Zusammenleben in Vielfalt
Migration und Interkulturalität sind prägende Phänomene unserer Zeit. Die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich schon seit Langem für die Anliegen von Migrantinnen und Mig-ranten: seelsorglich, karitativ und politisch-anwaltschaftlich.
Aktualisiert: 29.06.2023
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„Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“
Weltweit wird die Zahl der internationalen Migranten auf 281 Millionen geschätzt (World Migration Report 2022). Laut Statistischem Bundesamt haben in Deutschland 22,3 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund; mehr als die Hälfte von ihnen sind deutsche Staatsangehörige (knapp 11,8 Millionen Menschen). Bei knapp zwei Drittel aller Personen mit Migrationshintergrund handelt es sich um Zuwanderer aus einem anderen europäischen Land oder deren Nachkommen. Deutschland ist zu einem kulturell vielfältigen Einwanderungsland geworden.
Auch die Kirche in Deutschland zeichnet sich durch Pluralität aus: So liegt die Zahl der Katholiken mit einer nicht-deutschen Staatsangehörigkeit bei mehr als 3,5 Millionen; dies sind etwa 16 % aller Katholiken. Unter den etwa 30 Sprachgruppen sind die Katholischen polnischer, italienischer, kroatischer, spanischer oder portugiesischer Sprache die größten. In gut 450 muttersprachlichen Gemeinden sind ca. 500 Priester und Ordensleute tätig. Dank des Zuzugs von Gläubigen der mit Rom verbundenen Ostkirchen wird auch in Deutschland erfahrbar, dass sich unter dem Dach der einen katholischen Kirche nicht nur viele Sprachen und Kulturen, sondern auch mehrere Riten versammeln.
Papst Franziskus ermutigt die Gläubigen weltweit dazu, die mit Migration einhergehende Vielfalt als Chance zu begreifen: „Die katholischen Gemeinden und Gemeinschaften sind eingeladen, in der Freude der Begegnung zu wachsen und das neue Leben zu erkennen, das die Migranten mitbringen“ (Pastorale Orientierungen für die interkulturelle Migrantenseelsorge).
Starkes Engagement mit langer Geschichte
Die Kirche in Deutschland engagiert sich seit vielen Jahren in der Beratung und Begleitung von Migranten. Die Anfänge der Migrationsdienste der Caritas reichen in das 19. Jahrhundert zurück. Ab den 1950er-Jahren richteten die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Beratungsstellen für die sogenannten „Gastarbeiter“ ein, bald ergänzt um Integrationsangebote. Neben dem karitativen Engagement gewann auch das politisch-anwaltschaftliche Eintreten für die Rechte von Migranten zunehmend an Bedeutung.
Im Jahr 1975 haben die Deutsche Bischofskonferenz, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Griechisch-Orthodoxe Metropolie zum ersten Mal gemeinsam zu einer Interkulturellen Woche (damals noch unter dem Titel „Woche des ausländischen Mitbürgers“) aufgerufen. Seit ihrem Bestehen findet die Interkulturelle Woche mit großer Resonanz jährlich bundesweit Ende September statt. In über 500 Städten, Landkreisen und Gemeinden setzen Kirchen, Kommunen, Verbände und Organisationen mit rund 5.000 Veranstaltungen gemeinsam öffentlich sichtbare Impulse für die Gestaltung des Zusammenlebens in Deutschland.
Der christliche Glaube hat seit seinen Anfängen sprachliche, kulturelle und politische Grenzen überschritten. Migrationserfahrungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bibel und die Geschichte der Kirche. Wenn Christen heute ein Leben mit, für und als Migranten führen, wissen sie sich in besonderer Weise einem Wort aus Jesu Gerichtsrede verbunden: „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35)
„Migration menschenwürdig gestalten“
Auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz ist die Migrationskommission für die Begleitung der unterschiedlichen kirchlichen Aktivitäten im Migrationsbereich zuständig. Geleitet wird sie seit 2016 von Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), den die deutschen Bischöfe bereits 2015 zum Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen ernannt haben. Die Migrationskommission bearbeitet drei große Themenfelder: gesellschaftliche und politische Fragen der Migration, einschließlich Flucht und Asyl, die Rechte von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität, die Förderung von Integration, das kirchliche Engagement gegen Rassismus und der Kampf gegen Menschenhandel; die Seelsorge für katholische Migranten in Deutschland; und die Seelsorge für deutschsprachige Katholiken im Ausland. Auf weltkirchlicher Ebene kooperiert die Migrationskommission mit der vatikanischen Abteilung für Migranten und Flüchtlinge sowie der Internationalen Katholischen Migrationskommission und pflegt den Kontakt zu den Migrationsbeauftragten anderer Bischofskonferenzen. Darüber hinaus steht sie auch im Austausch mit Ansprechpartnern aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Ökumene.
