Father Buechel, S.J., in the Buechel Memorial Lakota Museum, n.d.
Eugen Büchel in Pine Ridge

Respekt für Respekt

Frankfurt a. M. ‐ Aus der Röhn zu den Lakota: Nach einer schweren Kindheit führte es Eugen Büchel zu nordamerikanischen Indigenen. Ein Gespräch über sein Erbe – und darüber, wie der Jesuit am Ort seines Wirkens erinnert wird.

Erstellt: 14.10.2024
Aktualisiert: 14.10.2024
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Cornelia Stieler und Sonja John im Gespräch über Eugen Büchel

Cornelia Stieler: Sonja, Du hast ja mehrere Jahre lang bei den Lakota auf der Pine Ridge Indian Reservation gelebt und dort auch ein Master-Studium in Lakota Leadership and Management abgeschlossen. Lange war Pine Ridge auch die Wirkstätte von Eugen Büchel. Welche Resonanz hast du bei den Lakota auf ihn erlebt? Wie reden sie über ihn?

Sonja John: Ich war überrascht, wie durchwegs positiv von Eugen Büchel berichtet wird. Schließlich war er ja auch ein Missionar bei den Missionarsschulen, die seit Jahrzehnten für ihre Disziplinierungspraktiken heftig kritisiert werden. „Kill the Indian, save the man“ war lange das Mantra, unter dem indigene Identität und Lebensweisen gebrochen und teils ausgelöscht wurden. Erst dachte ich, sie sprechen vielleicht aus Höflichkeit nicht schlecht über meinen Landsmann. Aber über die Jahre habe ich keine einzige negative Äußerung gehört und die positiven wurden substantiiert. Anerkennend wurde erwähnt, dass Pater Büchel die Menschen vor Ort sehr respektvoll behandelte, ihre Anliegen ernst nahm und sie unterstützte. In einer Umgebung und in einer Zeit, in der die indigene Lebensweise als nicht nur überflüssig, sondern als auslöschenswert galt, hat er Lakota Traditionen, Kultur und Sprache geschätzt und teils bewahren wollen. Das wird ihm hoch angerechnet.

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Stieler: Was sind die wichtigsten Resultate seiner Arbeit, die Wirkung bei den Lakota erzielt haben? 

John: Rein materiell gesehen zählen zu seinem Vermächtnis sicherlich seine linguistischen Arbeiten über die Lakota-Sprache in Form von einem Wörterbuch, einer Grammatik und einer Textsammlung von überlieferten Geschichten und Mythen. Diese Bücher werden heute noch im Oglala Lakota College und anderen indigenen Hochschulen in den Lakota Studies Departments verwendet. Die Fotos, die er von den Menschen in seinen Gemeinden machte, werden nun online unter den Nachfahren geteilt. Zudem hat er u.a. Pflanzen und Gegenstände des täglichen Gebrauchs gesammelt, die heute im Buechel Memorial Lakota Museum gezeigt und im Unterricht genutzt werden. Zudem brachte er die Christianisierung nachhaltig voran. Das gelang ihm vor allem durch die von ihm ausgewählten und ausgebildeten Katecheten, die in den Gemeinschaften angesehen waren und denen vertraut wurde. Auch mit Black Elk verband ihn eine lange und respektvolle Beziehung. Pater Büchel begegnete den Lakota auf Augenhöhe. Ihm war es ein Anliegen, seine Mitmenschen zu verstehen. Er hat lange Gespräche mit ihnen geführt. Das war eine ganz andere Herangehensweise als viele seiner Zeitgenossen und Glaubensbrüder und -schwestern an den Tag legten. Ich frage mich, ob das auch etwas mit Klasse, also mit seiner Herkunft und Biografie, zu tun hat.  

Nicholas Black Elk, Sr., 1940
Bild: © Holy Rosary Mission - Red Cloud Indian School Collection, , MUA_HRM_RCIS_00039, Archival Collections, Raynor Library, Marquette University.

