
„Selbst der Bischof musste fliehen“ – Millionen auf der Flucht
Aachen/Essen/München ‐ Ein blutiger Bürgerkrieg, Millionen Flüchtlinge und dann auch noch ein schweres Erdbeben: Den Menschen in Myanmar bleibt nichts erspart. Das hat auch der Chef des Hilfswerks Missio vor Ort erlebt – und ruft zu Hilfe auf.
Aktualisiert: 01.10.2025
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„Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“ – unter diesem Motto steht der Monat der Weltmission in diesem Jahr. Eröffnet wurde er am Sonntag mit einem Gottesdienst in Essen mit Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Der in Deutschland von den katholischen Hilfswerken Missio Aachen und Missio München organisierte Aktionsmonat endet mit einer bundesweiten Kollekte in allen Gottesdiensten am Weltmissionssonntag 26. Oktober und einem Abschlussgottesdienst in Memmingen im Allgäu.
Schwerpunktländer sind in diesem Jahr die Philippinen und Myanmar. In dem asiatischen Konfliktland hat Dirk Bingener, der Präsident von Missio Aachen, vor kurzem kirchliche Projektpartner besucht – in einer besonders schwierigen Lage inmitten von Krieg, Vertreibung und Angst, wie er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erzählt.
Frage: Pfarrer Bingener, der Weltmissionsmonat blickt in diesem Jahr auf Myanmar. Das Motto lautet: „Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“. Wie viel Hoffnung ist in einem Land möglich, das von Krieg, Unterdrückung und Flucht geprägt ist?
Pfarrer Dirk Bingener: Mehr, als man vielleicht denkt. Immer wieder haben uns die Menschen dort gesagt: „Danke, dass ihr da seid. Danke, dass ihr uns nicht vergesst.“ Sie fühlen sich sonst so isoliert, so abgeschrieben. Allein zu wissen, dass die Welt hinsieht, gibt ihnen neue Kraft - und Hoffnung.
Frage: Wie haben Sie die Lage im Land bei Ihrem Besuch erlebt?
Bingener: Man denkt, es könne nicht schlimmer kommen – und dann wird es doch noch schlimmer. Bis 2021 ging es vielen besser. Doch dann kam der Militärputsch, und seitdem ist Krieg. In den Städten herrscht das Militär, auf dem Land bombardieren sie Dörfer. Millionen Menschen sind auf der Flucht – nicht nur die Rohingya, auch viele Christen. Ich denke etwa an das Kirchengelände in Loikaw, das beschossen wurde und auf dem auch die Kathedrale steht. Selbst der Bischof musste fliehen. Und als wäre das nicht genug, kam dann auch noch das schwere Erdbeben.
Frage: Was bedeutet das für die Menschen im Alltag?
Bingener: Sie haben nichts. Keine Arbeit, kein Zuhause, oft auch keine medizinische Hilfe. Viele überlebenswichtige Medikamente sind unbezahlbar oder gar nicht mehr da. Junge Männer leben außerdem in großer Angst, weil sie jederzeit vom Militär eingezogen und ohne Ausbildung an die Front geschickt werden können. Für viele ist das ein Todesurteil.

Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen: Plakate der Missio-Werke zum Monat der Weltmission 2025
Frage: Wohin können die Menschen fliehen?
Bingener: Es gibt keine offizielle staatliche Hilfe. Viele suchen Zuflucht in Pfarreien, die oft zu einer Art verdecktem Flüchtlingslager geworden sind. Aber immer heimlich – aus Angst, dass Soldaten kommen, um die jungen Leute zu verschleppen.
Frage: Welche Folgen hatte das Erdbeben?
Bingener: Besonders schlimm war es in Mandalay, also in der Nähe des Epizentrums. Das ist die zweitgrößte Stadt Myanmars. Dort ist zum Beispiel auch eine kleine Klinik zerstört worden, die wir damals besucht haben. Viele Häuser sind eingestürzt, Menschen leben nun auf der Straße. Ein weiterer Schlag für ein Land, das ohnehin am Boden liegt.
Frage: Sie haben die christliche Minderheit erwähnt. Können die Kirchen etwas zu Frieden und Versöhnung beitragen?
Bingener: Sie versuchen es. Ich werde ein aktuelles Foto aus Myanmar nicht vergessen: eine Ordensschwester, die vor Soldaten kniet und sie anfleht, nicht zu schießen. Die Kirche ruft zu Menschlichkeit auf und hilft, wo sie kann – nicht nur Christen, sondern allen. Sie ist weltweit vernetzt und kann so zumindest etwas organisieren.
„Die Kirche ruft zu Menschlichkeit auf und hilft, wo sie kann – nicht nur Christen, sondern allen.“
Frage: Aber wie kann Hilfe gelingen, wenn die Kirchen selbst bedroht sind?
Bingener: Indem sie improvisieren. Ich habe eine Pfarrei besucht, die trotz allem Englischunterricht und Hauswirtschaftskurse anbietet. Bildung ist so wichtig - gerade für Jugendliche auf der Flucht. Besonders berührt hat mich ein Waisenhaus. Ordensschwestern haben es aufgebaut, nachdem sie sich zwei Monate im Dschungel verstecken mussten. Sie kümmern sich um die Kinder, die ihre Eltern verloren haben, geben ihnen Schutz und Geborgenheit.
Frage: Und wie hilft missio konkret in dieser Situation?
Bingener: Wir hören vor allem auf unsere Partner vor Ort. Es geht um akute Hilfen: Essen, Unterkünfte, medizinische Versorgung. Besonders auch für Menschen mit Behinderungen. Aber auch um Stärkung von Mädchen und Frauen, damit sie Bildung und eine Perspektive bekommen. Wir wollen verhindern, dass eine ganze Generation verloren geht.
Frage: Geht das überhaupt – mitten im Krieg?
Bingener: Es ist schwer. Oft müssen Medikamente oder Lebensmittel über Umwege ins Land gebracht, ja fast schon geschmuggelt werden. Das Militär will ja nicht, dass die Not sichtbar wird. Aber unsere Partner nehmen das Risiko auf sich, auch wenn es für sie persönlich gefährlich sein kann.
Frage: Was müsste die internationale Gemeinschaft tun, um den Menschen in Myanmar mehr Hoffnung zu geben?
Bingener: Zuerst: hinschauen und die Not benennen. Menschenrechtsverletzungen, Verhaftungen, Folter, Gewalt – das darf nicht verschwiegen werden. Der Druck muss wachsen, auch wenn die Weltpolitik gerade andere Schwerpunkte setzt und der Rückzug der USA aus der Entwicklungszusammenarbeit katastrophale Folgen hat. Wichtig ist, dass Länder wie Deutschland, aber auch die Kirchen weltweit immer wieder über Myanmar sprechen – so wie es etwa der Papst regelmäßig tut. Jedes Zeichen, dass sie nicht vergessen sind, macht den Menschen Mut. Und passt zu unserem Motto: „Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“.

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