Der Weg der Sioux-Steinhammerkeule
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Wo sie angefertigt wurde – und wozu

Der Weg der Sioux-Steinhammerkeule

Stuttgart ‐ Kann ein Holzstiel, ein Loch oder ein Stück Tierhaut Auskunft darüber geben, woher die Steinkopfkeule vom Dachboden des Jesuitenkollegs in Pullach stammt? Dr. Nikolaus Stolle ist Experte für Geschichte und Kulturen Nordamerikas – und hat eine Antwort.

Erstellt: 10.07.2024
Aktualisiert: 10.07.2024
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Von Nikolaus Stolle

In den spärlich bewaldeten Regionen des indigenen Nordamerikas, wie den nördlichen Plains, bevorzugte man zur Herstellung von Schlagwaffen natürlich vorkommende Steine als Keulenköpfe. Diese Steine schliff man meist ovoid, durchbohrte sie in der Mitte, um sie mit einem hölzernen Stiel zu schäften, der einem dickeren Pfeilschaft gleicht. Anschließend nähte man Stiel und Stein in Rohhaut, oder ungegerbte Tierhaut ein, die nach dem Trocknen eine stabile Verbindung ergibt. Diese äußerst effiziente, flexible Schlagwaffe ähneln in ihrer Konstruktion den gewöhnlichen Steinhämmern mit kurzem Stiel, deren Köpfe aber nicht durchbohrt waren.

Keule aus Nordamerika
Bild: © Braun/IWM

Frauen verwendeten die Hämmer als Werkzeuge, um etwa Knochen zu zerstoßen und das Mark mit Fett zuzubereiten[i]. Archäologische Funde belegen einen sehr langen Gebrauch dieser Steinhämmer. Die frühsten, euro-amerikanischen Beschreibungen der langstieligen Schlagwaffen stammen hingegen erst aus dem 19. Jahrhundert.

Der Naturforscher Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied äußert sich in seinem Reisebericht über die Keulen der Assiniboin, oder nördlichen Plainsbewohner, 1833 wie folgt: „Ihre Streitkolben und Streitäxte sind von mancherlei Art. Manche haben einen dicken eiförmigen Stein an einem Stocke befestigt, mit Leder[ii] überzogen, oder auch ohne Leder“, wie ein beigefügter Holzschnitt zeigt (1841(2): 202). Diese Illustration ähnelt aufgrund des kurzen Stiels aber eher einem Steinhammer als einer Steinhammerkeule. Neben dieser Beschreibung liefert Wied auch indigene Bezeichnungen für diese Kopfbrecher, die er als „von Stein mit Leder überzogen“ bei den Mandan als „Míh-Kaské“ sowie bei den A’aninin (Arapaho/Gros Ventre) als „Biï-dakútse“ oder „Wa-óh-upake“ wiedergibt (1841(2): 526, 573).

Ihre Verwendung als Paraphernalien, in abgewandelter Form, mit einem über den Steinkopf überragenden Stiel, bei einigen Bünden der nördlichen Plains und des oberen Missouris, wie der Steinhammergesellschaft, belegen zudem einen religiösen Gebrauch.

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Mit dem Kontakt zwischen Europäern und Indigenen ging neben der Suche nach Ressourcen und Siedlungsland ein Interesse an deren Kulturen und ihren materiellen Zeugnissen einher. Nicht nur rohe Felle und Häute wurden verhandelt, sondern zunehmend auch Ethnographica. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert begannen Indigene besonders verzierte oder auch rein nützliche Gegenstände wie Körbe, Matten und Tongefäße nicht nur für den intertribalen, sondern auch für den euroamerikanischen Markt zu produzieren.

Die Nachfrage bestimmt den Markt, und Indigene partizipierten daran. Für figürlich bemalte Bisonfelle erzielte man zum Beispiel den zehnfachen Preis wie für unverzierte, rohe Felle, und es widerstrebte den männlichen Trägern nicht, ihre Kriegsleistungen einem breiten Publikum zugänglich und sich damit namentlich bekannt zu machen. Anhand der typischen piktographischen Darstellung ließen sich nämlich ihre Träger über die Kommunitäten hinaus leicht erkennen. Gewiss nur, wenn man auch mit dieser Darstellungsweise vertraut war und sie lesen konnte.

