Die Libanesin Jovanna Abillama sitzt im Kreis in einem Jugendzentrum. Sie ist Ordensschwester.
Warum eine Libanesin ihre Karriere mit dem Ordensleben tauschte

„Hier bin ich frei“

Deir al-Ahmar  ‐ Kann man nach Jahren in Leitungsfunktionen die Unabhängigkeit gegen ein Leben in Gehorsam und Armut tauschen? Die Libanesin Jovanna Abillama sagt, sie kann – und tauschte Verantwortung für 180 Angestellte gegen einen Habit.

Erstellt: 01.10.2023
Aktualisiert: 29.09.2023
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Freiheit ist etwas, das wenige Menschen mit dem Leben in einem Kloster verbinden, wo Armut, Keuschheit und Gehorsam die Grundregeln sind. Für Jovanna Abillama ist es aber genau das: „Hier bin ich frei“, sagt die Libanesin aus einer Beiruter christlichen Familie. Für ihr Leben als „Schwester des verlassenen Jesus“, einem kleinen libanesischen Frauenorden in Deir al-Ahmar in der Bekaa-Ebene hat Jovanna Make-up und Pfennigabsätze gegen den blau-braunen Habit getauscht – und zu sich selbst gefunden.

In ihrem zivilen Leben studierte Jovanna Abillama Rechtswissenschaften, bevor sie in die Vereinten Arabischen Emirate zog, wo sie Hochzeiten, Messen und andere Veranstaltungen organisierte, sich um Inneneinrichtungen kümmerte und Mobiliar vermietete.

„Nach zehn Jahren als Business- und Eventmanagerin in Dubai dachte ich, es reicht: 40 Jahre für die Menschen und 40 Jahre für mich“, sagte sie sich und meldete sich krank. Mit einer Nacht Zwischenstopp bei der Familie in Beirut verordnete sie sich eine Klausur bei den Schwestern in Deir al-Ahmar - einem Ort, an den sie sich schon früher gelegentlich zu spirituellen Auszeiten zurückgezogen hatte. „Drei, vier Tage“, so lautete der Plan. Aus ihnen wurden zehn. Trotz 180 Angestellten in den Emiraten blieb Jovanas Mobiltelefon in diesen Tagen aus.

Menschen lieben – auch in harten Zeiten

Als sie das nächste Mal nach Deir al-Ahmar kam, knapp zwei Monate nach ihrer Auszeit, kam Jovanna, um zu bleiben. „Meine Eltern konnten nicht verstehen, warum ich meine Arbeit aufgegeben habe. Ich sagte ihnen, ich werde heiraten, seid glücklich, aber kauft keine Kleidung“, lacht Jovanna. Auch die Ordensoberin begegnete der Eventmanagerin mit einer gewissen Skepsis. Ob sie nach Jahren der Unabhängigkeit dieses Leben leben könne? „Ich antwortete ihr, dass ich sie beeindrucken werde.“

Knapp vier Jahre später sitzt Jovanna im Habit auf dem Boden einer Betonkirche im Ortskern von Deir al-Ahmar. In der Hand hält sie einen gelben Wollfaden, an dessen Ende ein Knäuel wieder und wieder den Raum durchquert, bis sich ein spinnennetzartiges Gewebe im Sitzkreis aus Kindern und Ordensfrauen spannt. Jugendarbeit und Katechese sind elementarer Teil der Mission des jungen Ordens, der seinen Ursprung in den 1990er Jahren in Deir al-Ahmar hat. Hilfe für junge Ehepaare und die Sorge um Kranke, Verzweifelte und Einsame gehören auch dazu.

„Unsere wichtigste Regel“, sagt Schwester Jovanna, „ist zu lernen, alle Menschen zu lieben, auch in den härtesten Zeiten.“ Obwohl ihre Arbeit im Leben vor dem Kloster wesentlich härter und disziplinierter gewesen sei, nämlich „geradezu toxisch für mich“.

„Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich sicher und geborgen an diesem Ort“, sagt die Jovanna. Sakrosankt ist ihr das kleine Kloster auf einem Hügel über den Feldern von Deir al-Ahmar trotzdem nicht: „Ich glaube, dass man ist, wer man ist, unabhängig davon, wo man ist. Ich bin mit Jesus gekommen und kann mit Jesus auch wieder gehen.“

Kloster mit offenen Türen

Nach Dubai oder in ihren früheren Beruf zurückzukehren, kann sich Jovanna Abillama nicht vorstellen. „Die Emirate müssten zu mir kommen. Ich habe ihnen gegeben, was sie brauchten, nicht umgekehrt“, ist sie überzeugt. Lieber bringt sie sich mit Organisationstalent und Managementerfahrung in der kleinen Gemeinschaft aus derzeit elf Schwestern ein. „Manchmal versteht man, warum Gott einen genau an diesem Ort will, aber ich weiß natürlich auch, dass ich meine Fähigkeiten nicht eins zu eins aus dem Business auf das Kloster anwenden kann.“ Manchmal sei ihre Erfahrung hilfreich, manchmal müsse aber auch der Heilige Geist für eine sanfte Umsetzung sorgen oder sei schweigende Zurückhaltung angebracht.

Nicht unser, sondern Gottes Wille geschehe, sei das Lebensmotto der Schwestern, in Anlehnung an das biblisch überlieferte Gebet Jesu am Ölberg in der Nacht seiner Festnahme. Die Gemeinschaft glaube daran, dass jeder Mensch irgendwo ein vergessener Jesus sei, der in bestimmten Momenten zu Gott rufe, weil er sich verlassen fühle. „Unser Kloster hat deshalb keine geschlossenen Türen. Wir sind hier, um nach unsren Möglichkeiten mit jedem Jesus zu teilen, was er braucht.“

In diesem Sinne „richtig zu lieben“, sagt Schwester Jovanna Abillama, ist die eigentliche Herausforderung des Lebens der Gemeinschaft und gleichzeitig eine, die keine Klosterregel erreichen kann. „Ich hätte nicht gedacht, dass dies etwas ist, was ich leben kann und gerne lebe.“

Von Andrea Krogmann (KNA)

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