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Muss Europa den amerikanischen Kontinent um Vergebung bitten?
Bogota ‐ „Die ‚Entdeckungs-Doktrin' ist nicht Teil der Lehre der katholischen Kirche“, teilte der Vatikan vergangene Woche mit Blick auf Amerika mit. Boliviens Ex-Präsident Evo Morales fordert nun eine Entschuldigung der Europäer.
Aktualisiert: 03.04.2023
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Als Gerard Depardieu im Filmklassiker „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ die Rolle des Christoph Kolumbus spielte, reagierten die Historiker sehr zurückhaltend. Der Film stelle den Entdecker zu positiv dar, hieß es 1992 – 500 Jahre nachdem der italienische Seefahrer erstmals seinen Fuß auf – wie es heute heißt – lateinamerikanischen Boden setzte.
Zentraler Bestandteil des Films war neben der Kolumbus-Figur auch die Rolle der Kirche und der spanischen Krone, die die Verbreitung des katholischen Glaubens als wichtigen Machtfaktor sah. Die Filmmusik des Komponisten Vangelis machte den Film weltberühmt. Die Perspektive der indigenen Völker, für die mit Kolumbus' Reise letztlich eine bis heute andauernde physische und kulturelle Zerstörung begann, kam dagegen in dem Streifen nur am Rande vor.
Um genau die geht es nun aber in einer neuen Debatte, die der Vatikan ausgelöst hat: Vergangene Woche rückte er vom historischen Narrativ einer „Entdeckung Amerikas“ durch die Europäer ab. In einer gemeinsamen Erklärung der Vatikanbehörde für Erziehung und Kultur und der vatikanischen Entwicklungsbehörde heißt es: „Die ‚Entdeckungs-Doktrin' ist nicht Teil der Lehre der katholischen Kirche.“ Die entsprechenden Papstschreiben aus dem 15. und 16. Jahrhundert seien „nie als Ausdruck des katholischen Glaubens“ angesehen worden.
Die katholische Kirche erkenne an, dass sie damals nicht angemessen die Rechte und Würde der indigenen Völker respektiert habe, heißt es nun. Zugleich betont die Erklärung, dass mehrere Päpste, Bischöfe und Ordensleute schon damals für die Rechte der indigenen Bevölkerung eingetreten seien. Dies sei auch heute die Position der Kirche.
Päpstliche Schreiben beglaubigten angebliche Rechtmäßigkeit
Die sogenannte Doktrin ging von der Idee aus, dass Amerika im 15. Jahrhundert von den Europäern „entdeckt“ worden sei. Daher wurde auch die Aufteilung der „Neuen Welt“ unter den Kolonialmächten England, Frankreich, Spanien und Portugal als rechtmäßig angesehen und mit päpstlichen Schreiben beglaubigt.
Boliviens Ex-Präsident Evo Morales, der erste gewählte indigene Staatschef des Andenstaates, forderte nun in einer ersten Reaktion eine offizielle Entschuldigung der Europäer. „Es gab nie eine Entdeckung, es gab einen imperialistischen Überfall“, schrieb Morales auf Twitter. Nach mehr als 500 Jahren lehne die katholische Kirche die falsch benannte „Entdeckungsdoktrin“ ab, mit der die Völkermorde, Plünderungen und Grausamkeiten an den indigenen und afrikanischen Völkern der europäischen Kolonisation gerechtfertigt wurden, schrieb Morales weiter.
In Lateinamerika gibt es derzeit eine Menge Konfliktlinien: Argentinien beansprucht vom Vereinigten Königreich die Falkland-Inseln, in Chile gibt es immer wieder Brandanschläge von radikalen Mapuche-Indigenen auf christliche Kirchen, weil sie diese als Symbol widerrechtlicher Invasoren betrachten. Fast täglich kommt es in Lateinamerika zu politischen Konflikten um den Rohstoffabbau in indigenen Territorien wie zuletzt in Kolumbien, aus dem Deutschland verstärkt Kohle einführt. Fast immer geschieht das zu Nachteilen der indigenen Bevölkerung.
Viele erwarten nun, dass die Europäer aus der Erklärung der Kirche Konsequenzen ziehen. Schon jetzt gibt es Debatten über Schadensersatzforderungen bis hin zu einem konkreten politischen Rückzug europäischer Interessen. Der Papst hatte sich bereits bei verschiedenen Reisen nach Lateinamerika und Kanada für die Rolle der Kirche bei der Kolonialisierung entschuldigt. Für die europäischen Völker – wie Morales sagt – fehlt aber eine solche Erklärung. Die könnte etwa die Europäische Kommission aussprechen und ihre Präsidentin Ursula von der Leyen. Allerdings würde die EU nach dem Brexit nicht mehr für das Vereinigte Königreich stehen. Die Vorfahren der Briten allerdings stehen für einen erheblichen Teil der Unrechtskultur in Amerikas Kolonialzeit.
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