Sammeln und Ausstellen für die Lakota
Frankfurt a. M. ‐ Zwei sehr unterschiedliche Institutionen in South Dakota zeigen Sammlungen von Kunst und Ethnographica der Lacota. Ihr Beispiel belegt: Es macht einen Unterschied, für wen sie Entstanden sind – und wem sie gehören.
Aktualisiert: 26.10.2024
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Die Serie
Teil 6 der Missionskeulen-Serie. Die vergangenen Beiträge beleuchten die komplexe Aufarbeitung der Missionsgeschichte im kolonialen Kontext, das Forschungsprojekt Missiosgeschichtliche Sammlungen, die Herkunft der Keule, die Arbeit deutscher Jesuiten bei den Lakota-Sioux, sowie die Erinnerung an den Jesuiten Eugen Büchel.
Von Markus H. Lindner
St. Francis Mission, Rosebud Reservation
Inmitten der Rosebud Indian Reservation, knapp zehn Minuten südlich der Reservationshauptstadt Rosebud liegt der kleine Ort St. Francis, der nach der gleichnamigen Mission benannt ist. Jesuiten hatten sie 1886 gegründet und seitdem mit deutschen Franziskanerinnen betrieben. Folgt man heute der Main Street fällt sofort die in hellem Lila gestrichene, Karl Borromäus geweihte Kirche auf. Direkt daneben, in einem unscheinbaren Gebäude versteckt sich beinahe das nur im Sommer ohne Anmeldung besuchbare Buechel Memorial Lakota Museum, dessen bedeutende Sammlung über 2.000 Objekte und mehr als 42.000 Fotografien umfasst (St. Francis Mission Among the Lakota 2022).
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Der in Thüringen geborene Pater Eugen Büchel/Eugene Buechel, SJ (1874-1954) hatte, wie viele andere Missionare auch, kulturelle Artefakte gesammelt. Im Gegensatz zu den anderen, sammelte er aber nicht, um die Objekte an Museen, private Sammler oder an Ordenseinrichtungen weiterzugeben, sondern um sie für die Lakota vor Ort zu bewahren. Überhaupt war er sehr am Erhalt der ‚traditionellen‘ Kultur interessiert und publizierte unter anderem zur Sprache der Lakota. Sein Wörterbuch, das erst nach seinem Tod publiziert wurde, galt lange als das Standwörterbuch für Lakota.
Aus den wenigen Informationen, die es zu seiner Motivation gibt, lässt sich vor allem schließen, dass Buechel dazu beitragen wollte, die Kultur der Lakota zu erhalten, statt sie als verloren zu betrachten. Für seine Sammlung, die er vermutlich ab 1929 angelegt hat, gab es zunächst keinen eigenen Raum. Das änderte sich erst als Br. Joseph Schwart, SJ ein Gebäude errichtet, in dem 1947 zu Buechels goldenem Ordensjubiläum das Museum eröffnet wurde, in dem auch die auf Rosebud lebenden Lakota die Sammlung sehen konnten, die bei Buechels Tod 638 katalogisierte Objekte umfasste (Bucko 2004:54-57; Bucko und Koppedrayer 2007:19).
Buechels Intention, ein Museum für, nicht über die Lakota zu kreieren, ist bis heute ein zentraler Aspekt der Institution, die wegen der abgelegenen Lage auch nur verhältnismäßig wenige Touristen anzieht. Darüber hinaus gaben die Jesuiten in den 1970er Jahren die Kontrolle des Museums wenigsten zum Teil in die Hände von Lakota, die ein Direktorium bildeten. Auch die Museumsleiter*innen selbst sind seit dieser Zeit Lakota. Obwohl das Museum mehrfach umstrukturiert und 1999 erweitert wurde, ist die Ausstellung bis heute eher klassisch nach Objektgruppen, z. B. Quilts, Pfeifenbeutel oder Malereiausstattung, aufgeteilt. Zeitgenössische Objekte sind wenige zu sehen. Karl Markus Kreis betont in einer Publikation über Eugene Buechel (2004), dass sich das „Museum im unklaren Grenzbereich zwischen jesuitischen Erbe und lokaler Gemeinschaft“ befindet. Und tatsächlich erinnert es auch in der Ausstellung an seinen Gründer und beheimatet auch das in den 1970er Jahren angelegte Buechel Memorial Archive.