Knapp 25 Jahre nach Erscheinen des ersten Migrationswortes der Kirchen in Deutschland haben die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen im Oktober 2021 ein neues Grundlagendokument zu Fragen von Migration und Flucht veröffentlicht: „Migration menschenwürdig gestalten“. Neben dem Schutz der Würde jedes Menschen bieten das biblische Ethos der Nächsten- und Fremdenliebe sowie eine Gemeinwohlperspektive, die lokale und globale Interessen miteinander verbindet, wichtige Orientierungen. Nicht Migration an sich, sondern die Ursachen einer von Gewalt und Not getriebenen Migration gilt es zu überwinden. Gleichzeitig ist das Zusammenleben in Vielfalt so zu gestalten, dass Möglichkeiten der Zugehörigkeit und Mitwirkung eröffnet werden und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird. Daran anknüpfend hat die Deutsche Bischofskonferenz 2022 Integrationsthesen vorgelegt, die maßgeblich von der kirchlichen Praxis geprägt sind. Der Titel des Dokuments formuliert eine Zielperspektive für gelingende Integrationsprozesse: „Anerkennung und Teilhabe“. Es handelt sich um eine anspruchsvolle und dauerhafte Gestaltungsaufgabe, die alle Beteiligten immer wieder neu herausfordert.
Stand: September 2022
Wichtige Dokumente
Links zum Thema
- Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz:
- Katholisches Auslandssekretariat
- Katholische Arbeitsgemeinschaft Migration
- Referat Migration und Integration des Deutschen Caritasverbands
- Raphaelswerk
- Katholisches Forum „Leben in der Illegalität“
- Katholischer Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
- Interkulturelle Woche
- Abteilung „Migranten und Flüchtlinge“ des Vatikans
- Internationale Katholische Migrationskommission
Ökumenisches Grundlagenwort
Migration menschenwürdig gestalten: Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (2021)
- Deutsche Fassung: Migration menschenwürdig gestalten
- Zusammenfassung des Migrationsworts
- Englische Fassung: Shaping Migration in a Humane Manner
Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz
- Leben in der Illegalität in Deutschland – eine humanitäre und pastorale Herausforderung (2001)
- Eine Kirche in vielen Sprachen und Völkern – Leitlinien für die Seelsorge an Katholiken anderer Muttersprache (2003)
- Integration fördern – Zusammenleben gestalten: Wort der deutschen Bischöfe zur Integration von Migranten (2004)
- Christen aus dem Orient: Orientierung über christliche Kirchen im Nahen Osten und Nordafrika und die pastorale Begleitung ihrer Gläubigen in Deutschland (2016)
- Dem Populismus widerstehen: Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen (2019)
- Kirchenrechtliche Fragen in der pastoralen Praxis mit Gläubigen der katholischen Ostkirchen (2020)
- Christen aus der Ukraine: Orientierungshilfe über die Situation der christlichen Kirchen in der Ukraine und die pastorale Begleitung der nach Deutschland Geflüchteten (2022)
- Anerkennung und Teilhabe – 16 Thesen zur Integration (2022)
Dokumente des Vatikan
- Botschaften von Papst Franziskus zum Katholischen Welttag des Migranten und Flüchtlings
- Antworten auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen und Migranten: 20 Handlungsschwerpunkte für die Global Compacts (2019)
- Pastorale Orientierungen zum Menschenhandel (2019)
- Pastorale Orientierungen für die interkulturelle Migrantenseelsorge (2022)