Nicholas Black Elk, Sr., 1940 (Medizinmann und Missionar)

Stieler: Seine eigene Biografie hat sicherlich auf seine spätere Berufung Einfluss genommen. Sprache ist ja mehr als ein Kommunikationsmittel, sondern ist vor allem ein Ausdruck der eigenen Identität. Sprache und Identität sind untrennbar miteinander verbunden. Eugen Büchels Lebensweg war hart, er hatte alles andere als eine unbeschwerte Kindheit. Als er geboren wurde, hatten die Eltern bereits vier Kinder verloren. Und auch er verlor mit nur sieben Jahren seinen Vater und ein Jahr später schon seine Mutter. Mit acht Jahren war er Vollwaise. In seinem Umfeld wurde ein starker Rhöner Dialekt gesprochen. Man kann davon ausgehen, dass die Dorfkinder noch kein Hochdeutsch gelernt bekamen. Mit 12 Jahren schickte man ihn dann ins Knabenseminar nach Fulda. Mit diesem Ortswechsel ließ er alles zurück, was sein früheres Leben ausgemacht hatte. Es war das Zurücklassen von Heimat, inklusive seiner gewohnten Vater- und Muttersprache. In Fulda spricht man relativ Hochdeutsch mit einem Rhöner Einschlag. Aber verglichen mit dem Dialekt in Schleid ist es wie eine Fremdsprache. Nun stand der Zwölfjährige „in einer neuen Welt“, ohne Eltern, ohne vertraute Sprache. Ich glaube, dass ihm diese Erfahrung eine besondere Sensibilität für die Notwendigkeit von Muttersprache für Kinder in Trennungssituationen gegeben hat. Die Kinder in den Missionsschulen sind ja damals auch im Internat gewesen. Er wollte sie vermutlich nicht genauso entwurzeln, wie er entwurzelt worden war. Weißt du eigentlich, wie er die Sprache konkret gelernt hat? Mit welchen Materialien, welchen Methoden?

John: Ganz sicher bin ich mir nicht. Es gab zu dieser Zeit schon ein Wörterbuch für Dakota, was ein Dialekt derselben Sprache ist. Vielleicht hatte er dazu Zugang. Hauptsächlich lernte er im täglichen Austausch mit den Lakota. Sein Nachlass lässt darauf schließen, dass er sich alle Wörter aufschrieb, kategorisierte und systematisierte. So konnte er seinen Wortschatz erweitern. Das war nur im engen und regelmäßigen Austausch mit seinen Mitarbeitern, vor allem den Katecheten und seinem weiteren Lakota Umfeld möglich. Ähnlich ging er mit der Grammatik vor. Er analysierte die Satzstrukturen, die ihm begegneten, systematisierte und beschrieb sie. Das half ihm beim Lernen. Vor allem war es aber seine Motivation, die Lakota mit ihrem philosophischen und spirituellen Hintergrund wirklich zu verstehen, die seinen Erfolg beim Erlernen der Sprache mitbegründet.

Stieler: Wie wir wissen, gibt es neben der Bibel und den Wörterbüchern auch botanische Werke von ihm. Er hat wohl Pflanzen gesammelt und botanische Übersichten erstellt. In einer Zeit, in der ökologische Fragen, Bewahrung von Schöpfung wieder stärker im Blick sind, wäre es aber auch interessant, sich zu fragen: Welche Relevanz haben diese Werke heute noch?

John: Diese Sammlung ist tatsächlich sehr umfänglich und relevant. Eugen Büchel sammelte um 1920 Pflanzen und trug die Bezeichnungen auf Latein, Lakota und Englisch ein. Dieses Wissen und diese Übersicht wird heute von Lehrenden der Indigenous Studies und Biologie auf den Reservationsuniversitäten und auch in staatlichen Hochschulen verwendet. Sie sind aussagekräftig in Bezug auf indigenes Wissen, traditionelle Medizin, Ökologie und Biologie im Allgemeinen.

Stieler: Hast du auch Menschen in Folgegenerationen getroffen, die über Generationen hinweg von seinem Wirken profitiert haben?