„Je aufwendiger verziert, desto höher der Preis“

—  Zitat: Dr. Nikolaus Stolle, Linden-Museum Stuttgart

Dieser Markt expandierte im 19. Jahrhundert, als Euroamerikaner in großen Mengen indigene Touristenkunst erstanden, um sich durch interessante Andenken an ihre fernen Reiseziele wie die Niagara Falls zu erinnern (Phillips 1998). Von dieser Entwicklung blieben die Plains nicht verschont, und durch die erzwungene dauerhafte Bleibe in zugeordneten, kleinen Landparzellen, oder Reservaten, produzierten zunehmend indigene Frauen wie Männer aufwendig verzierte Kulturgüter für den internationalen Handel. Zwischenhändler spezialisierten sich auf den wachsenden Markt, und boten in gedruckten Katalogen alles, angefangen bei mit Perlen bestickten Mokassins, Beinlingen und mit Menschenhaar besetzten Hemden über Adlerfederhauben und Reitzubehör für hohe Preise an. Ein ledernes Kriegshemd mit bestickten Dekorstreifen und angehängten Menschenhaarlocken kostete 50 US-Dollar[iii] (Indian Exhibit Company 1910).

Je aufwendiger verziert, desto höher der Preis, und einst schlicht und funktional gehaltene Gegenstände wurden zusätzlich ausgeschmückt. In diesem Zusammenhang entstanden mit Glasperlen verzierte Steinhammerkeulen, die sich in den Verkaufslisten finden lassen. Der britische Ethnographica-Händler William Downing Webster (1868-1913) bot sie in seinen gedruckten Verkaufskatalogen bereits 1897 feil. Damals kosteten sie rund 3,30 Pfund[iv] (Webster 1897(11): 1f.). Seine nachfolgenden Kataloge enthalten statt der Objektzeichnungen Fotos, die just dieselben Steinhammerkeulen abbilden, die als „Club, with white stone head ornamented with feathers, handle of wood covered with raw hide and ornamented with hair and beads“ beschrieben und für 2,10 Pfund angeboten wurden (Webster 1898(19): no. 169).

„Anhand der genannten Daten lässt sich die touristische Steinhammerkeule des Jesuitenkollegs gesichert zwischen 1890 und 1920 datieren“

—  Zitat: Dr. Nikolaus Stolle, Linden-Museum Stuttgart

Das folgende Beispiel zeigt eine solche, aufwendig mit Glasperlen verzierte Steinhammerkeule der Sioux, Abb. 1. Der einstigen Funktion als Waffe enthoben, sollte sie ihrem neuen Besitzer als Andenken dienen. Sie ist aus einem ovoid geschliffenen Stein mit teilweise belassener kristalliner Struktur gearbeitet, was sie besonders macht. Der dünne, hölzerne Stiel ist in die zentrierte Bohrung der steinernen Ellipse eingelassen, in Wildleder statt Rohhaut eingenäht und scheinbar zufällig mit bunten kleinen Glasperlen, die auf Sehne aufgefädelt sind, abgewickelt. Diese charakteristische Verzierung bezeichnen Ethnologen als Harlekin, da das Muster an ein typisches Clownskostüm erinnert, das sich bunt und unruhig über einen weißen Grund erstreckt.

Steinkopfkeule
Bild: © Braun/IWM

Reich verziert und mit teilweise belassener kristalliner Struktur: Diese Steinkopfkeule wird im Institut für Weltkirche und Mission (IWM) genau unter die Lupe genommen.

Ein über das untere Ende des Stiels überragender, trapezoid geschnittener, bestickter Lederanhänger läuft in zwei angebundenen Weißblechhülsen aus, die mit roter Wolle gefüllt sind. Ursprünglich war dieser überstehende Teil gelocht, um die Fangschlaufe zu befestigen. Die Keule misst 71,5 cm in der gesamten Länge.

