Mexiko: Jesuitengemeinschaft im Visier eines Killers
Mexiko-Stadt ‐ Im Norden Mexikos werden Jesuiten von der organisierten Kriminalität bedroht. Nun fordert die Interamerikanische Menschenrechtskommission Schutzmaßnahmen für die Geistlichen.
Aktualisiert: 03.02.2023
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Wenn sich die Interamerikanische Menschenrechtskommission zu Wort meldet, bedeutet dies meist: Aktivisten, Oppositionelle oder Umweltschützer sind akut bedroht. Wenn die Kommission, eine Unterorganisation der Organisation Amerikanischer Staaten, dann auch noch Schutzmaßnahmen des Staates einfordert, dann stecken die Betroffenen meist in sehr großer Lebensgefahr.
So geschehen in dieser Woche: In einer Resolution an die Regierung des mexikanischen Präsidenten Andres Manuel Lopez Obrador forderte die Menschenrechtskommission für elf Mitglieder der Jesuitengemeinschaft von Cerocahui im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua vorsorgliche Schutzmaßnahmen. „Die Jesuiten befinden sich in einer ernsten Situation, in der sie Gefahr laufen, in ihren Rechten irreparabel verletzt zu werden“, heißt es in der Mitteilung. Die Kommission setzte der Regierung eine Frist von 15 Tagen, um die Schutzmaßnahmen umzusetzen, und forderte eine regelmäßige Aktualisierung.
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Das hat vor allem juristische und politische Gründe: Die Regierung in Mexiko-Stadt ist damit offiziell von unabhängiger, internationaler Seite über die Gefahrenlage informiert worden. Sollte den Jesuiten trotzdem etwas zustoßen, wäre die Regierung damit politisch mitverantwortlich.
Das Drama hat eine Vorgeschichte. Am 20. Juni 2022 waren in Cerocahui die beiden Jesuiten Joaquin Cesar Mora Salazar und Javier Campos Morales erschossen worden, als sie versuchten, einem Mann, der vor Bewaffneten floh, Schutz in ihrer Kirche anzubieten. Alle drei wurden getötet. Die Tat löste über die Grenzen Mexikos hinaus Entsetzen aus und sorgte für eine neue Debatte über die Gewalt und Kriminalität sowie die Sicherheitspolitik der Regierung. Die beiden Geistlichen hatten sich seit Jahren für die Menschenrechte insbesondere der indigenen Bevölkerung eingesetzt.
Öffentliche Drohungen / Tatverdächtiger bekannt
Der Tatverdächtige ist namentlich bekannt, wird per Haftbefehl gesucht, ist aber untergetaucht. Konkret geht es um Jose Noriel Portillo Gil, alias „El Chueco“, ein lokaler Narco-Boss, der offenbar so mächtig ist, dass er der Polizei und Justiz vor Ort auf der Nase herumtanzen kann. Während er offiziell zur Fahndung ausgeschrieben ist, wird er auf Partys gesehen. Er gilt als Verbündeter der kriminellen Gruppe „Los Salazar“, einer Zelle des Sinaloa-Drogenkartells, die in der Region das Sagen hat. Trotz einer hohen Belohnung von fünf Millionen Pesos – etwa 250.000 Dollar – fehlt von „El Chueco“ zumindest offiziell jede Spur.
Wenig später holte „El Chueco“ zum Gegenschlag aus und warnte in einem Video den Augenzeugen und Priester Jesus Reyes sowie alle anderen, die auf die Idee kämen, mit den Priestern im Gerichtsprozess zu kooperieren: Er werde in das kleine bettelarme Dorf zurückkehren und sich Reyes holen, „weil der ein großes Maul“ hat. Verbunden war die Drohung mit dem Hinweis, gleich die ganze Gemeinde niederzubrennen.
Dass der Mann immer noch auf freiem Fuß ist, ist eine Blamage für die mexikanischen Sicherheitsbehörden, aber auch für den linkspopulistischen Präsidenten Lopez Obrador. Im Dezember forderte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Informationen zum Stand der Ermittlungen an. Die mexikanische Regierung müsse die für das Verbrechen verantwortlichen Personen ermitteln, strafrechtlich verfolgen und angemessene Sanktionen verhängen, forderte der UN-Repräsentant. Zugleich müssten wirksame Maßnahmen ergriffen werden, damit sich solche Ereignisse nicht wiederholen, hieß es in dem Schreiben.
Passiert ist seitdem nichts. Weil der Fall zunehmend aus den Schlagzeilen gerät und der Täter immer noch auf freien Fuß ist, sieht sich die Menschenrechtsorganisation nun gezwungen, für die Ordensgemeinschaft Schutzmaßnahmen anzufordern. Weil es offenbar sonst niemand tut. KNA