Red Cloud Indian School, Pine Ridge Reservation
Etwas mehr als 130 km westlich des Buechel Memorial Lakota Museum liegt die 1888 gegründete ehemalige Holy Rosary Mission, die 1969 in Red Cloud Indian School umbenannt wurde und sich heute als „erst indianische, katholische und jesuitische Institution“ in den USA bezeichnet (Red Cloud Indian School 2021a). Zur Schule, die ebenfalls einige Kilometer außerhalb der Reservationshauptstadt liegt, gehört das Heritage Center, ein Museum das auf zeitgenössische Kunst spezialisiert und auf Besucher ausgerichtet ist. Im Sommer findet hier eine jährliche Kunstausstellung statt, an der seit 1969 indigene Künstler*innen aus ganz Nordamerika teilnehmen und ihre Werke zum Verkauf anbieten. Im Souvenirshop können Besucher lokale Kunst und Kunsthandwerk kaufen.
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Wie auch in St. Francis war hier auf der Pine Ridge Indian Reservation eine einzelne Person maßgeblich für die Entwicklung der Institution verantwortlich. Br. C.M. Simon, SJ (1936-2006) war mit 22 Jahren in den Jesuitenorden eingetreten und sechs Jahre später nach Pine Ridge geschickt worden. Dort entwickelte er schnell Interesse an den Oglala-Lakota, die auf der Reservation leben. Offenbar lag ihm insbesondere viel an Kunst, weshalb er die erste Kunstausstellung mitorganisierte und sich von da an kontinuierlich der Entwicklung der Sammlung widmete, obwohl er eigentlich in der Verwaltung arbeitete (Anonymus 2006). 1974 wurde das Heritage Center gegründet, für das sich allerdings erst 1982 im historischen Schulhaus ein geeigneter Ort fand (Red Cloud Indian School 2021b).
Darüber hinaus war Br. Simon offenbar sehr gut vernetzt. Von ihm angelegte Konvolute von Flyern, Postern und anderen Materialien in der Sammlung der National Anthropological Archives und im Heritage Center selbst zeigen ein vielfältiges Bild vom sozialen Leben auf der Reservation. So ist es nicht überraschend, dass Brother Simon nicht nur dafür bekannt war, die Sammlung durch gezielte Ankäufe bei der Art Show zu erweitern, sondern auch aus sozialen Gründen lokalen Künstler*innen und Kunsthandwerker*innen zu unterstützen, indem er ihnen ihre Werke ganz abkaufte, wenn sie sie ihm anboten – ungeachtet der Qualität oder einer systematischen Sammlungsidee. Dabei legte er wenig Wert auf die Katalogisierung der etwa 10.000 Werke, die erst 2009 im Rahmen eines größeren Projektes abgeschlossen werden konnte (Red Cloud Indian School 2021c).[1]
Zwei Institutionen ergänzen sich
Die beiden auf Lakota-Reservationen beheimateten Institutionen sind heute nicht nur für sich einzigartig, sondern gerade in der Kombination beachtenswert. Auf der einen Seite befindet sich das Heritage Center der Red Cloud Indian School, das sich trotz alter Objekte in der Sammlung vor allem auf zeitgenössische Kunst spezialisiert hat, und in dem heute mehr Wert auf systematische Ankäufe legt, als es Brother Simon getan hat (Red Cloud Indian School 2021d). Es wird ergänzt durch das kleinere und weniger von Besuchern frequentierte Buechel Memorial Lakota Museum, in dem die traditionelle Kultur der Lakota und ein historischer Fokus den Schwerpunkt bilden. Was die beiden Institutionen gemeinsam haben, ist die durch indigene – nicht zwangsläufig Lakota – Verantwortliche organisierte Repräsentation der Lakota.[2] Dabei haben sie auch eine nach innen, auf die Lakota selbst wirkende Funktion im Sinne ihrer Gründer. Sie sind zugleich durch Individuen geprägte, positiv konnotierte Orte inmitten der oft durch negative Emotionen gekennzeichneten indigenen Missionsrezeption.
