Joseph Soueif
Libanesischer Erzbischof mahnt zum Dialog im Nahost-Konflikt

„Wir trauern um jedes Opfer“

Köln ‐ Der Angriff der Hamas auf den Süden Israels hat den Nahen Osten erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Der maronitische Erzbischof von Tripolis erklärt im Interview, was das für Israels Nachbarland Libanon bedeutet.

Erstellt: 17.10.2023
Aktualisiert: 17.10.2023
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Von Johannes Senk (KNA)

Seit dem Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel blickt die Welt wieder mit Sorge auf den Nahost-Konflikt. Dabei gerät auch Israels nördlicher Nachbar Libanon in den Blick. Von dort aus droht die schiitische Hisbollah-Miliz, in die Kämpfe einzugreifen. Die libanesischen Christen hingegen könnten wichtige Botschafter des Friedens sein, sagt Joseph Soueif (61). Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der maronitische Erzbischof von Tripoli über Perspektiven für die Zukunft, Flüchtlinge im Libanon und erklärt, warum das Land dringend das Vertrauen der Weltgemeinschaft zurückgewinnen muss. Libanon, Syrien und Ägypten sind Partnerländer des diesjährigen Monats der Weltmission.

Frage: Herr Erzbischof, im Nahen Osten tobt wieder Krieg zwischen Israel und Palästina. An Israels Nordgrenze soll es aber auch zu Gefechten zwischen dem israelischen Militär und den libanesischen Hisbollah-Milizen gekommen sein. Fürchten Sie, dass der Libanon in den Konflikt hineingezogen werden könnte?

Soueif: Natürlich sind wir in großer Sorge wegen des Krieges und rufen beide Seiten zum Frieden auf. Wir trauern um jedes Opfer. Denn jedes verlorene Menschenleben, jeder Verletzte, egal auf welcher Seite, ist ein großer Verlust für die Gesellschaft. Gleichzeitig hoffen wir, dass die Hisbollah sich nicht einschaltet und dadurch den Libanon auch nicht in den Konflikt hineinzieht. Das würde unser Land bei all seinen anderen Krisen nicht überstehen. Diese Botschaft senden auch die Kirche und die Zivilgesellschaft nachdrücklich an die Hisbollah.

Frage: Der Nahost-Konflikt wird oft auf eine religiös aufgeladene Konfrontation zwischen Juden und Muslimen verkürzt. Gerade im Libanon gibt es aber auch eine große christliche Gemeinschaft. Welche Rolle nimmt diese im Konflikt ein?

Soueif: Wir Christen sind immer und überall dazu aufgerufen, Friedensbotschafter zu sein. Und wenn wir uns den Nahen Osten anschauen, sind wir Christen auch da, um etwas Neues zu bringen, neue Perspektiven, neue Visionen und neue Werte, wie Vergebung und Akzeptanz über alle Differenzen. Gerade wir Christen müssen diese wichtigen Werte vertreten. Deshalb ist es wichtig, für die ganze Region, dass wir eine starke christliche Gemeinschaft bleiben. Das ist auch der Kern unserer Botschaft, die wir gemeinsam mit missio in Deutschland zum diesjährigen Weltmissionstag aussenden wollen. Wir sind alle eine Familie und können in Frieden zusammenleben.

Frage: Wie könnte aktuell eine Friedensperspektive aussehen?

Soueif: Wir müssen die Parteien wieder zu Gesprächen zusammenbringen. Zum Beispiel sollte sich die internationale Gemeinschaft für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen. Ganz wichtig ist hier die religiöse und politische Symbolkraft von Jerusalem. Es könnte wieder die wichtigste Stadt für Frieden und Versöhnung zwischen den Religionen werden.

Frage: Der Libanon kämpft selbst mit zahlreichen Problemen. Vor allem scheitert das Land seit gut einem Jahr an einer funktionierenden Regierungsbildung.

