Identität: ungeklärt
Berlin ‐ Derzeit leben in Deutschland rund 125.000 Menschen, deren Staatsangehörigkeit als ungeklärt gilt. Die Gründe sind vielfältig, ihr Schicksal ungewiss.
Aktualisiert: 01.09.2023
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Am Ende des Gesprächs will Kerollous Shenouda auch eine „schöne Geschichte“ erzählen. Das Gesicht des aus Oberägypten stammenden Beraters beim Berliner Jesuiten Flüchtlingsdienst (JRS) hellt sich auf: Es geht um seine syrische Frau Mary Issa. Nach der kirchlichen Hochzeit hofft er, die 28-Jährige nun auch standesamtlich heiraten zu können. Bislang fehlt ihr der Nachweis einer Staatsangehörigkeit. Die norwegischen Behörden haben sie aber als Flüchtling anerkannt, und bald soll sie einen Reisepass erhalten.
Bis dahin teilt sie das Schicksal von rund 95.000 Menschen allein in Deutschland, deren staatliche Identität als „ungeklärt“ gilt. Weitere 29.500 Menschen sind laut Ausländerzentralregister „anerkannt staatenlos“. Daraus ergeben sich nicht nur zahlreiche Hürden im Alltag – etwa beim Zugang zu Wohnung, Bildung, Arbeit, Konto oder Aufenthaltserlaubnis. Oft bedrängen diese Menschen auch existenzielle Ängste, so Shenouda: „Viele meinen, sie haben keinen Wert“.
Er selbst hat Mary am Valentinstag in der koptischen Gemeinde in Berlin das Ja-Wort gegeben. Nachdem sie dann ein halbes Jahr auf einen Termin beim Standesamt gewartet hatten, winkte die Beamtin zunächst ab: „Die Identität ihrer Frau ist nicht geklärt“. In ihrem Fall konnte sie keinen Antrag auf einen Reisepass bei der syrischen Botschaft stellen, ohne ihren Flüchtlingsstatus zu verlieren. Dadurch büßt sie nicht zuletzt die Rechte von Ehefrauen ein, von Steuervergünstigungen bis zur Versicherungstarifen. Doch das soll nun bald ein Ende haben.
Oft Fünf bis sechs Jahre bis zur Entscheidung
Bei vielen anderen läuft es nicht so positiv, weiß Shenouda. Jährlich führt er rund 350 Beratungsgespräche. Bei gut einem Drittel geht es um Fragen der staatlichen Identität. Die meisten haben dann bereits ein langes Asylverfahren hinter sich. Wegen fehlenden Personals oder Überlastung der Gerichte könne es im Schnitt fünf bis sechs Jahre bis zur Entscheidung über den Asylantrag dauern, so die Erfahrung des Beraters.
„Leider kommen viele erst zu spät“, beklagt er. In den Communitys kursierten oft Fehlinformationen. Vor einigen Jahren wurde Pakistanis von geflohenen Landsleuten empfohlen, keine Dokumente vorzulegen, sich Ali zu nennen und ein Standardgeburtsdatum anzugeben, denn ohne gültige Personendokumente können sie nicht abgeschoben werden. Die Kehrseite: Wenn sich eine reale Aufenthaltsperspektive ergab und plötzlich Dokumente vorgelegt wurden, zeigte sich die Täuschungsabsicht, und damit verloren sie ihr Aufenthaltsrecht.
Nicht überall werden Geburten registriert
Laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind ein Recht auf eine Geburtsurkunde. Doch was, wenn man aus einem Land stammt, in dem Geburtsurkunden nicht oder nicht standardisiert ausgestellt werden? Der aus dem Benin nach Deutschland geflohene Mpalu B. war in der Heimat nie registriert. Er erhielt wie andere nach der Geburt einfach einen Rufnamen. Später, auf der Flucht durch Afrika, fragte auch niemand nach Papieren. In Deutschland ist aber ein normales Leben ohne Registrierung nicht möglich: Nun macht er einen Pflegehelferkurs – in der Hoffnung, seine Chancen auf Anerkennung zu verbessern.
Vor allem Menschen, die in Flüchtlingscamps zur Welt kommen, fehlt oft jedes Dokument. Shenouda erinnert sich etwa an viele Afghanen, die vor Jahren aus Aufnahmelagern im Iran nach Deutschland kamen. Diese Personen wurden weder im Iran noch in Afghanistan registriert, sie gelten deshalb als staatenlos. Auch die Staatenlosigkeit wird nicht nur hierzulande wie die Staatsangehörigkeit vererbt. Dabei macht sich das Staatsangehörigkeitsrecht nicht mehr ausschließlich an der Abstammung fest, sondern auch am Ortsprinzip wie in den USA.
Auch Staatenlosigkeit wird vererbt
Als Beispiel verweist Shenouda etwa auf Elias, der im April zur Welt kam. Seine Identität ist derzeit ungeklärt. Denn die Eltern flohen ohne Dokumente vor den Bürgerkriegswirren aus Libyen. Bei ihnen ist damit nicht nur die Staatsangehörigkeit, sondern die gesamte Identität unklar.
Die Geburtsurkunde ist aber der Schlüssel zum Eintritt in die Gesellschaft, das heißt zu Gesundheitsversorgung, Kita, Schule oder Familienhilfen. Immerhin sind fast 40 Prozent der Staatenlosen in Deutschland minderjährig, davon kamen 8.300 in Deutschland zur Welt. Die „staatenlos Geborenen“ erhalten in der Regel lediglich einen beglaubigten Ausdruck aus dem Geburtenregister mit dem Zusatz, dass die Identität auf Angaben der Eltern beruht.
Wohlfahrtsverbände: Anforderungen herabsetzen
Ein weiteres Hindernis für Flüchtlinge: Nicht jedes Herkunftsland zeigt sich bei der Ausstellung neuer Dokumente kooperativ. Kann der Betroffene aber glaubhaft machen, dass er trotz aller Mitwirkung keine neuen Papiere beschaffen kann, besteht die Möglichkeit, einer „Versicherung an Eides statt“ beim Standesamt. Das ist allerdings Ermessensfrage und eine Einzelfallentscheidung - anders gesagt: Es hängt wesentlich vom jeweiligen Beamten ab.
Experten und Wohlfahrtsverbände verlangen vor allem, die Anforderungen für einen Nachweis herabzusetzen etwa durch die Anerkennung weiterer Dokumente wie Bildungsabschlüsse. Ferner sprechen sie sich für bundesweit einheitliche Regelungen, mehr Einzelfallprüfungen und kürzere Einbürgerungsfristen aus.
Die Zahl der Staatenlosen wächst angesichts weltweiter Konflikte. Die Vereinten Nationen gehen von gut zehn Millionen Menschen ohne Staatsangehörigkeit aus. Dazu gehören viele Angehörige von Minderheiten wie die Rohingya in Myanmar, die Bahari in Bangladesch oder die Kurden und Palästinenser in Syrien und dem Libanon. Die Ampel-Koalition will zwar das Staatsangehörigkeitsrecht reformieren. Eine Erleichterung für Staatenlose ist aber bisher nicht vorgesehen.
Migrationsberatung
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KNA