John: In der einen oder anderen Form, direkt oder indirekt, hat sich die Bewahrung kulturellen Wissens auf das Leben vieler Lakota ausgewirkt. Beispielsweise wirkte an dem Buch Lakota Tales and Texts auch der Katechet Ivan Stars mit. Sein Enkel und großer Intellektueller Ivan Starr (Ivan Star Comes Out) betreute meine Master-Arbeit über die Relevanz von Oral History bei den Lakota. Er hatte selber noch unter dem Rassismus in der Holy Rosary-Missionsschule gelitten und ist ins Militär geflüchtet. Trotz seiner diskriminierenden Erlebnisse, die er als Lakota Muttersprachler mit Armutshintergrund erlebte und dafür zuweilen auch pauschal die katholische Kirche verantwortlich machte, hat er stets anerkennend über Eugen Büchel gesprochen.

Father Eugene Buechel, S.J., celebrating mass, n.d.
Bild: © Holy Rosary Mission - Red Cloud Indian School Collection, , MUA_HRM_RCIS_00058, Archival Collections, Raynor Library, Marquette University.

Father Eugene Buechel, S.J., director of St. Francis Mission and superior of its Jesuit community, celebrating mass, n.d.

Stieler: Wird vor Ort noch bewusst an Eugen Büchel erinnert? 

John: Auf der Pine Ridge Reservation weniger, aber auf der Rosebud Reservation wurde ihm ja sogar ein Museum mit seinem Nachlass gewidmet: das Buechel Memorial Lakota Museum (s. Foto).

Stieler: Welche Antworten in Eugen Büchels Wirken stecken für die Herausforderungen unserer Zeit?

John: Konkret sehe ich zwei Herausforderungen, auf die mit Büchel geantwortet werden könnte. Zum einen gibt es weiterhin ein Bestreben, andere Menschengruppen zu „retten“, zu „zivilisieren“, zu missionieren und zu einer anderen Glaubens- und Lebensweise zu bekehren. Zudem leben wir in einer kapitalistischen Weltordnung, in der jegliche Ressourcen monetarisiert werden. Auch Kulturgüter wie indigenes Wissen, indigene Kultur, Religion und Sprache werden zu Produkten kommodifiziert und verkauft. Diese Bestrebungen sind häufig gut gemeint und treten in unterschiedlichen Gewändern auf: Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Linguist*innen, non-profits, religiöse oder spirituelle Gemeinschaften. Dabei wird sich häufig nicht an die Grundregeln des Umgangs mit indigenen Gruppen nach den drei Rs gehalten: respect, relationship, reciprocity. Damals hatte man noch nicht von den drei Rs gesprochen, aber rückblickend kann man sagen, dass sich Eugen Büchel forschungsethisch nach heutigen Standards verhalten hat:

Respect: Er ist selbstverständlich respektvoll mit seinen Gegenübern umgegangen.
Relationship: Er hat mit den Menschen gewohnt und dauerhafte Beziehungen aufgebaut und gepflegt.
Reciprocity: Was er gesammelt und (als Geschenke an-) genommen hat, hat er für die Lakota aufbewahrt und gepflegt. Die Bücher, die unter seinem Namen erschienen sind, hat er nicht zu seinem Ruhme, sondern für den Wissenserhalt für die Lakota geschrieben.

Über den Gesprächspartnerinnen

Cornelia Stieler ist Kommunikationspsychologin, Systemischer Coach und Wirtschaftsmediatorin mit eigener Akademie. Als Großnichte Eugen Büchels hat sie sich intensiv mit seiner Biografie befasst und beschäftigt sich mit Fragen seines materiellen und immateriellen Nachlasses.

Sonja John ist Professorin für Politikwissenschaften und Soziologie an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit. Sie absolvierte u.a. das MA-Programm in Lakota Leadership und Management am Oglala Lakota College auf der Pine Ridge Reservation.

Keule aus Nordamerika
Bild: © Braun/IWM

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Diese Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltkirche und Mission der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.

Inhaltliche Planung und Mitarbeit: Dr. Markus Scholz, IWM Redaktion: Damian Raiser, weltkirche.de

Die Beiträge dieser Serie spiegeln ausschließlich die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder.