Chinas Präsenz in Lateinamerika wächst
Bogotá D.C. ‐ Eine schmucke Zentralbibliothek für El Salvador, Telekommunikation in Brasilien, Investitionen in Mexiko: China ist zwischen dem Rio Bravo und Feuerland immer stärker aktiv. Das erhöht den Druck auf Taiwan und die USA.
Aktualisiert: 22.11.2024
Lesedauer:
Zwei Tage lang bestimmten riesige chinesische Fahnen die Strand-Silhouette in Rio de Janeiro. Helfer aus Pekings Botschaft marschierten die Uferpromenade entlang und schwenkten Fahnen des Gastgeberlandes und Chinas. Es wurde ein kleiner Social-Media-Erfolg. Chinas Charmeoffensive kam bei Touristen wie Einheimischen gut an. Am Tag darauf, schlossen Brasilien und China mehr als drei Dutzend kleinere und größere Abkommen.
Eines davon öffnet Peking den Zugang zum Telekommunikationsmarkt im größten Land Südamerikas. Eine Satellitenfirma soll dem von der brasilianischen Regierung als politischer Gegner identifizierten Tech-Milliardär Elon Musk und dessen Firma Starlink Konkurrenz machen. Den größten Wunsch Pekings, den formellen Beitritt zum Jahrhundertprojekt Seidenstraße, erfüllte Brasilien allerdings nicht. Damit will China seine globalen Handelswege und -verbindungen absichern und vor allem erweitern. Europa und Afrika liegen längst im Fokus der Seidenstraße, aber auch Lateinamerika, die klassische Interessensphäre der USA, ist für Peking von herausragender Bedeutung.
Ein paar tausend Kilometer nördlich in El Salvador weihte die Regierung des mittelamerikanischen Landes in Zusammenarbeit mit der Volksrepublik ein neues Schmuckstück ein: eine neue touristische Anlegestelle im Hafen von La Libertad. Rund 200 Meter lang, soll sie Teil des touristischen Komplexes „Surf City“ werden. Vor einigen Monaten wurde in San Salvador außerdem die neue Zentralbibliothek gegenüber der Hauptstadtkathedrale und seitlich des Präsidentenpalastes eingeweiht. Bezahlt wurde der millionenschwere futuristische Bau aus China, dessen rote Fahne nun vor dem Haupteingang flattert. Tausende Menschen besuchen täglich das neue Wahrzeichen der Stadt.
An Peking geht kein Weg mehr vorbei
Kaum eine Woche vergeht zwischen Rio Bravo und Feuerland ohne die Ankündigung neuer Millionen- oder Milliarden-Investitionen der formell kommunistischen Wirtschafts-Supermacht. Auch in Mexiko, wo die beiden nordamerikanischen Nachbarn USA und Kanada die wachsende Präsenz Chinas mit Sorge betrachten. Beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro zeigte sich Kanadas Premierminister Justin Trudeau im Austausch mit Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum angesichts chinesischer Investitionen besorgt. Die USA drohen offen mit Strafzöllen gegen Produkte des südlichen Nachbarn: „Sie werden hier kein Auto verkaufen, das in Mexiko gebaut wurde“, sagte der künftige US-Präsident Donald Trump. Nun soll das Handelsabkommen, das alle drei Länder verbindet, nachverhandelt werden. Chinas Einfluss soll zurückgedrängt werden.
Doch an Peking führt auch in Argentinien kein Weg vorbei. Die Erkenntnis reifte bei dessen radikal-marktliberalem Präsidenten Javier Milei offenbar erst. „Ich werde keine Geschäfte mit China machen“, hatte dieser noch im Wahlkampf 2023 angekündigt. Doch um sein versprochenes Wirtschaftswunde anzukurbeln, wird auch Trump-Fan Milei Investitionen aus der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA brauchen. Er kam zu einer neuen Einsicht: „China ist ein sehr interessanter Handelspartner, weil sie nichts fordern, sondern nur wollen, dass man sie in Ruhe lässt“, räumte er schließlich ein. Derweil sieht Perus Transport-Minister Raul Perez von jenseits des Pazifiks goldene Zeiten auf sein Land zukommen: „Unser Ziel ist es, das Singapur Lateinamerikas zu werden.“ In Peru beuten chinesische Unternehmen nicht nur Bodenschätze aus, sie haben neben Covid-Impfstoffen auch die Fernstraßen in Richtung Brasilien mit unterstützt. Ein kürzlich eröffneter Hafen krönt das chinesische Engagement.
Dass China keine politischen Forderungen stellt, ist allerdings ein Märchen. Sein Vormarsch auf dem Kontinent setzt etwa Paraguay unter Druck. Das Land unterhält noch diplomatische Beziehungen zu Taiwan, das Peking als abtrünnigen Teil der eigenen Nation betrachtet. Je mehr der chinesische Einfluss in den Nachbarstaaten wächst, desto lauter dürften die Forderungen von Staatspräsident Xi Jinping an Paraguay werden, Taiwan fallen zu lassen.
In Mittelamerika ist diese Taktik bereits gelungen. Im vergangenen Jahr musste die diplomatische Vertretung Taiwans in Honduras schließen. Die Linksregierung von Präsidentin Xiomara Castro verkündete: „Heute machen wir einen historischen Schritt im Prozess der Konsolidierung und Stärkung unserer internationalen Beziehungen, insbesondere mit dem chinesischen Volk und der chinesischen Regierung.“ Während Taiwans Diplomaten fortan unerwünscht waren, erkannte Honduras „tatsächlich an, dass es nur ein China in der Welt gibt und dass die Regierung der Volksrepublik China die einzige legitime Regierung ist, die ganz China vertritt“. Ein Triumph für Peking – und eine Demütigung für Taiwan, der weitere folgen könnten.