Nachrichten aus der Weltkirche
„Wir tun, was wir können – und hoffen, dass es reicht“

Verzweiflung im Libanon wächst – Kirche versucht zu helfen

Beirut/Tyros  ‐ Im Libanon leidet die Zivilbevölkerung unter dem Nahost-Krieg. Ordensgemeinschaften und andere kirchliche Organisationen sind für viele Betroffene die einzige Hilfe.

Erstellt: 03.10.2024
Aktualisiert: 02.10.2024
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Von Andrea Krogmann und Simon Kajan (KNA)

Der Konflikt zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Seit Tagen fliegt Israel in Reaktion auf den anhaltenden Raketenbeschuss intensive Luftangriffe auf Ziele im Süden und Osten des Nachbarlandes sowie auf die Hauptstadt Beirut. Hinzu kommt der Beginn einer Bodenoffensive. Eine Million Libanesen sind nach UN-Angaben direkt betroffen oder vertrieben worden.

Leidtragender ist die Zivilbevölkerung. Ordensgemeinschaften und kirchliche Einrichtungen bieten Hilfe an – ohne Ansehen der Religion. „Die Situation ist furchtbar, und sie wird immer schlimmer“, sagt Toufic Bou Merhi. Der libanesische Franziskanerpater ist verantwortlich für die katholischen Pfarreien in Tyros und Deir Mimas. Beide Orte stehen unter Beschuss, unter den Menschen herrschen Angst und Verzweiflung.

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Mit Beginn der Luftschläge öffnete Pater Toufic seine Türen. 160 Muslimen, darunter 70 Kinder, bot der Klosterkomplex in Tyros zeitweise Schutz. Die Lage in der zunächst von Angriffen verschonten Altstadt und die Nähe zur Kirche habe sie auf Sicherheit hoffen lassen, sagt er. Zunächst schien der Plan aufzugehen: „Wir haben täglich drei Mahlzeiten anbieten können. Menschen haben uns Spenden vorbeigebracht, italienische Soldaten 250 Hygienekits und Nahrung geliefert, das franziskanische Hilfswerk ‚Pro Terra Santa‘ Decken und Matratzen. Die Jugendlichen des Viertels, die Stadt, alle haben geholfen.“

Am Samstag dann schlug eine Rakete nur 50 Meter vom Konvent entfernt ein. In den Trümmern des Hauses, das sie traf, starben zwölf Menschen. „Der umherfliegende Schutt traf Kinder, die im Klosterhof spielten. Zwei wurden verletzt“, berichtet der Franziskaner. Mit der Rakete sei das Chaos gekommen, habe die Angst zugenommen. „Die Menschen realisierten, dass kein Ort mehr sicher ist.“ Unter anhaltendem Beschuss leerte sich das Altstadtviertel - und mit ihm das Kloster. Auch die Christen, so der Pater, seien nach Beirut geflohen.

Flucht in Richtung Norden

Am Montagabend machte sich der Ordensmann selbst auf in die Hauptstadt, „Luft holen“, um sich am Dienstagmorgen erneut auf den Weg nach Süden zu begeben. Diesmal nach Deir Mimas. In dem an der israelischen Grenze gelegenen Bergdorf habe es mehrere Einschläge gegeben, sagt der Pater. Die Menschen hätten versucht, sich über gefährliche Straßen nach Norden durchzuschlagen. „Rat- und hilflos“, beschreibt er die Lage. „Wir müssen uns um diese Leute kümmern, aber wissen noch nicht, wie.“ Wieder ist der Geistliche unterwegs, um mit seinem Bischof Hilfsaktionen zu planen. „Wir versuchen, bei den Menschen zu sein. Wir tun, was wir können – und hoffen, dass es reicht.“

Die Folgen des Krieges bekommen auch das Libanongebirge, Beirut, Tripolis und der Nordlibanon zu spüren: Die dort lebenden Gemeinschaften, unter ihnen viele Christen, würden zur Anlaufstelle für Vertriebene, sagt Michel Constantin, Regionaldirektor des päpstlichen Nahost-Hilfswerks „Päpstliche Mission“. Die Kirche habe von Beginn an ihre Arme ausgestreckt – allen voran die „Schwestern der Christlichen Liebe“, die in vier Klöstern und Schulen rund 2.000 Personen aufgenommen hätten.

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Weitaus schlimmer ist die Lage im Süden, wo Christen eine kleine Minderheit sind. 5.000 Familien hätten dennoch bis vor wenigen Tagen dort ausgeharrt, schätzt Constantin. In den christlichen Dörfern unternehme die Hisbollah zwar keine militärischen Aktivitäten. Aber durch den Krieg rundherum seien die Orte quasi von der Außenwelt abgeschnitten. Verbindungsstraßen würden häufig zum Ziel von Angriffen. „Isolation und Angst“ seien die Folge, so Constantin.

In der ersten israelischen Bodenoffensive seit dem zweiten Libanonkrieg 2006 sieht der Hilfswerks-Direktor einen Wendepunkt. Zu den Zielgebieten der Soldaten gehörten auch etliche christliche Dörfer. Für einige von ihnen habe Israels Armee bereits Evakuierungsanweisungen gegeben. Wie genau es nun weitergehen soll, darauf hat Constantin keine Antwort. Die Situation ändere sich Tag für Tag rapide.

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