Fußnoten
[1] Zu Br. C.M. Simons Wirken gibt es bisher keine Literatur. Durch Gespräche, die ich immer wieder mit Personen führen konnte, die ihn kannten, und durch die Sichtung der Sammlung in den Anthropological Archives ergibt sich aber ein klares Bild eines Mannes, der sich sehr engagiert für künstlerische und soziale Aspekte im Lebend er Lakota interessierte.
[2] In größer Entfernung zu den beiden Museen liegt zusätzlich das Ákta Lakota Museum & Cultural Center der St. Joseph’s Indian School, die seit 1927 von der Kongregation der Priester des Heiligen Herzens betrieben wird. Dieses außerhalb von Reservationen liegende Museum zeigt in seiner Ausstellung eine Mischung von traditioneller Kultur und zeitgenössischer Lakota-Kunst. Es richtet sich vor allem an Touristen, obwohl es ursprünglich als pädagogischer Raum für die Schule gedacht war.
Über den Autor
Dr. Markus Lindner ist Ethnologe an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Selbst- und Fremdrepräsentation des indigenen Nordamerika (insbes. Lakota) in historischen Fotografien, Tourismus, materieller Kultur, zeitgenössischer Kunst und Museen.
Die Missionskeule. Eine Serie.
- Die Missionskeule: Eine internationale Spurensuche
- „Wie kommt die Indianer-Keule zu den Jesuiten?“ und andere Fragen der Projektstelle Missionsgeschichtliche Sammlungen
- Der Weg der Sioux-Steinhammerkeule: Wo sie angefertigt wurde – und wozu
- Deutsche Jesuiten bei den Lakota-Sioux – Eine vielschichtige Beziehung
- Respekt für Respekt: Eugen Büchel in Pine Ridge
- Sammeln und Ausstellen für die Lakota
- Die Suche nach der Wahrheit an der Red Cloud Indian School
- tbd
Bibliographie
Anonymus (2006): „C.M. Simon Obituary”. Rapid City Journal, 18.7.2006. Online: https://www.legacy.com/us/obituaries/rapidcity/name/c-m-simon-obituary?id=28275869 (zuletzt abgerufen am 28.2.2024).
Bucko, Raymond A. (2004): „Eugene Buechels ethnologische Sammlung“. In: Kreis, Karl Markus (Hg.): Ein deutscher Missionar bei den Sioux-Indianer. Der Sprachforscher, Ethnologe und Sammler Eugen Büchel/Eugene Buechel (1874 – 1954). Materialien zu Leben und Werk. Dortmund: FH Dortmund.
Bucko, Raymond und Kay Koppedrayer (2007): „Father Eugene Buechel’s Collection of Lakota Materials“. Material Culture 39(2): 17-42.
Red Cloud Indian School (2021a): „History”. Online: https://www.redcloudschool.org/page.aspx?pid=429 (zuletzt abgerufen am 28.2.2024).
Red Cloud Indian School (2021b): „Our Beginnings” Online: https://www.redcloudschool.org/page.aspx?pid=413 (zuletzt abgerufen am 28.2.2024).
Red Cloud Indian School (2021c): „Cataloguing and Preservation”. Online: https://www.redcloudschool.org/page.aspx?pid=414 (zuletzt abgerufen am 28.2.2024).
Red Cloud Indian School (2021d): „Our Collection”. Online: https://www.redcloudschool.org/page.aspx?pid=387 (zuletzt abgerufen am 28.2.2024).
St. Francis Mission Among the Lakota (2022): „The Buechel Memorial Lakota Museum“. Online: https://sfmission.org/museum/ (zuletzt abgerufen am 28.2.2024).
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Diese Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltkirche und Mission der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.
Inhaltliche Planung und Mitarbeit: Dr. Markus Scholz, IWM | Redaktion: Damian Raiser, weltkirche.de
Die Beiträge dieser Serie spiegeln ausschließlich die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder.