Kein Pass. Nirgends? SVR-Studie 2024
Bild: © SVR
Bislang kein einheitliches Verfahren

Migrationsforscher fordern anderen Umgang mit Staatenlosen

Berlin ‐ Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit verharren bisweilen Jahre oder sogar Jahrzehnte in einem unsicheren Status. Grund: komplexe und uneinheitliche Verfahren. Forscher empfehlen dringende Änderungen.

Erstellt: 30.06.2024
Aktualisiert: 28.06.2024
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Migrations- und Integrationsforscher fordern einen anderen Umgang deutscher Behörden mit Staatenlosen oder Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Vordringlich müsse ein Regelverfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit entwickelt werden, das möglichst zentral auf Bundes- oder Landesebene umgesetzt werde, heißt es in einer am Mittwoch vorgelegten Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Gesetze und Verwaltungsrecht müssten zudem angepasst werden.

In Deutschland leben Schätzungen zufolge mehr als 125.000 Menschen als Staatenlose oder mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Deutschland sei nach internationalen Verträgen verpflichtet, Menschen ohne Staatsangehörigkeit zu identifizieren und ihnen Zugang zu nationalen und internationalen Rechten zu gewähren. Bislang gebe es jedoch kein einheitliches Verfahren zur Feststellung des Status als Staatenloser. Die Klärung sei sehr komplex, zeitaufwändig und uneinheitlich. Nicht wenige Menschen verblieben über Jahre oder Jahrzehnte in diesem Prozess – und damit in einem rechtlich unsicheren Zustand. Dies könne zum Beispiel über gesetzliche Fristen verhindert werden.

Völkerrechtliche Verpflichtung

Um den Rechtsstatus staatenloser Personen zu regeln und zu verbessern, haben die Vereinten Nationen 1954 das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosenübereinkommen, StaatenlÜbk) beschlossen, das sich im Großen und Ganzen an der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) orientiert. Die Vertragsstaaten – darunter auch Deutschland – verpflichten sich darin, staatenlose Personen nicht schlechter zu behandeln als Ausländerinnen und Ausländer (Art. 7 Abs. 1 StaatenlÜbk), ihnen die Einbürgerung 14 zu erleichtern (Art. 32) und ihnen Reiseausweise für staatenlose Personen auszustellen, sofern sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhalten (Art. 28).

Quelle: SVR

In anderen EU-Ländern wie Frankreich gibt es bereits ein einheitliches und etabliertes Feststellungsverfahren, in Deutschland nicht. Das hat Folgen: „Behörden stellen unterschiedliche Ansprüche an die Mitwirkung der Betroffenen; die Grenzen der Zumutbarkeit werden uneinheitlich definiert und von der einen Behörde getroffene Entscheidungen sind für andere nicht unbedingt bindend“, berichtet Studien-Autor Maximilian Müller. „Das führt häufig zu Verunsicherung bei den Betroffenen wie Mitarbeitenden der Behörden selbst.“

Ein auf die Anerkennung als Staatenloser ausgerichtetes Regelverfahren sei jedoch nicht für alle Menschen sinnvoll, heißt es in der Studie „Kein Pass. Nirgends? Politische, rechtliche und verwaltungspraktische Ansätze im Umgang mit Staatenlosigkeit“ weiter. Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen seien, sollten etwa über Möglichkeiten der Einbürgerung aufgeklärt werden. Wenn anerkannt Staatenlose seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, sollten ihre Kinder bei der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, empfehlen die Forscher.

Auch an anderer Stelle gibt es Probleme. So hapert es immer wieder auch an der fehlenden Kooperation potenzieller Herkunftsstaaten oder es gibt Kapazitätsengpässe bei deutschen Behörden. „Häufig kann die Staatenlosigkeit deshalb nicht abschließend festgestellt werden; der prekäre Status ‚ungeklärt‘ bleibt Dauerzustand“, so der Migrationsexperte Müller.

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Kein Pass. Nirgends? Politische, rechtliche und verwaltungspraktische Ansätze im Umgang mit Staatenlosigkeit

KNA/weltkirche.de

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