Frage: Gibt es denn von Seiten der Hindus in Indien auch Solidarität mit den Christen im Land?
Singh: Definitiv! In Delhi und Kandhamal kommen dieser Tage viele Hindus zu uns, um uns ihre Solidarität und Anteilnahme wegen der Übergriffe vor zehn Jahren zu zeigen. Aber es bleibt eine Herausforderung. Es herrscht zurzeit große Angst und Unsicherheit bei allen Indern, was die Religions- und Meinungsfreiheit angeht – auch die Hindus sind nicht sicher und können ihre Meinung nicht frei äußern. Umso härter ist die Lage für Christen, Adivasi und Unberührbare.
Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Christen angesichts der wachsenden Probleme?
Singh: Nicht nur religiöse Minderheiten, sondern das ganze Land erlebt gerade eine Notsituation. Sollte der indische Präsident Narendra Modi von der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) im kommenden Jahr wiedergewählt werden, wird die Lage katastrophal: Dann stehen die Menschenrechte und die Würde der Minderheiten Indiens auf dem Spiel. Es gibt nur eine Zukunft mit einer alternativen Regierung. Deshalb erleben wir gerade eine sehr kritische Phase. Die Wahl wird entscheiden, ob Indien zu einem faschistischen, fanatischen Staat wird, der seine eigenen demokratischen Institutionen zerstört, die bereits zu erodieren begonnen haben. Oder ob Indien den Weg zurück zu einer demokratischen und sozialen Republik schafft.
Frage: Wen würden denn die Christen Indiens wählen?
Singh: Christen in Indien haben nicht wirklich einen bestimmten Kandidaten, den sie wählen. Auch stellt sich die Kirche Indiens nicht hinter eine bestimmte Partei. Aber wir stehen hinter demokratischen, sozialen und säkularen Werten. Wir glauben an Menschenrechte, Menschenwürde und den Respekt vor religiösen Minderheiten sowie vor verletzlichen Gruppen. Wir versprechen, diesen Gruppen zur Seite zu stehen und sie zu schützen.
Frage: Steht die Kirche da geschlossen da?
Singh: Die Kirche sollte ihre Stimme erheben und sich geschlossen positionieren. Leider bleibt es eine Herausforderung, das umzusetzen. Denn unsere Kirche in Indien teilt sich in verschiedene Lager. In manchen Landesteilen verstehen die Katholiken nicht die Probleme der unterdrückten Gruppen. Wenn sie dafür kein Verständnis entwickeln, wird die Spaltung der Kirche größer und das spielt den fanatischen Kräften in die Hände, die die Angst vor diesen Minderheiten schüren.
Frage: Wünschen Sie sich vom Vatikan mehr Unterstützung für die Christen in Indien?
Singh: Nicht nur vom Vatikan, sondern von allen christlichen Gemeinschaften weltweit. Sie sind aufgerufen, sich für die Rechte von Dalits, Adivasi und religiösen Minderheiten insgesamt auszusprechen. Der Vatikan hat seine eigene Rolle als Vermittler in der Welt und steht für Religionsfreiheit, die Rechte und Würde religiöser Minderheiten. Wir Christen in Indien freuen uns über jegliche Stellungnahme und Solidarisierung durch den Vatikan – Politiker anderer Staaten sind ja meist auf Länder fixiert, die Geld, Macht und Ressourcen haben. Deshalb ist es wichtig, dass der Vatikan seine Rolle als Vermittler und Katalysator für Veränderung wahrnimmt.
Das Interview führte Claudia Zeisel
© weltkirche.de