Kardinal warnt vor Religions-Missbrauch in Brasiliens Wahlkampf
Sao Paulo ‐ Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wirbt mit brachialen Methoden um Stimmen aus evangelikalen Gruppen und versucht, christliche Traditionen für seine Wiederwahl politisch zu instrumentalisieren. Katholische Bischöfe wehren sich dagegen. Umfragen deuten auf einen knappen Ausgang hin.
Aktualisiert: 13.12.2022
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Der Erzbischof von Sao Paulo hat vor einer Instrumentalisierung der Religion im laufenden brasilianischen Wahlkampf gewarnt. Im Interview der Zeitung „O Globo“ (Sonntag) verurteilte Kardinal Odilo Scherer die in einigen Kirchen ausgeübte Beeinflussung von Wählern. So häuften sich Meldungen, dass Menschen von ihren Arbeitgebern gedrängt werden, bei der Stichwahl am Sonntag (30. Oktober) für den Rechtspopulisten Jair Messias Bolsonaro zu stimmen. „Die Religion darf nicht instrumentalisiert werden“, so Scherer.
Bolsonaro setzt auf die Unterstützung evangelikaler Gruppen. Laut Umfragen führt er in diesem Segment mit zwei Dritteln der Stimmen. Seine Ehefrau Michelle und Verbündete werben derzeit intensiv in evangelikalen Kirchen. Der linke Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, der unter den katholischen Wählern führt, hat dagegen auf den Wahlkampf in Gemeinden verzichtet. Religion sei Privatsache und aus der Politik herauszuhalten, so Lula.
Dem früheren Gewerkschaftsführer wirft Bolsonaro vor, Brasilien in ein kommunistisches Land verwandeln zu wollen. Auch die katholische Kirche stellt er demnach unter Verdacht. So beschuldigten zuletzt Bolsonaros Anhänger die Bischofskonferenz, ebenfalls „kommunistisch“ zu sein. Ein Vorwurf, der laut Scherer vollkommen unzeitgemäß ist. „Wer einen Bischof oder den Papst als Kommunist bezeichnet, weiß entweder nicht, wer die Bischöfe oder der Papst sind, oder weiß nicht, was Kommunismus ist.“
Scherer nahm auch zu einem Vorfall in der vergangenen Woche Stellung, als eine Messe in der Stadt Jacarei gestört wurde. Als der Priester über getötete Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, darunter die 2018 ermordete Stadträtin Marielle Franco aus Rio de Janeiro, sprach, wurde er durch eine aufgebrachte Zuhörerin verbal attackiert. In der Kirche sei kein Platz für „Homosexuelle“, so die Frau. Darauf hatten mehrere Besucher der Messe dem Priester vorgeworfen, Abtreibungen zu verteidigen.
„Wir erleben das Phänomen einer derartigen Ideologisierung, dass man nicht über Arme, über Ungerechtigkeit oder gegen Gewalt reden darf, ohne beschuldigt zu werden, parteiisch zu sein“, so Scherer. „Über Hunger, Gewalt, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit zu reden, gehört aber zum sozialen Diskurs und zur Doktrin der Kirche.“
Der Kardinal erinnerte daran, dass die Kirche im laufenden Wahlkampf offiziell keine Präferenzen für Kandidaten ausspricht. Er verurteilte die politische Positionierung vieler evangelikaler Kirchen. „Wer eine Gemeinde leitet, darf die Kanzel und die liturgischen Feiern nicht dafür missbrauchen, Wahlkampf zu machen. Wir dürfen das Land nicht entlang der Linie teilen, wer für Lula und wer für Bolsonaro stimmt.“
KNA
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