Kirche und Verbände kritisieren EU-Asylreform
Brüssel ‐ Bis zuletzt blieben Teile des Asyl- und Migrationspakets umstritten. Am Ende war den Abgeordneten ein Kompromiss wichtiger als überhaupt keine Lösung. In der Umsetzung sind sowieso noch viele Fragen offen.
Aktualisiert: 12.04.2024
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Nach jahrelangen Debatten steht die EU-Asylreform vor dem Abschluss. Am Mittwoch stimmte das Europäische Parlament in Brüssel den sieben Verordnungen und einer Richtlinie des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu. Das Paket beinhaltet strengere Regeln für Migranten aus Staaten, die als relativ sicher gelten, und soll Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland entlasten. Der Rat der 27 Mitgliedstaaten muss die ausgehandelten Kompromisstexte noch bestätigen. Bis sie in Kraft treten, wird es bis zu zwei Jahre dauern.
Auf aktuelle Ankünfte und Schutzgesuche haben die Beschlüsse demnach keine Auswirkung. Im vergangenen Jahr wurden laut der EU-Asylagentur rund 1,1 Millionen Asylanträge gestellt, so viele wie seit 2016 nicht mehr.
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nannte die Beschlüsse in einer Kurznachricht auf X einen „robusten Gesetzesrahmen für den Umgang mit Migration und Asyl in der EU“. Nach mehr als zehn Jahren habe man Wort gehalten und eine „Balance zwischen Solidarität und Verantwortung“ gefunden.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson schrieb auf X, die EU werde so in der Lage sein, ihre Außengrenzen, die Schutzbedürftigen und Flüchtlinge besser zu schützen und diejenigen, die kein Bleiberecht haben, rasch zurückzuschicken. Dabei gebe es eine „verpflichtende Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“.
Einzelheiten noch offen
Einzelheiten der Umsetzung sind noch offen. Auch gibt es noch keine Liste von als sicher eingestuften Drittstaaten. Das Gebilde der inhaltlich verwobenen Gesetzestexte gilt als juristisch komplex.
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), erklärte auf X: „Die EU-Migrationspolitik wird auf neue und bessere Beine gestellt. Die EU ist handlungsfähig. Ein guter Tag für Europa.“ Die innenpolitische Sprecherin der europäischen Christdemokraten, Lena Düpont, sprach von einem Schritt „für mehr Humanität und Ordnung“ an den Grenzen. Es gelte, die Kontrolle über die EU-Außengrenzen wiederzugewinnen und den Migrationsdruck auf die EU zu reduzieren.
Die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Birgit Sippel (SPD), räumte ein, die Einigung habe „hohe Zugeständnisse“ verlangt, insbesondere in der Frage der Inhaftierung in den Grenzverfahren. Dafür schaffe das Paket „klare Regeln, welche die Mitgliedstaaten in die Verantwortung nehmen und Schutzsuchenden einen Zugang zu Asyl in Europa ermöglichen“.
Der migrationspolitische Sprecher der FDP im EU-Parlament, Jan-Christoph Oetjen, wertete den Migrationspakt als „großen Gewinn für ganz Europa“. Die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Ernst, warf dem Parlament „historisches Versagen“ vor. Die Reform stelle „die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrechts seit Gründung der EU“ dar und ebne den Weg für einen beispiellosen Rechtsruck in der Asylpolitik.
Die Ko-Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Terry Reintke, erklärte, der Asyl- und Migrationspakt werde „die unerträgliche Situation an den EU-Außengrenzen nicht lösen und kaum dazu beitragen, Migration besser zu steuern, stattdessen aber mehr Bürokratie schaffen“. Die Verantwortung müsse gerechter verteilt werden. „Wir können keinem Pakt zustimmen, der die Inhaftierung von Schutz suchenden Familien und Kindern an den EU-Außengrenzen zulässt und die Rechte Geflüchteter schwächt.“ Die Grünen hatten fast geschlossen gegen die Kompromisstexte gestimmt.
Caritas Europa: Zugang zu Schutz eingeschränkt
Dagegen wurde aus Sicht der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) eine tiefe Spaltung Europas überwunden. „Wir schützen weiterhin die Menschen, die aus furchtbaren Kriegen, vor Terror, Folter und Mord zu uns fliehen. Aber diese Verantwortung für Geflüchtete wird künftig auf mehr Schultern verteilt sein.“ Das werde auch zu einer Entlastung von Kommunen führen, zudem werde irreguläre Migration wirksam begrenzt.
Caritas Europa äußerte sich besorgt. Die neuen Regeln schränkten für Bedürftige den Zugang zu Schutz deutlich ein, teilte der katholische Dachverband in Brüssel mit. Als problematisch bewertete die Caritas besonders die beschleunigten Asyl- und Rückführungsverfahren an den Grenzen einschließlich der Inhaftierung von Familien und Kindern, eine diskriminierende Vorsortierung Schutzsuchender und die Auslagerung der Asylfrage in Drittstaaten.
Auch Misereor kritisierte den Beschluss. Der Schutz von Geflüchteten werde zugunsten der Abwehr von Menschen auf der Flucht abgebaut. „Die europäische Asyl- und Migrationspolitik verlagert ihre Schutzverantwortung für Geflüchtete immer weiter in die Länder des Globalen Südens. Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden somit weder dem eigenen Anspruch gerecht, eine wertegeleitete Politik zu verfolgen. Noch vermögen sie es, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zugunsten der von Krieg und Verfolgung betroffenen Menschen zu etablieren“, sagte Lucas Rasche, Misereor-Referent für Migration, Flucht und Menschenrechte.
Die Organisation Pro Asyl nannte das Paket einen „Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa“. Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kämen nun „absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu“, erklärte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
Nach Worten von Ärzte ohne Grenzen wird das System bestehende Dynamiken weiter verschärfen und Menschen dazu zwingen, noch gefährlichere Fluchtrouten zu wählen. Amnesty International sprach von einer „verpassten Chance“.
12.04.2024: Stellungnahme Misereor hinzugefügt