„Wie kommt die Indianer-Keule zu den Jesuiten?“
Frankfurt a. M. ‐ Über 50 völker- und naturkundliche Sammlungen sind hierzulande im Eigentum katholischer Missionsorden. Wie, warum und unter welchen Bedingungen sind sie entstanden – und enthalten sie geraubte Objekte? Eine Frage, die sich nicht immer einfach beantworten lässt.
Aktualisiert: 10.07.2024
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Dinge wie die Keule der nordamerikanischen Lakota, die bereits im Auftakt zu dieser Reihe vor vierzehn Tagen erwähnt wurde, finden sich zuhauf in den Sammlungen katholischer Ordenshäuser in Deutschland. Hierzulande gibt es rund 50 solcher Sammlungen, die sich in der Trägerschaft missionierender Orden befinden.
Manchmal sind es nur ein paar dutzend Objekte völker- oder naturkundlicher Art, die deutsche Missionare aus unterschiedlichen Gegenden der Welt mitbrachten oder nach Hause schickten; manchmal belaufen sich die so entstandenen Sammlungen jedoch auch auf mehrere hundert oder gar tausend Objekte. Und zwischen Gebrauchsgegenständen, Schmuck- und Ritualobjekten außereuropäischer Kulturen auf der einen und Insektenkästen, präparierten Tieren und Herbarbelegen auf der anderen Seite gibt es mitunter Dinge aus dem persönlichen Besitz einzelner Missionare, die man zu ihrem Andenken aufbewahrte, oder Schrift- und Zeichenproben indigener Kinder aus den Missionsschulen.
In diesem Sinne sticht die Lakota-Keule heraus, denn sie ist nicht Teil einer mehrere Objekte materieller Kultur umfassenden Sammlung, sondern fristet im Archiv der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten ein singuläres Dasein zwischen zahlreichen Regalmetern von historischen Schriftstücken und anderen papiernen Dokumenten. Nichtsdestotrotz wirft sie mit ihrem Vorhandensein dieselben Fragen auf, die für das Projekt Missionsgeschichtliche Sammlungen am Institut für Weltkirche und Mission im Hinblick auf zwei-, drei- oder gar vierstellige Objektbestände in Ordenshäusern oder so genannten Missionsmuseen von Bedeutung sind.
Unrecht und Grauzonen
Wenn man auf die Geschichte dieser missionsgeschichtlichen Sammlungen blickt, so zeichnen sich vor allem zwei Beweggründe für ihre Zusammenstellung ab. Manche wurden angelegt, um dem missionarischen Nachwuchs anschaulich vermitteln zu können, auf welche Spielarten der Natur und Kultur man nach Entsendung in ein Missionsgebiet treffen würde.
Öfter scheint jedoch eine Werbefunktion im Vordergrund gestanden zu haben, denn die missionierenden Orden waren für die Durchführung ihrer Arbeit vielfach auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung in der Heimatregion angewiesen, und so fand man in Ausstellungen ab dem späten 19. Jahrhundert ein attraktives Medium, um Spenden ein- und Novizen anzuwerben.
Das klärt allerdings noch nicht die Frage, wie die Objekte vor ihrem Transport nach Europa erworben wurden. Wie vollzog sich der Wechsel zwischen dem Missionar (seltener der Missionarin) und dem oder der Indigenen? Aus den Forschungen zu ethnologischen Sammlungen an öffentlichen Museen im Allgemeinen ist bekannt, dass bereits eine einzelne Sammlung von sehr unterschiedlichen Erwerbungsformen geprägt sein kann. Dinge wurden aufgelesen, gefunden, als Geschenke empfangen, getauscht, gekauft, gestohlen oder unter Anwendung von Zwang oder Gewalt entwendet.