Wenig lässt sich über die Provenienz dieser Schlagwaffe gegenwärtig sagen, da die Geschichte, wie bei so vielen Andenken schlecht oder überhaupt nicht dokumentiert ist. Um 1964 fand sie ein Student an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten auf dem Dachboden des Pullacher Berchmanskollegs. Er nahm sich ihrer an und restaurierte den gebrochenen Stiel. In Form und Dekoration erinnert sie an ein besser dokumentiertes Stück im Linden-Museum Stuttgart.

Steinkopfkeule Linden-Museum Stuttgart Inv.-Nr.: 113319
Bild: © Nikolaus Stolle/Linden-Museum Stuttgart (Inv.-Nr.: 113319)

Woher kommt die Keule der Jesuiten? Dieses ähnliche, besser dokumentierte Objekt im Linden-Museum Stuttgart gibt Hinweise.

Diese touristische Steinhammerkeule stammt aus dem Nachlass des amerikanischen Künstlers Charles Schreyvogel (1861-1912), der eine größere Sammlung nordamerikanischer Ethnographica zwischen 1893 und 1907 erworben hat, um sie teilweise als Studiovorlagen für seine Gemälde zu nutzen (Schulze-Thulin 1992: 22, 62ff.). Die Keule trägt die Inventarnummer 113319 und ist in der Originalliste als Nummer 226 „War club stone, Sioux“ geführt, als sie 1912 von New York über Bremen nach Stuttgart versendet wurde.

In ihrer Ausführung entspricht sie einer Reihe weiterer Steinhammerkeulen, die sich im National Museum of the American Indian, Washington DC befinden und zwischen 1913 bis 1922 eingegangen sind (Inv.-Nr.: 3/4977, 4/5099, 6/3041, 8/7982, 11/6103). Anhand der genannten Daten lässt sich die touristische Steinhammerkeule des Jesuitenkollegs gesichert zwischen 1890 und 1920 datieren (vgl.: Baldwin 2001: 61f.).

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Über den Autor

Dr. Nikolaus Stolle ist Kurator für Latein- und Nordamerika am Linden-Museum Stuttgart und hat sich auf die Geschichte Nordamerikas und die Kulturen der amerikanischen Ureinwohner sowie ihre materiellen Zeugnisse spezialisiert. Gegenwärtig widmet er sich einer partizipativen Grundlagenforschung der ältesten Lateinamerikasammlungen. Er ist Mitbegründer des Projekts CRoyAN (Collections Royales d’Amérique du Nord) am Musée du quai Branly-Jacques Chirac, Paris. Dieses Vorhaben hat sich zur Aufgabe gemacht, die königlichen Sammlungen zielführend zusammen mit den Herkunftskulturen aufzuarbeiten. Stolle lehrte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er auch promoviert hat.

Bibliographie

Baldwin, John
2001 Indian War Clubs of the American Frontier. West Olive, MI: Early American Artistry Trading Company.

Coues, Elliott (Hrsg.)
1897 The Manuscript Journals of Alexander Henry, Fur Trader of the Northwest Company, and of David Thompson, Official Geographer and Explorer of the same Company. Bd. 1. New York: Francis P. Harper.

Indian Exhibit Company
1910 Catalogue of Indian Exhibits Company. New York.

Phillips, Ruth Bliss
1998 Trading Identities: The Souvenir in Native North American Art from the Northeast, 1700-1900. University of British Columbia.

Schulze-Thulin, Axel
1992 Indianer des Westens Nordamerikas (1870-1900). Die Schreyvogel-Sammlung im Linden-Museum Stuttgart. Stuttgart: Dr. Cantz’sche Druckerei.

Webster, William Downing
1897 Catalogue of Ethnographical Specimens, European and Eastern Arms and Armour. Or historic and other Curiosities on sale by W. D. Webster. Oxford house. Bicester. Oxon. England.

1898 Catalogue of Ethnographical Specimens, European and Eastern Arms and Armour. Or historic and other Curiosities on sale by W. D. Webster. Oxford house. Bicester. Oxon. England.

Wied, Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied
1841 Reise in das Innere Nord-America in den Jahren 1832 bis 1834. Bd. 2. Koblenz: J. H. Œlscher.

Diese Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltkirche und Mission der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.

Inhaltliche Planung und Mitarbeit: Dr. Markus Scholz, IWM Redaktion: Damian Raiser, weltkirche.de