Soueif: Es gibt eine Regierung, aber die ist momentan nur eine Interimslösung. Das ist natürlich ein Problem. Denn ohne Präsidenten und ohne funktionierendes Parlament können wir kaum das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zurückgewinnen. So wird wohl niemand in den Libanon investieren oder das Land unterstützen. Wir haben eine tiefe wirtschaftliche Krise im Land. Die Menschen leben in Not, die einst starke Mittelschicht gibt es nun nicht mehr. Ohne internationale Hilfe werden wir das Land nicht retten können.

Frage: Kann es sein, dass das Prinzip der religiösen Parität das Land blockiert? Der Präsident muss immer Christ, der Regierungschef immer sunnitischer und der Parlamentssprecher schiitischer Muslim sein...

Soueif: Dieses System hat Tradition. Und wir wollen es auch als solches belassen.

Frage: Die Christen stellen inzwischen nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit im Land. Fürchten Sie, eine Änderung des Systems könnte zu Lasten der christlichen Bevölkerung gehen?

Soueif: Natürlich stammt dieses System aus einer Zeit, in der es noch eine christliche Mehrheit gab. Allerdings war es auch damals nur eine leichte Überzahl. Es geht hierbei jedoch gar nicht um die Zahlen, es geht um gegenseitigen Respekt. Selbstverständlich hoffe ich, dass wir in Zukunft noch mehr Gleichberechtigung für Minderheiten in unserem Land erreichen. Aber gleichzeitig ist der Libanon das einzige Land der arabischen Welt, das bereits vollumfänglich Religionsfreiheit gewährt. Und die Regelung ist Ausdruck dieser religiösen Vielfalt: Wir sind divers aber Eins.

Frage: Die maronitische Kirche scheut nicht davor zurück, deutlich die Politik des Landes zu kritisieren. Patriarch Kardinal Bechara Rai hat schon häufiger öffentlich die Parteien gemaßregelt und zur Ordnung aufgerufen. Braucht es so eine politische Kirche gegen die Krise im Land?

Soueif: Die maronitische Kirche hatte schon seit der Gründung des Großlibanon im Jahr 1920 auch eine politische Dimension. So waren die Patriarchen und die Bischofssynode schon immer bereit, bei politischen Krisen die Führung zu übernehmen. Das ist heute noch so. Die Kirche greift zwar nicht aktiv in die Tagespolitik ein. Aber wenn es Probleme gibt, wenn die Einheit des Landes gefährdet ist oder wie jetzt, die Regierung nicht funktionsfähig ist, wenden sich die Menschen an die religiösen Institutionen.

Frage: Wenn wir über den Libanon reden, reden wir auch über Flüchtlinge. Prozentual zur Bevölkerung hat kein Land auf der Welt so viele Flüchtlinge aufgenommen. In Deutschland debattiert die Politik aktuell über vereinfachte Abschiebungen. Gibt es bei Ihnen ähnliche Diskussionen?

Soueif: Der Libanon hat Flüchtlinge immer mit offenen Armen aufgenommen. Viele Menschen besonders aus Syrien sind zu uns gekommen und sie sind hier in der Gemeinschaft untergebracht, sie leben und arbeiten mit uns. Aber wir stellen trotzdem die Frage: Wie lange wollen sie noch bleiben?

Frage: Also gibt es doch inzwischen Vorbehalte gegen Flüchtlinge?

Soueif: Es geht hier nicht um politische, sondern um wirtschaftliche Gründe. Wir reden von Millionen von Flüchtlingen, die internationale aber auch staatliche Unterstützung erhalten. Der Libanon kann sich das aber einfach nicht mehr leisten. Es muss die Zeit kommen, in der die Menschen aus Syrien in ihr Land zurückkehren können. Wenn es in ihrer Heimat noch nicht sicher ist, müssen Schutzzonen auf syrischem Gebiet für sie geschaffen werden. Wir bitten die internationale Gemeinschaft, diese sichere Rückkehr zu gewährleisten.

KNA

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