Katastrophenbilder als Videoeffekt verwendet?

Drei Jahre nach der Hafenexplosion: Trauma in Beirut weiter lebendig

Beirut ‐ Wie 1.100 Tonnen Sprengstoff – die Explosion im Hafen von Beirut erschütterte vor drei Jahren nicht nur die libanesische Hauptstadt. Für die Libanesen ist das Trauma noch präsent, nun reißt Hollywood Wunden auf.

Erstellt: 04.08.2023
Aktualisiert: 02.08.2023
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Von Johannes Senk (KNA)

Der apokalyptische Überlebenskampf zwischen Mensch und (selbstgeschaffener) Maschine gehört sicher nicht zu den innovativsten Drehbüchern, die die Filmindustrie hervorbringen kann. Vielleicht liegt es an der rasanten Entwicklung von Künstlicher Intelligenz der vergangenen zwei Jahre, dass das Motiv plötzlich wieder auf der Agenda steht.

Nun kündigte der britische Regisseur Gareth Edwards, bislang bekannt durch bildgewaltige Actionstreifen wie „Godzilla“ (2014) und „Rogue One: A Star Wars Story“ (2016) für September ein entsprechendes Werk an. Im Film mit dem aussagekräftigen Titel „The Creator“ (Der Schöpfer) versucht menschgeschaffene KI offenbar, die Menschheit mit einer Superwaffe zu vernichten. Verhindern soll das ein einzelkämpferischer Ex-Agent.

Bilder gingen um die Welt

Den jüngst veröffentlichten, effektreichen Trailer nahm die Welt mit mehr oder weniger Begeisterung zur Kenntnis. Für Aufruhr sorgte er hingegen im Libanon. Verantwortlich dafür ist eine kaum zwei Sekunden lange Sequenz die – so der Off-Stimme zu entnehmen – offenbar die Explosion einer Atombombe in Los Angeles zeigen soll. Der Haken: Für die Szene wurde wohl auf reales Filmmaterial zurückgegriffen. Und das zeigt mitnichten Los Angeles, sondern die Hafenexplosion von Beirut vor genau drei Jahren, am 4. August 2020. Trotz einiger Änderungen ähneln sich sowohl Hochhäuser als auch die eigentliche Explosion auf beängstigende Weise.

Die Bilder aus der libanesischen Hauptstadt gingen damals um die Welt. Ausgelöst möglicherweise durch einen Funkenflug von Schweißarbeiten fing ein Lager mit über 2.700 Tonnen hochexplosivem Ammoniumnitrat Feuer, das dann mit einer gewaltigen Druckwelle in die Luft ging. Mindestens 207 Menschen starben, fast 7.000 wurden verletzt. Die Spuren der Explosion zeichnen Stadt und Hafen bis heute. Vor allem aber hat sie sich als traumatische Erinnerung in das Gedächtnis der Libanesen eingebrannt.

Politische Dauerkrise

Die vielfachen Ursachen des Unglücks – Fahrlässigkeit, Ignoranz, in Teilen aber auch Korruption – sowie die Schwerfälligkeit der Aufarbeitung offenbarten dabei nur allzu deutlich die schwerwiegenden Probleme, die den Libanon seit Jahren prägen; und die drohen, das Land langsam aber sicher zu erdrücken. Der damalige Ministerpräsident Hassan Diab trat kurz nach der Explosion zurück, ihn beerbte der Unternehmer und vormalige Ministerpräsident Nadschib Miqati, gegen den bereits in der Vergangenheit schwere Korruptionsvorwürfe erhoben wurden. Präsident Michel Aoun beendete seine Amtszeit im August 2022 und erklärte zeitgleich noch Mikatis Regierung für „zurückgetreten“.

Bild: © Francesca Volpi/KNA

Folgen der Explosion: Mauern des Franziskanerklosters in Beirut müssen noch immer abgestützt werden.

Seitdem hat der nahöstliche Staat mit seinen komplizierten konfessionellen Vorgaben für Staatsämter – der Staatspräsident muss maronitischer Christ sein, der Ministerpräsident Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit – weder einen Präsidenten, noch eine vollständig anerkannte Regierung. Gleichzeitig versinkt das Land unaufhaltsam in einer wirtschaftlichen und politischen Krise. Rund drei Viertel der Menschen leben nach UN-Angaben unter der Armutsgrenze, ein Großteil davon Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien.

Boykottaufrufe

Wegen zunehmender Flüchtlingszahlen bei gleichzeitig wachsender Arbeitslosigkeit und steigenden Lebenshaltungskosten warnen Hilfsorganisationen vor weiteren sozialen Spannungen, die schlussendlich im Zusammenbruch des Landes münden könnten - sich explosionsartig entladen könnten. Insofern stand die Hafenexplosion in Beirut, neben all ihrer unmittelbaren Tragik, fast symptomatisch für die drohende Eskalation, die über dem Libanon schwebt.

Dass sich nun, ausgerechnet im Vorfeld des dritten Jahrestages des Unglücks, die Bilder wieder auftauchen, ein dystopischer Actionthriller der Traumfabrik Hollywood der Bilder für einen Knalleffekt bedient, reißt Wunden auf, die noch nicht verheilt waren. In den Sozialen Medien läuft bereits eine rege Diskussion, die vor allem den Vorwurf der Pietätlosigkeit in den Vordergrund stellt, dass mit dem Unglück nun Geld verdienst werde. Auch erste Boykottaufrufe wurden laut. Gleichzeitig haben erste Effekt-Spezialisten das Werk schon vor Veröffentlichung für sein außergewöhnliches Design gelobt.

KNA

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