erstens auf die schnellstmögliche Beendigung menschlichen Leids dringen; die Kriterien dafür gibt das humanitäre Völkerrecht vor. Und zweitens sollte die EU alles in ihrer Macht Stehende tun, um einen dauerhaften und gerechten Frieden in der Region zu fördern.
Frage: Die umstrittene Gaza Humanitarian Foundation (GHF) wirbt in der EU um Unterstützung. Etablierte und erfahrene Hilfswerke – auch solche in kirchlicher Partnerschaft – klagen weiter, in der humanitären Arbeit behindert zu werden. Was ist Ihre Position?
Wilmer: Der Versuch, die humanitäre Hilfe in den Händen der Gaza Humanitarian Foundation zu monopolisieren, ist erkennbar gescheitert. Israel ist jetzt aufgefordert, den bewährten Organisationen der internationalen Katastrophenhilfe uneingeschränkten Zugang zu gewähren, damit die Bewohner von Gaza die notwendige Unterstützung erhalten. Dies ist, wie eben bereits angedeutet, durch die Prinzipien des humanitären Völkerrechts gefordert.
„Israel ist jetzt aufgefordert, den bewährten Organisationen der internationalen Katastrophenhilfe uneingeschränkten Zugang zu gewähren, damit die Bewohner von Gaza die notwendige Unterstützung erhalten.“
Frage: Die EU hat ihre Klimaziele 2040 verabschiedet – und „Flexibilität“ als einen zentralen Punkt in ihren Vorschlag eingebaut. Wirtschaftsverbände und die EVP loben das, während andere Parteien sowie Umwelt- und Entwicklungsorganisationen – auch katholische – bloße Zahlenschiebereien ohne ausreichende Wirkung für die Emissionsminderung befürchten. Wenn's Spitz auf Knopf geht: Was hat für Sie Vorrang – Wettbewerbsfähigkeit oder Klimaschutz? Würden Sie Bürgern und Unternehmen einen Verzicht um der Umwelt willen zumuten? Und wenn ja: In welchen Bereich wären Einbußen hinzunehmen?
Wilmer: Beide Ziele haben ihre Berechtigung. Aber schließen sie einander aus? Kann ökologische Verantwortung nicht ein Wettbewerbsvorteil sein? Schließlich ist der Schutz von Klima und Umwelt eine generationenübergreifende und weltweite Aufgabe. Ich sehe die Notwendigkeit, dass die europäische Wirtschaft gleichzeitig wettbewerbsfähig ist und der Schöpfung verpflichtet. Wichtig ist, dass beide Ziele sozial und gerecht ausgestaltet sind. Keines der Ziele ist ohne das andere denkbar. Das geht mit der Einsicht einher, dass eine gerechte sozial-ökologische Transformation an manchen Stellen auch einen gewissen Verzicht in unserer Gesellschaft erfordert.
Frage: Verteidigungsfähigkeit ist ein strategisches Ziel der EU geworden, massive Ausgaben werden in den Bereich Rüstung umgelenkt. Ist das aus katholisch-ethischer Sicht gerechtfertigt?
Wilmer: Dazu hat sich die COMECE erst kürzlich geäußert. In der Erklärung, die wir Bischöfe der COMECE während der Frühjahrsvollversammlung 2025 verabschiedet haben, unterstreichen wir die Notwendigkeit einer starken EU, die in diesen unsicheren Zeiten nicht nur ihre Bürger schützen, sondern auch die Werte verteidigen kann, für die sie in Europa und in der ganzen Welt eintritt.
Seit ihren Ursprüngen ist die EU ein Projekt des Friedens. Notwendige, verhältnismäßige und angemessene Investitionen in die europäische Verteidigung dürfen daher nicht auf Kosten der Bemühungen um die Förderung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung und der Bewahrung der Schöpfung gehen. Zu einer umfassenden Sicherheits- und Friedenspolitik gehört ganz sicher mehr als Waffen. Gerade die Diplomatie ist ein Schlüssel.
„Die Kirche sollte immer Brücken bauen, untereinander genauso wie in Politik und Gesellschaft.“
Frage: Fünf EU Staaten wollen aus dem völkerrechtlichen Abkommen gegen Antipersonenminen aussteigen. Wie ist Ihre Position dazu?
Wilmer: Antipersonenminen können nicht zwischen legitimen militärischen Zielen und unbeteiligten Zivilisten unterscheiden. Außerdem verursachen sie noch Jahre und Jahrzehnte nach der Beendigung von Konflikten unsagbares Leid. Papst Franziskus hat sich daher am 1. März 2024 nochmals explizit gegen derartige Waffen ausgesprochen. Es ist richtig und ich will nicht relativieren, dass wir uns in einer veränderten Sicherheitslage befinden. Der Weg zu einem Frieden in Freiheit und Gerechtigkeit darf aber nicht von einem Comeback international geächteter Waffen begleitet werden.
Frage: Die EU ist politisch mittlerweile ziemlich geteilt - was etwa Fragen der Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Solidarität angeht. Welche Spannungen nehmen Sie innerhalb der COMECE wahr?
Wilmer: Ich erlebe die COMECE als eine Institution des offenen und respektvollen Austauschs auf der Grundlage unseres gemeinsamen Glaubens. Selbstverständlich müssen wir die Faktoren berücksichtigen, die von Land zu Land unterschiedlich sein können. Ich bin aber überzeugt, dass wir Bischöfe der COMECE richtig handeln, wenn wir geeint das europäische Projekt unterstützen.
Die Kirche sollte immer Brücken bauen, untereinander genauso wie in Politik und Gesellschaft. Die Vollversammlung der COMECE hat vor der Europawahl 2024 klar gesagt, dass unsere Idee von Europa auf Werten beruht. Dazu gehören die Achtung und Förderung der Würde jedes Menschen, Demokratie und Freiheit, Solidarität, Subsidiarität, die Sorge für unser „gemeinsames Haus“ und die Sorge für ein gemeinsames Europa.
Frage: Neuerdings finden innerhalb Europas mehr Grenzkontrollen statt. Was sagen Sie Urlaubern, die auf dem Weg in ihr Ferienziel auf einmal am Zoll Schlange stehen müssen?
Wilmer: Ich beobachte mit einer gewissen Sorge, dass immer mehr Staaten des Schengenraumes vorübergehende Grenzkontrollen einführen. Denn der freie Personenverkehr gehört zum europäischen Projekt. Aber es ist natürlich auch richtig, dass ein freier Schengenraum und ein faires europäisches Asylsystem in einem engen Zusammenhang stehen.
Dazu nur so viel: Der menschenwürdige Umgang mit allen Personen, die eine europäische Grenze erreichen, ist für uns als Kirche von großer Bedeutung. In meinen Gesprächen hier in Brüssel habe ich nochmals eingebracht, dass wir als Kirche vor allem den besonderen Schutz vulnerabler Gruppen im Blick haben.

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