
Wie eine Libanesin durch Krieg und Flucht zur Christin wurde
Sour ‐ Für die Menschen im Südlibanon hat der Krieg viel verändert. Und für die Libanesin Rita sogar ihre Religionszugehörigkeit: Sie ist Christin geworden – und findet darin Ruhe und Vertrauen.
Aktualisiert: 12.06.2025
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Hätte es den Krieg im Libanon nicht gegeben, säße Rita an diesem Sonntag im Mai nicht in der Kirche. Doch nun steht sie zwischen dunklen Holzbänken, faltet die Hände zum Gebet, steht auf und setzt sich im Einklang mit der Liturgie. Manchmal wirkt sie dabei noch etwas unsicher. Und während die meisten Gläubigen jeden Satz mitsprechen, bleibt sie immer wieder stumm. Sie habe Frieden gesucht, in dieser Zeit des Krieges, sagt sie nach dem Gottesdienst – und ihn im christlichen Glauben gefunden.
Vor einigen Tagen, erzählt Priester Toufic Bou Merhi, habe sich die aus einer sunnitisch-muslimischen Familie stammende Rita taufen lassen. Damit ist sie Mitglied der katholischen Kirche im Libanon geworden. Und Teil der Gemeinde der Kirche St. Antonius in Sour, der südlichsten Großstadt des Landes, etwa dreißig Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt. Der Geistliche freut sich über den Zuwachs seiner Gemeinde: Über die ganz Frischen – neben Rita hat sich auch ihre Schwester taufen lassen. Und über die Rückkehrer, die Sour während des Krieges mit Israel verlassen mussten.
An diesem Sonntag ist die kleine Kirche gut gefüllt, nur in den hintersten Reihen bleiben die Plätze frei. Das war im vergangenen halben Jahr nicht immer so: Denn am 23. September 2024 wurde aus den Scharmützeln, die sich die israelische Armee und die Schiitenmiliz Hisbollah vor allem im Süden des Libanon bereits fast ein Jahr lang geliefert hatten, ein ausgewachsener Krieg. Damit begann die Flucht der Menschen aus der Region – auch aus Toufic Bou Merhis Gemeinde.
Fast alle von ihnen flohen damals Richtung Norden, Richtung der Hauptstadt Beirut, berichtet er. Weg von der Frontlinie, den Luftangriffen und der am 1. Oktober schließlich auch mit Bodentruppen in den Libanon einrückenden israelischen Armee. Doch wer kein Geld hatte für das Leben in anderen Landesteilen – wo mit dem Krieg die Mieten zügig wuchsen – blieb.
Und manche suchten sogar Zuflucht in Sour, so wie Rita, die nur ihren Vornamen nennt. In dem Dorf, aus dem sie stammt, war der Krieg schon lange spürbar: Alma al-Chaeb liegt nur einen Kilometer von der Grenze entfernt. Gleich nach dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel, bei dem die Islamisten am 7. Oktober 2023 über 1.000 Menschen ermordeten und rund 250 Geiseln in den Gazastreifen verschleppten, stieg auch die Hisbollah in den dadurch ausgelösten Krieg ein. Sie schoss Raketen und Panzerabwehrgeschosse auf Nordisrael, Dutzende Menschen wurden getötet.
Das israelische Militär schlug zurück – unter anderem bei Alma al-Chaeb. Viele der zuvor etwa 800 Einwohnerinnen und Einwohner verließen schon da das Gebiet. Rita blieb bis zum September. Dann fuhr sie mit ihrer Schwester die knapp dreißig Kilometer nach Sour.
Die Kirche dort habe sie spontan aufgesucht – eine Art Eingebung. Deren Tore blieben lange geöffnet, auch im Krieg. Toufic Bou Merhi zeigt Bilder auf seinem Smartphone: Hinter dem Turm der Kirche mit seinem leuchtend roten Dach und dem metallenen Kreuz steigt über der Stadt grauer Rauch auf.
Die Spuren des Krieges sind noch sichtbar
Mit Beginn des Kriegs blieben in Sour auch die Hotels leer – die Gegend ist im ganzen Libanon bekannt für ihren feinen Sandstrand und das saubere Meerwasser. In eines der leeren Zimmer mietete sich damals Rita ein, in ein anderes ihre Schwester. Sie seien geblieben, den ganzen Krieg über, sagt sie. Für eine Flucht weiter nach Beirut habe ihnen das Geld gefehlt.
