Flagge Mexikos flattert im Wind
Studierende kündigen neue Proteste für das Wochenende an

Mexikos Justizreform belastet das Verhältnis zu den Nachbarn

Mexiko-Stadt  ‐ Präsidentin Claudia Sheinbaum ist noch gar nicht im Amt, da deutet sich bereits der erste Konflikt an. Die Justizreform gilt als umstritten. Aus Sicht von Kritikern untergräbt sie die Unabhängigkeit des Rechtssystems.

Erstellt: 31.08.2024
Aktualisiert: 30.08.2024
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Von Tobias Käufer (KNA)

Es ist eines der Lieblingsprojekte des scheidenden Präsidenten Andres Manuel Lopez Obrador. Der Linkspopulist will das Justizsystem „demokratisieren“, so bezeichnet er zumindest die geplante Reform und findet in Nachfolgerin Claudia Sheinbaum eine Unterstützerin. Die erste Frau im höchsten Staatsamt löst am 1. Oktober ihren Parteifreund und Mentor Lopez Obrador ab; die Amtszeit beträgt sechs Jahre. Obwohl noch gar nicht vereidigt, hat sie den Abgeordneten bereits empfohlen, den Änderungen zuzustimmen.

Geplant sind verschiedene Maßnahmen: Die Bundesrichter, die bislang auf der Grundlage ihrer Noten in einem offenen, wettbewerbsorientierten Bewertungsverfahren einer dafür zuständigen Juristenschule des Bundes ausgewählt wurden und sich nach sechs Jahren im Amt für eine lebenslange Amtszeit bewerben konnten, werden künftig vom Volk gewählt. Allerdings treffen Präsident, Kongress und der Oberste Gerichtshof eine Vorauswahl.

Damit hätte die Regierungspartei Moreno direkten Einfluss darauf, wer bei notwendigen Neuwahlen in den Jahren 2025 und 2027 auf dem Stimmzettel steht. Damit würden die derzeit im Amt befindlichen 1.650 Bundesrichter in den nächsten drei Jahren zum Rücktritt gezwungen. Auch die Ernennungsverfahren für 5.000 bundesstaatliche Richter und Staatsanwälte wären davon betroffen.

Scharfe Kritik übt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Deren Amerika-Direktorin Juanita Goebertus sagt: „Diese gefährlichen Vorschläge würden die Unabhängigkeit der Justiz untergraben, dem Militär eine noch nie dagewesene Macht über die Zivilbevölkerung geben und Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte abschaffen.“ Angesichts der langen Geschichte Mexikos mit schweren Menschenrechtsverletzungen und offizieller Vertuschung sollten die Gesetzgeber Schritte unternehmen, um Menschenrechte besser zu schützen und nicht zu schwächen, fordert Goebertus.

Die Reformpläne gehen noch weiter: Richter sollen künftig die Möglichkeit erhalten, mutmaßliche Fälle von organisierter Kriminalität anonym zu verhandeln. Damit kennen die Angeklagten die Identität des Richters, der über ihren Fall entscheidet, nicht. Das soll den Richter schützen. Es könnte allerdings auch dazu dienen, Einfluss auf das Verfahren zu nehmen, denn es fehlt an Transparenz.

Die linke Regierungspartei, die Regierung und Parlamente dominiert, würde dann großen Einfluss auf die Justiz haben. Kritiker warnen davor, dass in Mexiko „venezolanische Verhältnisse“ drohten, indem die Regierung den Rechtsstaat komplett kontrollieren und die Gewaltenteilung somit aufgehoben würde. Für Sheinbaum ist das offenbar kein Argument: Sie betrachtet die Linksautokratie Venezuela ausdrücklich nicht als Diktatur.

Zuletzt hatten Vertreter aus den USA und Kanada das Vorhaben kritisiert. US-Botschafter Ken Salazar und Kanadas Botschafter Graeme Clark zeigten sich ungewöhnlich offen besorgt über die künftige Unabhängigkeit der mexikanischen Justiz. Das kann auch wirtschaftliche Konsequenzen haben: Fehlende Sicherheit für Investitionen könnte sich negativ auf die Handelsbeziehungen mit Mexiko auswirken. Lopez Obrador legte daraufhin eine „Pause“ in den diplomatischen Beziehungen mit den USA ein. Washington müsse „lernen, Mexikos Souveränität zu respektieren“, sagte Lopez Obrador.

In Mexiko regt sich ebenfalls Widerstand. Tausende Bedienstete aus der Justiz legten aus Protest die Arbeit nieder und traten in einen Streik. Studierende der Universität UNAM in Mexiko-Stadt kündigten für das Wochenende neue Proteste an.

Die Politik nimmt das nicht kommentarlos hin. Sheinbaum sagte, dass sich die Demonstranten zunächst die geplanten Reformen durchlesen sollten. „Wir wollen das Land demokratischer machen. Das ist es, was das Volk will“, betonte sie. Lopez Obrador warf den Universitäts-Dozenten vor, die Studierenden zu betrügen und sie gezielt zu manipulieren. Aus der Studentenschaft kamen dagegen Aufrufe, die Unabhängigkeit der Justiz nicht zu opfern.

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