Der Politiker Robert Schuman. (Aufnahmedatum und Aufnahmeort unbekannt)
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Robert Schuman und die Vision von Kohle und Stahl als Friedensinstrument

75 Jahre „Montanunion“ zwischen Frankreich und Deutschland

Paris  ‐ Robert Schuman hatte einen Plan: Die zentralen Stoffe der Rüstungsindustrie sollten von den Erbfeinden Frankreich und Deutschland gemeinsam verwaltet werden. Es wurde eines der größten politischen Projekte unserer Zeit.

Erstellt: 17.04.2025
Aktualisiert: 11.04.2025
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Die Europäische Union tut sich immer noch schwer, politisch mehr zu agieren als eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft. Bei vielen Europäern schwindet das Bewusstsein dafür, dass die Existenz der heutigen EU vor allem auf die Visionen und das hartnäckige Engagement christlich geprägter Politiker zurückgeht. Ein Kernstück des europäischen Zusammenwachsens war vor 75 Jahren die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), landläufig „Montanunion“ genannt.

Im Mai 1950 wurde in Paris der sogenannte Schuman-Plan vorgestellt. Der damalige französische Außenminister Robert Schuman (1886-1963) sah darin eine „Montanunion“ zwischen Frankreich und Deutschland vor, also eine gemeinschaftliche behördliche Aufsicht über die Stahl- und Kohleproduktion beider Länder. Die gemeinsame Bewirtschaftung der zentralen Stoffe der Rüstungsindustrie durch die einstigen Erbfeinde war für ihn im Kern aktive Friedenspolitik.

Die Gründerstaaten des letztlichen EGKS-Vertrages waren Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Die Organisation wurde am 18. April 1951, vor 75 Jahren, durch den Vertrag von Paris gegründet und trat am 23. Juli 1952 in Kraft. Dieses Instrument, das auch für einen Beitritt anderer Länder offen stand, wurde zur Keimzelle der europäischen Einigung, die heute weit über den einst Eisernen Vorhang ausgreift.

Die Mitgliedstaaten erhielten zollfrei Zugang zu Kohle und Stahl. Eine Folge war, dass die entsprechenden Industriestätten im Ruhrgebiet nicht weiter als Kriegsreparationen demontiert, sondern modernisiert und so zu einem Konjunkturmotor für das nachkriegsdeutsche „Wirtschaftswunder“ wurden.

Das Europäische Parlament hat Schuman, seinem ersten Präsidenten (1958-1960), später den Ehrentitel „Vater Europas“ verliehen. Und Schuman war buchstäblich ein geborener Europäer: Seine Heimat lag auf der Grenze zwischen Luxemburg und Lothringen, das 1871 an das Deutsche Reich fiel. Im Ersten Weltkrieg diente Schuman noch als Reservist im deutschen Heer. Nach der Abtrennung Elsass-Lothringens jedoch wurde der Grenzgänger, der sich in Metz als Rechtsanwalt niedergelassen hatte, Franzose und schon 1919 Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung.

Nach dem frühen Tod seiner Eltern hatte Schuman eigentlich Priester werden wollen. Doch Freunde überzeugten ihn, dass die Welt tüchtige Laien brauche und dass die Heiligen des 20. Jahrhunderts Straßenanzüge trügen. So schlug der umfassend Begabte eine Karriere als Jurist und aktiver Laienkatholik ein.

Bereits in den 1920er Jahren knüpfte Schuman mit christlich-demokratischen Politikern aus ganz Europa, etwa Konrad Adenauer und dem Italiener Alcide de Gasperi, ein dichtes Netz von Kontakten. Diese Beziehungen sollten nach 1945 Früchte tragen.

Doch zunächst geriet Schuman als Unterstaatssekretär für das Flüchtlingswesen in Gegensatz zur Vichy-Regierung Marschall Petains; im Herbst 1940 wurde er als erster prominenter französischer Politiker verhaftet. Nach seiner Flucht aus Gestapo-Haft im August 1942 versteckte er sich bei Benediktinern, mit denen ihn eine enge Freundschaft verband. Er arbeitete fortan im Widerstand; 1945 gründete er die Christlich-Demokratische Partei.

Zwischen 1947 und 1953 gehörte Schuman allen schnell wechselnden französischen Regierungen an - zunächst als Finanzminister, dann als Ministerpräsident und Außenminister. Gegen die Anfeindung der Gaullisten betrieb er mit Energie seine Idee einer deutsch-französischen Annäherung und einer europäischen Einigung. Die Stadt Aachen verlieh ihm dafür 1958 den Karlspreis. Über den „Schuman-Plan“ hinaus gehende Elemente der Integration, etwa eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft, scheiterten zunächst an nationalen Widerständen.

In mehreren Funktionen verfolgte Schuman noch weiter das Werden „seines“ Europa. Auch die Straßburger Konvention für die Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 gilt als sein Werk. Im Winter 1961 erlitt der Junggeselle bei einem Abendspaziergang einen Herzinfarkt. Eine ganze Nacht blieb er hilflos in Eiseskälte liegen - und erholte sich nie mehr ganz. Am 4. September 1963 starb er, 77-jährig, in seinem Landhaus in Scy-Chazelles bei Metz.

Ein „ewiges Vorbild für alle Verantwortlichen am Aufbau Europas“ nannte Papst Johannes Paul II. (1978-2005) Schuman 1988 vor dem Straßburger Europaparlament. Der Seligsprechungsprozess für den überzeugenden Christen, der auch als Regierungschef täglich die Messe besuchte, läuft seit 1990. Vor dessen Abschluss braucht es unter anderem noch ein Wunder. Man könnte meinen, das Verdienst, die Vision eines geeinten Europa aus Zeiten des „totalen Krieges“ in politische Realität umgesetzt zu haben, sei eigentlich schon Wunder genug.

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