Hilfswerke besorgt über Situation in Mexiko
Berlin/Essen/Bonn ‐ Am Sonntag finden in Mexiko Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen statt. Adveniat und Misereor warnen vor einer weiteren Eskalation der Gewalt.
Aktualisiert: 28.05.2024
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„Wer schützt überhaupt noch das Volk, die einfachen Menschen?“ Diese Frage stellt sich Katharina Louis, Mexiko-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, angesichts der bevorstehenden Mega-Wahlen am 2. Juni 2024 in Mexiko. Der aktuelle Wahlkampf ist der gewalttätigste in der Geschichte des Landes: Über 500 Kandidaten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten sind bereits Opfer der Drogenkartelle und kriminellen Banden geworden, 70 Menschen, darunter 35 Kandidaten, wurden sogar ermordet.
„Leider garantieren weder Militärs noch Polizei einen sicheren Schutz bei Angriffen und Massakern durch kriminelle Banden und Kartelle“, berichtet Louis, die sich Anfang Mai bei einer Reise nach Mexiko selbst einen Eindruck von der Lage verschaffen konnte. So wurden am 12. Mai in Chicomuselo, Chiapas, elf Menschen brutal ermordet. Das Bistum San Cristóbal de las Casas nennt in einer Stellungnahme als Ursache des Massakers den Kampf um Territorien von Kartellen auf dem Gebiet von indigenen Völkern und Kleinbauern, verbunden mit illegalem Bergbau und Rohstoffausbeutung. Unschuldige Menschen würden dem Bistum zufolge zu Opfern von Mord, Entführung und Vertreibung, weil eine „gescheiterte Regierung es zugelassen hat, dass kriminelle Banden sich der Dörfer bemächtigen“ und eine vollkommene Straflosigkeit vorherrsche. Mehrere von Louis' Gesprächspartnern stellten fest, dass Wahlkandidaturen im Süden des Landes von den Kartellen abhängen.
Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko und Misereor nannten den Wahlkampf eine „vergebene Chance“ für die Menschenrechte. Konstruktive Vorschläge, wie die Suche nach den über 100.000 Verschwundenen intensiviert oder Menschenrechtsverteidiger besser geschützt werden könnten, gab es demnach kaum. Gleichzeitig sei es in den Monaten vor der Wahl immer wieder auch zu scharfen rhetorischen Angriffen von Regierungsseite auf Menschenrechtsorganisationen gekommen – zuletzt auf die international anerkannten Menschenrechtszentren Fray Bartolomé de las Casas und Miguel Agustín Pro Juárez. Beide hatten zuvor auf die gravierende Gewaltsituation aufmerksam gemacht.
„Mexikos Regierung ist im Wahlkampf dazu übergegangen, die Überbringer der schlechten Nachricht zu bestrafen, statt den Ernst der Lage anzuerkennen und effektive Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft zu ergreifen“, so Françoise Greve, Koordinatorin der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko. Dies zeige sich insbesondere in Bundesstaaten wie Chiapas, wo die organisierte Kriminalität die lokale Bevölkerung terrorisiere und vertreibe, während gleichzeitig eine hohe militärische Präsenz herrsche.
Bundesregierung gefordert
Nach Ansicht von Adveniat-Expertin Katharina Louis ist das Sicherheitsversprechen der Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador gescheitert. Trotz sozialpolitischer Fortschritte wie der Anhebung des Mindestlohns und verbesserter Renten für ältere Arbeiter im informellen Sektor, habe er systematisch die Zivilgesellschaft, unabhängige Medien und NGOs geschwächt. So seien beispielsweise dem Instituto Nacional de Desarrollo Social und dem Instituto Nacional Electoral die Budgets gekürzt worden.
Katharina Louis fordert, dass nicht nur Hilfsorganisationen wie Adveniat, sondern auch die deutsche Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft Druck auf die künftige Regierung ausüben müssen, um die Straflosigkeit zu beenden und das mexikanische Volk zu schützen. „Es fehlen Konzepte, um die Macht der Drogenkartelle und die Gewalt einzudämmen. Umso wichtiger ist es, Kirche und Zivilgesellschaft zu unterstützen“, betont sie.
Auch Benjamin Schwab, fordert einen verstärkten Einsatz der Bundesregierung. Eine lebendige Zivilgesellschaft und eine freie Presse seien das Rückgrat einer Demokratie und müssten in Wahlzeiten besonders geschützt werden, betont der Mexiko-Referent von Misereor. „Die deutsche Bundesregierung sollte sich in bilateralen Gesprächen mit der mexikanischen Regierung entschiedener für den Respekt von Menschenrechten und freier Presse und gegen die massive Militarisierung aller Bereiche der Gesellschaft einsetzen. Deutschland ist als sogenannter globaler Partner Mexikos in der Verantwortung vehement für demokratische Teilhabe und die Förderung einer aktiven, pluralen Zivilgesellschaft einzutreten“, so Schwab.