Indigene Schulkinder mit Jesuiten vor einer Statue des Heiligsten Herzens Jesu in South Dakota (Boarding School)
Eine vielschichtige Beziehung

Deutsche Jesuiten bei den Lakota-Sioux

Frankfurt a. M. ‐ Ab 1886 wirkten deutsche Jesuiten in der Lakota-Mission in South Dakota. Sie versuchten dort Missionierung und Erziehung zum Handwerken zu verbinden. Trieben sie die kulturelle Assimilation der Lakota voran? Die Antwort ist vielschichtig – und nicht unumstritten.

Erstellt: 26.07.2024
Aktualisiert: 26.07.2024
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Von P. Klaus Schatz SJ

Mission unter den nordamerikanischen Indigenen im 19. Jahrhundert war nicht an der US-Regierung vorbei möglich. Die „Indian Peace Policy” von Präsident Grant von 1869, die praktisch für die Indigenen das Prinzip „Cuius regio, eius religio” verkündete (in jeder Reservation sollte nur eine Religionsgemeinschaft wirken können) war zwar am Widerstand sowohl der Katholiken wie der Protestanten gescheitert und 1881 definitiv aufgegeben worden. Aber die US-Regierung bemühte sich, die Missionen in den Dienst ihrer „Indianerpolitik“ zu stellen. Dazu gehörte vor allem Sesshaftmachung durch Ackerbau und zu diesem Zwecke Erziehung in Schulen, die vor allem praktische Fähigkeiten vermittelten. Die Indigenen Nordamerikas ihrerseits wünschten häufig „Schwarzröcke”, d.h. Jesuiten.

Hier spielten einmal historische Erinnerungen mit. Hinzu kam, dass katholische Priester im allgemeinen und Jesuiten im Besonderen nicht einfach als Agenten der US-Regierung galten und doch als einflussreich genug, um sie gegen die Weißen zu beschützen. Was speziell die deutschen Jesuiten betraf, so konnten sie infolge des Jesuitengesetzes Bismarcks von 1872 nicht in der Heimat wirken; es wurden also missionarische Kapazitäten frei. Und seit 1869 hatte die Deutsche Ordensprovinz sowieso in den USA ein großes „Missionsgebiet”: die „Buffalo-Mission” im Bereich der Großen Seen, in erster Linie für die Seelsorge unter den deutschen Einwanderern. Es waren Benediktiner, welche die deutschen Jesuiten nach South Dakota riefen und sie in Sprache, Gebräuchen und bisheriger Missionierung der Lakota-Sioux unterwiesen.

So begann 1886 durch P. Johannes Jutz und Bruder Ursus Nunlist die Saint Francis Mission in Rosebud; zwei Jahre später folgte, ebenfalls durch diese beiden gegründet, die Holy Rosary Mission in Pineridge. In den folgenden Jahrzehnten wirkten in diesen beiden Missionsstationen 2-3 Patres, dazu aber je 6-10 Brüder. Letzteren oblag die Hauptarbeit: sie bauten die Kapellen, sorgten für den Unterhalt und unterwiesen die indigenen Kinder in den Handwer­ken­, während der Schulunterricht durch Franziskanerinnen von Heydhausen gegeben wurde.

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Wie in den alten Jesuiten-Reduktionen in Paraguay suchte man Missionierung und Er­ziehung zu Acker­bau und Handwerken miteinander zu verbin­den. Man wollte die „Indianer“ durch Arbeit selbständig machen und nicht zu Bettlern, die von Geschenken der Regierung lebten. Die Unterweisung in der Schule (außer im Religionsunterricht) musste auf Englisch sein, schon weil es sich um staatliche Schulen handelte, die den Missionaren durch Kontrakt übertragen wurden; auch in den Pausen sollten die Schüler miteinander Englisch sprechen, was sich freilich nicht durchsetzen ließ oder man nicht unbedingt durchsetzen wollte. Wie ebenfalls in den alten Reduktionen schuf man ein möglichst autarkes Wirtschaftssystem; produziert wurde für die Mis­sion.

Aus der Sicht der Missionare stellte sich das Problem, dass die in den Schulen­ erzogenen Kinder häufig, wenn sie zu ihren Familien zurück­kamen, in die Gewohnheiten des traditionellen Milieus zurück­fielen. Aber noch schwieriger war es, die Erwachsenen zu mis­sionieren, zumal da sie in den „Camps“ weit verstreut wohnten und meist nur einmal im Jahr aufgesucht werden konn­ten. Am Ende war etwa ein Drittel der Lakota Christen. Die Ausbildung von Katechisten, die dann die einzelnen verstreut wohnenden Camps aufsuchten und einen wesentlichen Teil an der allmählichen Christianisierung hatten, begann freilich erst am Ende der „deutschen” Periode.