Die Bestimmung der Erwerbsform dient, wenn sie sich denn rekonstruieren lässt, auch zur Beurteilung der Frage, wie rechtmäßig ein Gegenstand in den Besitz eines europäischen oder westlichen Sammlers gelangt ist und wie im Fall von Rückgabeforderungen zu reagieren wäre. Bei den auch in deutschen Feuilletons eifrig kommentierten Vorgängen um die Restitution der Benin-Bronzen an Nigeria wirft die Beurteilung keine größeren Schwierigkeiten auf, denn es steht fest: die Bronzen wurden im Zuge des britischen Militäreinsatzes zur Unterwerfung des Königreichs Benin aus dem Palast geraubt und später zum Teil in London versteigert.
Asymmetrische Machtverhältnisse
Bei einem Großteil der Sammlungen ist die Lage jedoch bei Weitem nicht so klar. In kolonialen Situationen gegen Ende des 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird man grundsätzlich davon ausgehen müssen, dass die Begegnung zwischen einheimischer Bevölkerung in Afrika, in Asien oder im Pazifik und Europäern nicht auf Augenhöhe stattfand, sondern von asymmetrischen Machtverhältnissen geprägt war, die westliche Sammler ausnutzen konnten. Dennoch hatten Indigene oft auch Handlungsspielräume und wussten diese für ihre Interessen zu nutzen.
Nicht selten findet man in deutschen Museen auch völkerkundliche Gegenstände, die extra für den Handel hergestellt wurden, weil die Indigenen eine europäische Nachfrage erkannten, und die insofern mehr über die Art des Kulturkontakts aussagen als über die kulturellen Traditionen und Merkmale der Einheimischen (letztere lagen im eigentlichen Erkenntnisinteresse der Ethnologie).
Im Falle von missionsgeschichtlichen Sammlungen stellt sich nun die Frage nach der Art und Weise, wie die Dinge erworben wurden, ebenfalls, und als heikel mögen Dinge erscheinen, die mit den traditionellen religiösen Vorstellungen der Einheimischen verbunden waren, etwa weil es sich um Ritualgegenstände handelte, die als spirituell aufgeladen galten. Hatte ein Missionar sie absichtlich an sich genommen, um vielleicht ein Ritual zu unterbinden, das er als unvereinbar mit dem Christentum ansah? Oder wurden diese Dinge freiwillig im Moment der Konversion abgegeben?
Hinzu kommt, dass sich die Rahmenbedingungen für Mission nicht nur von Region zu Region unterscheiden konnten (es gab Gebiete von stärkerer formeller Kolonialherrschaft und solche von eher informeller kolonialer Durchdringung), sondern dass sich auch das Missionsverständnis im Laufe des 20. Jahrhunderts stark veränderte: von nationalistisch oder imperialistisch geprägten Missionen zu Beginn des Jahrhunderts über Ansätze zu einer sich den kulturellen Gegebenheiten anpassenden Missionsweise in der Zwischenkriegszeit bis hin zu einer fundamentalen Neukonzeption des Missionsbegriffs im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Letzteres führte zu einer zunehmend interkulturellen Ausrichtung gerade der missionierenden Orden und fiel politisch mit der Phase der Unabhängigkeit vieler Länder in Afrika, Asien und dem Pazifik zusammen.
Daher stellt sich die Frage, wie die Angehörigen der missionierenden Orden unter diesen sich wandelnden internen und externen Bedingungen Dinge erwarben und nach Europa brachten: Spiegeln sich diese Bedingungen in den Sammlungen, d.h., sieht man es einer missionsgeschichtlichen Sammlung an, dass und auch wann und wo sie von Missionaren zusammengetragen wurde? Und sind diese Dinge, die sich zum Teil seit über hundert Jahren in Deutschland befinden, heute noch von Interesse für die Herkunftsgemeinschaften und Herkunftskirchen? Und wie verändert der Blick auf diese missionsgeschichtlichen Sammlungen unser Bild von Ordens- und Missionsgeschichte?
