Streit um Amnestiegesetz spaltet Peru
„Verrat an den Opfern“

Streit um Amnestiegesetz spaltet Peru

Lima  ‐ Kritik am neuen Amnestiegesetz in Peru kommt von allen Seiten: UN, Menschenrechtler und die Kirche haben für die gesetzlich verankerte Straflosigkeit kein Verständnis. Präsidentin Boluarte aber steht voll dahinter.

Erstellt: 10.09.2025
Aktualisiert: 10.09.2025
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Von Tobias Käufer (KNA)

In der Regel soll ein Amnestiegesetz dafür sorgen, Konflikte zu befrieden und einer Gesellschaft nach blutigen Auseinandersetzungen einen Weg zur Versöhnung zu ermöglichen. Ob das in Peru gelingt, ist allerdings fraglich. Ein in Kraft getretenes Gesetz gewährt Mitgliedern der Streitkräfte, der Nationalpolizei und der Selbstverteidigungsgruppen Straffreiheit, die zwischen 1980 und 2000 am Kampf gegen den Terrorismus beteiligt waren. Es legt auch die Freilassung von Personen fest, die für Verbrechen während des bewaffneten Konflikts verurteilt wurden und älter als 70 Jahre sind. Der peruanische Kongress hatte das Gesetz im Juli verabschiedet, das Präsidentin Dina Boluarte trotz scharfer Kritik im August unterzeichnete.

Doch die Ablehnung bleibt auf nationaler wie internationaler Ebene groß. „Dieses Gesetz ist ganz einfach ein Verrat an den peruanischen Opfern“, sagte Juanita Goebertus, Amerika-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Es untergräbt jahrzehntelange Bemühungen, die Verantwortlichen für Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen, und schwächt die Rechtsstaatlichkeit des Landes noch weiter.“

Auch der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof übt scharfe Kritik. Genau die will Präsidentin Boluarte nicht auf sich sitzen lassen. Peru sei „ein souveränes und demokratisches Land, das im Laufe seiner Geschichte ein starkes und entschlossenes Engagement für das interamerikanische Menschenrechtssystem gezeigt hat“. Inzwischen erwägt Peru, den Gerichtshof, der zur Organisation Amerikanischer Staaten gehört, nicht mehr anzuerkennen.

Bischöfe warnen vor Konsequenzen

Boluarte steht im eigenen Land unter Druck. Sie gilt als Präsidentin mit den niedrigsten Zustimmungswerten in ganz Lateinamerika. Es gibt Korruptionsvorwürfe. So drängt sich der Verdacht auf, Boluarte verschaffe sich beim Sicherheitsapparat durch die Amnestie politische Rückendeckung für mögliche eigene Vergehen, die später aufgearbeitet werden könnten.

Während des bewaffneten Konflikts zwischen der linksextremen Guerillabewegung „Leuchtender Pfad“ und dem peruanischen Militär begingen beide Seiten schwere Menschenrechtsverletzungen. Den Sicherheitskräften des südamerikanischen Landes werden außergerichtliche Hinrichtungen, Verschleppungen, Folter und sexuelle Gewalt vorgeworfen. Eine Wahrheitskommission bezifferte die Zahl der Opfer auf 70.000 getötete und 20.000 bis heute vermisste Personen. Peruanische Gerichte haben laut Angaben des nationalen Menschenrechtskoordinators in mehr als 150 Fällen rechtskräftige Urteile gefällt, mehr als 600 weitere Verfahren sind noch anhängig.

Auch die UN äußerten sich besorgt: „Internationale Normen verbieten die Anwendung von Amnestien oder Begnadigungen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich des Verschwindenlassens von Personen“, heißt es in einer Stellungnahme des UN-Menschenrechtsbüros. Diese Maßnahmen führten zu einer inakzeptablen Form der Straflosigkeit und würden jahrzehntelange Fortschritte in Sachen Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung für die Opfer untergraben.

Auch die katholische Kirche äußerte sich. Insgesamt zwölf Bischöfe warnten vor den Konsequenzen. Auch bei ihnen heißt es, das Gesetz fördere die Straflosigkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aus Perspektive der Kirche sei es falsch zu glauben, dass Krieg jeden Tod rechtfertige, auch den unschuldiger Menschen. Dies stelle eine „schwere Verletzung des fragilen sozialen Gefüges des Landes dar und schwächt alle Bemühungen um Einheit unter den Peruanern“, so die Erklärung der Bischöfe. Denn kein Krieg sei „die Tränen einer Mutter wert, die ihr Kind verstümmelt oder getötet gesehen hat“.

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