Erfolg im 13. Anlauf
Rom/Beirut ‐ Der neue libanesische Präsident steht vor enormen Aufgaben: Das Land ist nach jahrelanger Krise und dem Krieg mit Israel in einem schlimmen Zustand. Trotzdem heißt es erstmal Aufatmen: Es hat wieder eine Regierung.
Aktualisiert: 09.01.2025
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Im kriegs- und krisengeschüttelten Libanon ist die 26-monatige Vakanz an der Staatsspitze beendet. Am Donnerstag wählte das Parlament in Beirut den libanesischen Generalstabschef Joseph Aoun (60) mit 99 von 128 Stimmen zum neuen Staatspräsidenten. Seit dem Rücktritt von Michel Aoun – mit dem das neue Staatsoberhaupt nicht verwandt ist – war der Staat nur eingeschränkt handlungsfähig, die Regierung konnte die Amtsgeschäfte nur provisorisch wahrnehmen. Auf den neuen Präsidenten, laut Verfassung ein maronitischer Christ, warten enorme Aufgaben wie die Umsetzung des Waffenstillstands mit Israel und der Wiederaufbau des Landes - nach den Zerstörungen von 14 Monaten Krieg und sechs Jahren Wirtschafts- und Finanzkrise.
Zwölf Mal waren die 128 Parlamentarier in dem von konfessionellen und politischen Spannungen zerrissenen Land seit Oktober 2022 ergebnislos zusammengetreten. Die Versuche scheiterten maßgeblich an den Spannungen zwischen der politisch und militärisch mächtigen Hisbollah-Miliz und ihren Gegnern, die ihre bevorzugten Kandidaten durchsetzen wollten.
Nachdem die schiitische Hisbollah infolge der israelischen Angriffe auf ihre Leitungskader und ihre Kommandostrukturen sowie der Kappung ihrer Nachschubwege aus ihrer Schutzmacht Iran über Syrien geschwächt war, schienen die Karten neu gemischt. Zudem hatte in der libanesischen Öffentlichkeit nach den langen Kämpfen und den israelischen Luftangriffen auf Beirut die Sympathie mit der Hisbollah deutlich nachgelassen. Am Donnerstag votierten die Hisbollah wie die ebenfalls schiitische Amal-Bewegung im zweiten Wahlgang für Aoun.
Joseph Aoun, der am 10. Januar den 61. Geburtstag begeht, wird in libanesischen Medien und von Analysten als „persönlich integer“ bezeichnet, gilt aber als politischer Neuling. Geboren wurde der General mit dem kahlen Kopf in Sin el-Fin, einem nördlichen Vorort Beiruts. Der maronitische Christ ist verheiratet, hat zwei Kinder und spricht Arabisch, Französisch und Englisch. Mit 19 Jahren trat er der Armee bei, erhielt seine Ausbildung in den USA und in Syrien und ist seit 2017 Oberbefehlshaber der libanesischen Streitkräfte. Joseph Aoun ist bereits der fünfte Armeekommandeur des Libanons, der Präsident wird.
Der Präsident, der laut lokalen Medien sowohl die USA wie auch Saudi-Arabien hinter sich hat, muss den seit 27. November im Südlibanon geltenden brüchigen Waffenstillstand mit Israel stabilisieren. Von dort aus hatte die Hisbollah seit dem 7. Oktober 2023 zur Unterstützung der Hamas den Norden Israels beschossen. Die folgenden Kämpfe, der israelische Einmarsch im Südlibanon und die Zurückdrängung der Hisbollah-Milizen sorgten für Fluchtbewegungen auf beiden Seiten der Grenze.
Kann Aoun das Land wieder aufbauen?
Der Waffenstillstand sieht einen Rückzug der Israelis bis zum 26. Januar sowie ein Vorrücken der libanesischen Armee in das Grenzgebiet ab dem Litani-Fluss vor. Laut US-Vermittler Amos Hochstein will sich Israel in drei Etappen binnen 15 Tagen hinter seine Grenzen zurückziehen, melden jetzt libanesische Medien – will aber drei strategisch wichtige unbebaute Hügel entlang der Grenze behalten.
Auf seine politische Prioritätenliste setzte der bisherige Armeechef auch den Schutz von Freiheitsrechten und der Umwelt sowie die Investition in Bildung. Dabei werde er keine der verschiedenen libanesischen Gemeinschaften gegenüber einer anderen bevorzugen. Ferner versprach Aoun eine Weiterentwicklung des libanesischen Wahlgesetzes, das seit vielen Jahren in der Kritik steht. Damit solle eine bessere Repräsentativität erreicht sowie die Machtrotation sichergestellt werden, so Aoun.
Weiter kommen auf den neuen Präsidenten enorme Wiederaufbauarbeiten zu. In den jüngsten Kämpfen im Libanon wurden nach öffentlichen Angaben 150.000 Häuser beschädigt, davon 50.000 komplett zerstört. Der direkte Schaden soll sich auf sechs Milliarden US-Dollar belaufen – und das in einem Land, das seit sechs Jahren in einer verheerenden Wirtschafts- und Finanzkrise steckt. Sie hat die Währung des Landes ruiniert und die Ersparnisse vieler Libanesen vernichtet; das klamme staatliche Elektrizitätsunternehmen stellt immer wieder den Strom ab.
Der neue Präsident muss das verlorene nationale und internationale Vertrauen wiederherstellen und das Land aus der aktuell schwierigen Lage herausführen. Auch der maronitische Christenführer Kardinal Bechara Rai hatte in den vergangenen Monaten immer wieder zur Wahl eines Präsidenten aufgerufen, „der internes und externes Vertrauen genießt, der an Institutionen glaubt, der die Wirtschaft vorantreibt und zerstörte Häuser insbesondere im Südlibanon wiederaufbaut“. Zudem müsse er „dringende Strukturreformen anstreben und die Einheit zwischen den Bürgern festigen“, hatte der Patriarch mit Blick auf diesen 9. Januar gemahnt. Dann könnte die Wahl die Chance sein, den Libanesen endlich wieder „Hoffnung auf ihre Zukunft“ zu geben.