Schwierige Fragen, komplexe Befunde
Pauschal lässt sich das nicht beantworten, man muss im Falle jeder einzelnen Sammlung von Objekt zu Objekt gehen, um eine Bestimmung vorzunehmen: Von welcher ethnischen Gruppe wurde etwas hergestellt? Wie alt ist es? Handelt es sich um einen Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs oder ist er einem kultisch-rituellen Kontext zuzuordnen? Durch die Beantwortung dieser Fragen lässt sich eine Einschätzung vornehmen, unter welchen Umständen ein Objekt vermutlich den Besitzer wechselte.
Bei einfachen Gebrauchs- oder Schmuckgegenständen kann man tendenziell annehmen, dass eine Transaktion auf Augenhöhe stattgefunden hat; bei kultisch-rituellen Objekten darf man das bezweifeln, aber auch hier kann es Fälle geben, in denen Gegenstände etwa nur für den einmaligen Gebrauch in einem bestimmten Ritual vorgesehen waren, danach entsorgt wurden und die Veräußerung an Europäer den Einheimischen daher durchaus unproblematisch erschien.
Je nach Region, Epoche und Ethnie kann es sich aber auch um Gegenstände handeln, die nach indigenem Verständnis gar nicht von bestimmten Personen berührt oder gesehen werden dürften, sodass Ihr Vorhandensein in einer europäischen Sammlung den Schluss nahelegt, dass der Erwerb gewaltsam oder unter Zwang erfolgte.
Viele solcher Fälle lassen sich nicht abschließend klären. Auch die Einsicht in historische Dokumente und Archivalien, die mit der Entstehung einer Sammlung oder der Person eines Sammlers zu tun haben, helfen manchmal nur bedingt weiter. Gerade bei Dingen, die als problematisch eingestuft werden, ist es geboten, Kontakt mit Nachfahren der Herkunftsgemeinschaften oder Herkunftskirchen aufzunehmen, um gemeinsam mit Ihnen zu einer fundierten Beurteilung zu gelangen. Dies ist denn auch eines der Ziele der Projektstelle Missionsgeschichtliche Sammlungen am Institut für Weltkirche und Mission: über die Sammlungen in einen weltkirchlichen Dialog zu treten und gemeinsam auf dieses materielle Erbe der verbindenden Geschichte zu blicken.
Um nun abschließend auf die Keule zurückzukommen: Sie stammt wohl von den Lakota, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits auf Reservationen lebten, und unter denen deutsche Jesuiten als Missionare tätig waren. Sie ist hübsch verziert und ästhetisch durchaus ansprechend, doch unter die Kategorie „Raubkunst“ oder „Beutekunst“ wird man sie nicht fassen können. Sie erzählt eine andere Geschichte. Und die lesen wir im nächsten Beitrag dieser Reihe in vierzehn Tagen.
Über den Autor
Dr. Markus A. Scholz, Ethnologe und Historiker, promovierte über die Missionsgeschichte der Franziskaner im kolonialzeitlichen Peru und war als Kurator am Übersee-Museum Bremen tätig. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltkirche und Mission, wo er zu missionsgeschichtlichen Sammlungen forscht.
Die Missionskeule. Eine Serie.
- Die Missionskeule: Eine internationale Spurensuche
- „Wie kommt die Indianer-Keule zu den Jesuiten?“ und andere Fragen der Projektstelle Missionsgeschichtliche Sammlungen
- Der Weg der Sioux-Steinhammerkeule: Wo sie angefertigt wurde – und wozu
- Deutsche Jesuiten bei den Lakota-Sioux – Eine vielschichtige Beziehung
- Respekt für Respekt: Eugen Büchel in Pine Ridge
- Sammeln und Ausstellen für die Lakota
- Die Suche nach der Wahrheit an der Red Cloud Indian School
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Diese Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltkirche und Mission der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.
Inhaltliche Planung und Mitarbeit: Dr. Markus Scholz, IWM | Fotos: Silvia Braun, IWM; Dr. Markus Scholz, IWM; Damian Raiser, weltkirche.de | Redaktion: Damian Raiser, weltkirche.de