Frage: Frau de Castro, kürzlich haben das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart die sogenannte Witbooi-Bibel und eine Peitsche aus der Kolonialzeit an Namibia zurückgegeben. Wie bewerten Sie die Rückgabe und die Reaktionen in Namibia, die auch von Spannungen bei bestimmten ethnischen Gruppen getragen waren, weil sie sich als rechtmäßige Besitzer sahen?
Inés de Castro: Die Frage, wem man etwas zurückgibt, ist sehr komplex. Insofern haben wir uns sehr gefreut, dass es der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer gelungen ist, bei der Übergabe der Witbooi-Bibel und der Peitsche am Ende wirklich alle Gruppen der Familie Witbooi zusammenzubringen. Wir sind sehr dankbar, dass die Landesregierung und die Stadt Stuttgart uns bei diesem wichtigen Schritt sehr unterstützt haben. Diese Rückgabe ist der Anfang eines langfristigen Dialogs. Wir beginnen zunächst für zwei Jahre einen dialogischen Prozess mit Vertretern der Nama und Herero und mit Studenten aus Namibia und Tübingen. Gemeinsam möchten wir an den Sammlungen aus Namibia arbeiten und über die Interpretation und Präsentation sprechen.
Frage: Inwiefern wiegt hier der symbolische Akt der Rückgabe mehr als die Quantität der zurückgegebenen Kunstgegenstände?
de Castro: Es hat mich sehr berührt, was diese Objekte für eine Wirkung und Bedeutung in Namibia haben – vor allen Dingen für die ältere Bevölkerung. Auf der einen Seite erinnern sie an das ungeheure Leid während der Kolonialzeit. Peitsche und Witbooi-Bibel wurden in einem sehr brutalen Massaker entwendet. Die Kolonialgeschichte ist in Namibia viel präsenter als bei uns, wo wir das aus unserer Erinnerungskultur verdrängt haben. Auf der anderen Seite stand die ungeheure Freude, diese Objekte endlich zurückzubekommen. Schulklassen haben stundenlang gewartet, um die Objekte zu sehen, es gab Musik und Tanz. Es waren sehr emotionale Momente bei dieser Rückgabe.