Indigene Schulkinder mit Jesuiten vor einer Statue vom Heiligsten Herzen Jesu in South Dakota (Boarding School)
Bild: © Courtesy Mahpiya Luta and Marquette University Raynor Library. Holy Rosary Mission – Red Cloud Indian School Records, Series 6-1, MUID #T 71350

Schuljungen der Holy Rosary Mission Indian School gemeinsam mit einigen Jesuiten vor einer Statue des Heiligen Herzens Jesu. Hinweis des Archivars: Das Heilige Herz Jesu war ein beliebtes Andachtsbild unter den Jesuiten. Bildhinweis: Courtesy Mahpiya Luta and Marquette University Raynor Library. Holy Rosary Mission – Red Cloud Indian School Records, Series 6-1, MUID #71350

Die vieldiskutierte Frage, ob die Jesuiten kulturelle „Assimilation” der Indigenen in die Welt der Weißen anstrebten oder die Lakota-Kultur mit ihren Traditionen und Werten zu bewahren suchten, dürfte in dieser globalen Fragestellung nicht zu beantworten sein. Sicher trifft die Formel vom „wohlwollenden Paternalismus” der Jesuiten gegenüber den Indigenen zu, sofern man sie nicht einfach als herablassende Haltung, sondern als Bemühen um Verständigung versteht. P. Florentin Digmann schreibt 1891: „Die Indianer sind große Kinder... und müssen als solche behandelt werden mit großer Geduld, gepaart mit großer Festigkeit. Kinder aber, heißt es, sind kleine M e n s c h e n. Diese rothen Kinder haben ein sehr feines Gefühl für Gerechtigkeit und brüderliche Liebe. Sie müssen es einem abfühlen, daß man‘s ehrlich und gut mit ihnen meint, und sie haben Vertrauen und lassen sich leiten”. Im Allgemeinen wurde vonseiten der Indigenen anerkannt, dass die sogenannten „Schwarzröcke” ihnen mit mehr Verständnis und Respekt begegneten als die meisten anderen Weißen.

In Konflik­ten, deren dramatischer Höhepunkt das Massaker vom Wounded Knee vom 29. Dezember 1890 war, das speziell die Holy Rosary Mission „zwischen den Fronten“ sah, wurden die Jesuiten von den Sioux keineswegs mit der Sache der Weißen identifiziert; die Verhandlungen fanden im Gebäude der Mission als „neutralem Boden“ statt. Im Übrigen war das Verhältnis der Jesuiten zur „Lakota-Kultur” nicht von einem generellen Konzept, sondern pragmatisch vom Einzelfall bestimmt. Galten auch die Medizinmänner als Werkzeuge des Teufels, so verur­teilte man anderseits nur ihre „abergläubischen“ Riten, erkannte jedoch ihre Kompetenz und Erfahrung im Gebrauch von Heilpflanzen an. Gegen den Brauch, bei Festen Geschenke im Übermaß zu geben und sich so einen Namen zu machen, setzten die Jesuiten das christliche Prinzip, den wirklich Bedürftigen zu geben, aber im Verborgenen. Eine eigentliche indigene katholische Identität entwick­elte sich nicht geplant, sondern mehr unbewusst durch Übernahme einheimischer Sozialformen. Dies geschah vor allem in den seit 1890 jährlich im Juni für jeweils vier Tage stattfinden­den Kongressen der katholischen Sioux, die einerseits an europäische (deutsche Katholikentage) und amerikanische kirchliche Sozialisationsformen anknüpften, anderseits typische Traditionen der Sioux wie den „Sonnentanz” im Juni übernah­men. Der Versuch von Bischof Martin, aus Kostenersparnis künftig vier kleinere Kongresse stattfinden zu lassen, scheiterte 1893 am Widerstand der Sioux, die gerade auf das Erlebnis der größeren Gemeinschaft Wert legten.

Keule aus Nordamerika
Bild: © Braun/IWM

1907 wurde die Buffalo-Mission von der Deutschen Provinz gelöst, während die „Indianermission“ in South Dakota 1909 an die neu geschaffene Kalifornische Provinz kam. Eine intensivere „Inkulturation” in die Lakota-Kultur geschah später, einerseits durch einheimische Katechisten wie Nicholas Black Elk, anderseits durch den deutschen Jesuitenpater Eugen Büchel.

Hinweis: Mit Nicholas Black Elk und Eugen Büchel SJ beschäftigen wir uns in späteren Kapiteln.

Über den Autor

Pater Klaus Schatz SJ trat 1962 in den Jesuitenorden ein und studierte zunächst in Münster und Sankt Georgen. 1975 erwarb er ein Doktorat für Kirchengeschichte an der römischen Gregoriana-Universität und lehrte im Anschluss an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Der emeritierte Professor hat zahlreiche grundlegende Werke zur Geschichte des Ersten Vatikanischen Konzils (1869-1870) und zum päpstlichen Primat verfasst. Zu seinen Hauptwerken zählt aber auch der Band „Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte“ (1996). 2013 legte Schatz eine fünfbändige „Geschichte der deutschen Jesuiten“ von 1814 bis 1983 vor. Zuletzt veröffentlichte er die spannungsreiche Geschichte der Jesuiten in der Schweiz, in Österreich und in Schweden.

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Diese Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltkirche und Mission der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.

Inhaltliche Planung und Mitarbeit: Dr. Markus Scholz, IWM Redaktion: Damian Raiser, weltkirche.de

Die Beiträge dieser Serie spiegeln ausschließlich die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder.