7. Peza-Fachtagung in Lindau. Podiumsdiskussion mit Expert*innen aus Theorie und Praxis zum Thema Dekolonisierung
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7. internationale Fachtagung zur Personellen Zusammenarbeit

Dekolonisierung – Auftrag oder Utopie?

Lindau ‐ Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse aus der Zeit des europäischen Imperialismus prägen oft noch immer die internationale Zusammenarbeit. Eine Fachtagung in Lindau hat sich mit Auswegen aus dieser Situation beschäftigt.

Erstellt: 28.04.2023
Aktualisiert: 28.04.2023
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Die Kolonialzeit wirft ihren Schatten bis heute auf die internationale Zusammenarbeit. Unter dem Thema „Auftrag oder Utopie: Dekolonisierung in der Personellen Zusammenarbeit (PEZ)“ griff die 7. Internationale Fachtagung zur PEZ diesen Zusammenhang auf. Sie fand vom 27. bis 28. April in Lindau am Bodensee statt und wurde organisiert von den Personaldiensten Horizont3000 (Österreich), Comundo (Schweiz) und AGIAMONDO (Deutschland).

Trotz politischer Unabhängigkeit sind die Länder des Globalen Südens immer noch stark von Erfahrungen aus dem Kolonialismus und der Missionierung geprägt. Bei der Veranstaltung gingen Vertreterinnen und Vertreter aus Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Zivilgesellschaft sowie von Kirche, Staat und Verwaltung der Frage nach, wie in diesem Spannungsfeld die Zusammenarbeit zwischen Süd und Nord angemessen stattfinden und gestaltet werden kann.

Expertin: Genau hinschauen

Nikita Dhawan, Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politische Theorie und Ideengeschichte“ an der TU Dresden führte in das Thema ein. Sie kritisierte zunächst die Dominanz einer relativen Geschichtsvergessenheit bezüglich des Kolonialismus im deutschsprachigen Raum. Um die Grundsätze der Gleichheit und Gerechtigkeit strukturell in der Gesellschaft zu verankern, sei es dringend notwendig, den großen Widerstand gegen die Institutionalisierung von Vielfalt abzubauen. Es sei daher unerlässlich, so die Wissenschaftlerin, dass die Politik die Überschneidung und Gleichzeitigkeit von Diskriminierung bestimmter Personengruppen anerkenne und dies zusammen mit einem vorurteilslosen Umgang mit Vielfalt und Diversität innerhalb des neoliberalen Pluralismus und des globalen Kapitalismus als Hauptströmung verortet werde. Denn bisher würde hier „Differenz“ als Alibi genutzt, damit sich das bestehende System nicht verändern müsse.

Hinsichtlich der Dekolonisierung in der Personellen Zusammenarbeit, könne es keine allgemeine Regel geben, sagte Nikita Dhawan. Es sei jedoch wichtig, jeweils Kontext-sensibel zu arbeiten und genau hinzuschauen, was die Prioritäten der Menschen in unseren Arbeitskontexten wirklich sind. „Wir müssen in den Dialog gehen und eine Ethik des Zuhörens entwickeln“ so die Wissenschaftlerin. Es gelte aufmerksam zu sein, dass wir nicht immer schon wissen, was zu tun ist und was gerade gebraucht wird. Die Herausforderung sei es, Räume zu schaffen, in denen Beziehungen mit Menschen gestaltet werden, die unterschiedlich in der Hierarchie platziert seien, in denen offen miteinander kommuniziert werden kann und man ehrlich miteinander ist. Das sei ein schwieriger Prozess, gerade angesichts eines so gewaltvollen Erbes wie der Kolonialisierung, dem man sich jedoch immer wieder neu stellen müsse

Monsignore Jervis Kebei Kewi, Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz Kameruns
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Monsignore Jervis Kebei Kewi, Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz Kameruns, berichtet über seine Erfahrungen mit der internationalen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit Dekolonisierung.

Ein divers besetztes Podium widmete sich der Frage: Wie können wir uns und die Personelle Zusammenarbeit dekolonisieren? Dabei war von Interesse, was sich in Politik und Gesellschaft verändern müsste, damit die Akteure bewusst und konstruktiv mit kolonialen Kontinuitäten und bestehenden Beziehungsasymmetrien umgehen können.

Über konkrete Erfahrungen der Zusammenarbeit in Kamerun berichtete Monsignore Jervis Kebei Kewi, Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz des Landes. „Wir können die Vergangenheit nicht ändern“, sagte er, „aber wir können unser Denken ändern und wie wir die Dinge betrachten.“  Mali Ole Kaunga, Gründer des Netzwerks PARAN (Pastoralists Alliance for Resilience and Adaption in Northern Kenya Rangelands) stellte die soziale Bewegung vor, die sich seit 2018 für die Rechte der indigenen Bevölkerung in Norden Kenias einsetzt. Das Bündnis bringt mehr als 40 Interessengruppen zusammen, um den nachhaltigen Pastoralismus zu stärken.

In Workshops konnten die Teilnehmenden einzelne Themen vertiefen. So wurde beispielsweise gefragt: Müsste mit dem heutigen Verständnis von Dekolonisierung nicht eine stärkere Übergabe von Entscheidungsgewalt und Ressourcen an lokale Akteure einhergehen? Was kann man sich konkret unter Dekolonisierung in der Personellen Zusammenarbeit vorstellen? Und: Wie müssen sich Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit im Globalen Norden verändern?

Die internationale Fachtagung für Personelle Zusammenarbeit findet seit 2005 in einem dreijährigen Turnus statt. Sie hat zum Ziel, den Austausch über aktuelle Herausforderungen der Personellen Zusammenarbeit zu fördern. Die Veranstaltung richtet sich an Mitarbeitende von Entsendeorganisationen der personellen Zusammenarbeit und an interessierte Verantwortliche aus Nichtregierungsorganisationen, Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Das von den Trägerorganisationen ausgewählte Thema wird jeweils von Persönlichkeiten aus Nord und Süd kritisch beleuchtet und im Plenum diskutiert.

Von Katharina Engels, AGIAMONDO e.V.

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