Am Ende seien nur noch drei Gemeindemitglieder in Sour geblieben, erzählt Toufic Bou Merhi. Denn mit der Flucht der Menschen schlossen auch die Geschäfte und Supermärkte, die Tankstellen und Restaurants. Die einst quirlige Altstadt bestand nur noch aus verrammelten Schaufenstern, so Rita. Statt lärmender Motorroller hätten israelische Drohnen über den engen Gassen gesummt. Auch der Strom fiel aus, das Trinkwasser wurde knapper. Die beiden Monate, erzählt sie, seien hart gewesen. Doch der neu gefundene Glaube habe ihr Kraft gegeben – und auch eine kleine weiße Katze, die sie mit ihrer Schwester im Laufe des Krieges fand und bei sich aufnahm.
Dann trat am 27. November die Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel in Kraft. Immer wieder gab es seitdem Angriffe, aber deutlich weniger als zuvor. Die Spuren des Krieges bleiben jedoch sichtbar – als Lücken im Stadtbild: Ganze Gebäude fehlen, manchmal auch nur einzelne Stockwerke, Lücken zwischen Betonpfeilern. Am Straßenrand liegt immer wieder Schutt. Und von den in der Stadt aufgestellten Märtyrerpostern blicken die im Krieg Getöteten – Militärangehörige, Zivilisten, Hisbollah-Kämpfer – auf die Lebenden herab. Doch die Bewohnerinnen und Bewohner kehrten zurück: Am 23. September stauten sich die Menschen Richtung Norden, am 27. November war es umgekehrt. Auch in die Gemeinde kehrte das Leben zurück. Und Rita blieb.
„Der Krieg hat mein Leben verändert“, sagt sie. Einerseits im negativen Sinne: Ihr Dorf sei völlig zerstört. Und die israelische Armee ist weiterhin dort stationiert: Fünf Orte in Grenznähe hält sie noch besetzt. Man wolle so die israelischen Gemeinden auf der anderen Seite schützen, bis die libanesische Armee die Kontrolle über den ganzen Südlibanon übernimmt. Das ist eine Bedingung des Waffenstillstandsabkommens – umgesetzt ist es bislang nur teilweise. So hat die libanesische Armee zwar viele Stellungen der Hisbollah geräumt, aber nach israelischen Angaben eben nicht alle. Nach Hause zurück kann Rita also nicht. Auch ihre Arbeit mit ausländischen Hilfsorganisationen hat sie verloren. Es sei hart, sagt sie. Mit ihrer Schwester denke sie sogar an Auswanderung.
Doch es gibt auch positive Veränderungen: Ihre Taufe ist eine davon. Die Gemeinde, in die sie sich nun immer mehr einfindet und mit deren Mitgliedern sie nach dem Gottesdienst bei einem Kaffee plaudert, ist eine weitere. Auch ihr muslimisches Umfeld habe ihren Übertritt zum Christentum gut aufgenommen, sagt sie - ihre Schwester sei ja sogar mitkonvertiert. Die Eltern der beiden sind nicht mehr am Leben, doch Rita glaubt: Sie wären einverstanden gewesen.
In einigen Ländern der Region, etwa Jordanien, ist es nicht möglich, aus dem Islam heraus zu konvertieren. Selbst wer sich taufen ließe, bliebe in den Augen des Staates muslimisch. Generell ist die Abwendung von der Religion des Koran in islamischen Gesellschaften oft problematisch und nicht selten mit sozialer Ausgrenzung verbunden.
Im multireligiösen Libanon ist das Recht auf Glaubensänderung allerdings gesetzlich festgeschrieben. Und die christliche Gemeinde im Zedernstaat ist proportional größer als in allen anderen Ländern des Nahen Ostens - meist wird von etwa einem Drittel der Bevölkerung ausgegangen. Gesellschaftlichen Druck gibt es dennoch. Auch Rita erzählt: „Manchen aus unserem Dorf hat die Taufe nicht gepasst. Aber das ist mir egal, es ist mein Leben.“ Und das Wichtigste, sagt sie, sei das Leben selbst - dass sie überlebt hat.
Nicht alle in der Gemeinde hatten dieses Glück, berichtet Toufic Bou Merhi. Zwei Märtyrer habe man zu beklagen, einer von ihnen ein junger Mann, der in der libanesischen Armee gedient habe und in die Schusslinie geraten sei. Nachdem am 23. September eine Rakete in der Altstadt von Sour eingeschlagen war, hat Toufic Bou Merhi eine Meditation darüber verfasst: „Liebe Rakete, explodiere nicht. Gehorche nicht der Hand des Hasses. Es reicht, es reicht! Zu wem sollen wir schreien? Zum Herrn? Er hat nichts mit Hass zu tun, er hat die Liebe geschaffen“. Daran glaubt auch Rita: „Ich danke Gott, trotz allem.“

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