Frage: Herr Wilhelm, es nahen die Präsidentschaftswahlen in Mexiko. Haben Sie den Eindruck, dass die Gewalt mit dem Machtwechsel außer Kontrolle gerät, weil es eine Art Machtvakuum gibt zurzeit?
Wilhelm: Die Zahl der Morde war im vergangen Jahr 2017 so hoch wie nie, obwohl gegen viel Widerstand das Gesetz der „Inneren Sicherheit“ durchgesetzt wurde. Darin geht es um die Fortschreibung der Militarisierung des Landes durch die Übertragung polizeilicher Rechte auf das Militär. Die Kriminalitätsrate hat seitdem eher zugenommen. 2017 sind über 25.000 Menschen in Mexiko ermordet worden. Viele sind verschwunden. In den ersten drei Monaten dieses Jahres sind bereits 7.667 Menschen umgebracht worden. Ein wichtiger Grund sind die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zusammen mit den Wahlen für die Mitglieder beider Kammern des Kongresses und vieler staatlicher und kommunaler Posten. Es gibt also nicht erst jetzt ein Machtvakuum, es hält an.
Frage: Wieso geraten immer wieder Priester in die Schusslinie? Es könnte der Verdacht aufkommen, dass sie mit dem Organisierten Verbrechen in Kontakt waren …
Wilhelm: Die Haltung der Kirche zum Organisierten Verbrechen war und ist eindeutig. Dies wurde im Schreiben zu den beiden kürzlich ermordeten Priestern erneut bestätigt. Die Kirche hofft, durch die Kontakte zu den einzelnen bewaffneten Gruppen nahe bei den Opfern zu sein und sie zu begleiten. Man spricht nicht laut über das, was passiert, man handelt zum Wohle der Opfer. Die Kirche wurde wegen ihrer Kontakte und ihrer Offenheit zum Dialog mit dem Organisierten Verbrechen von der Politik immer hart kritisiert. Eine Alternative, wie man das Morden beenden kann, hat man nicht präsentiert, zumal die Vernetzung zwischen staatlichen Autoritäten und dem Organisierten Verbrechen offensichtlich sind. Man erinnere sich nur an Ayotzinapa und das Verschwinden der 43 Studenten vor inzwischen drei Jahren. Die Priester haben Kontakt zu beiden Seiten und wissen sehr viel. Daher sind sie, wie auch Journalisten, Sozialarbeiter oder andere Berufsgruppen, die mit den Opfern und Tätern arbeiten, gefährdet. In der Regierungszeit von Enrique Peña Nieto, seit 2012, sind 24 Priester ermordet worden.