Wie Katastrophen zusammenhängen – und vermieden werden können
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Von Schildkröten und Weltraumschrott: UN-Bericht zu Interconnected Disaster Risks

Wie Katastrophen zusammenhängen – und vermieden werden können

Bonn ‐ Hitzerekorde und sintflutartige Regenfälle. Dazu Kahlschlag in Wäldern und Raubbau an Rohstoffen. Droht die Apokalypse? Nein, sagen Wissenschaftler der UN. Wenn die Menschheit endlich anfängt, wirksam gegenzusteuern.

Erstellt: 25.10.2023
Aktualisiert: 25.10.2023
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Bisher hat zumindest in unseren Breitengraden doch alles leidlich gut funktioniert. Wenn wir Wasser brauchen, drehen wir den Hahn auf. Fertig. Doch in immer mehr Gegenden der Erde klappt genau das nicht mehr. Der Hahn ist auf – doch Wasser fließt nicht mehr, weil keines mehr verfügbar ist. Forscher sprechen in einem solchen Fall von einem „tipping point“, einem Kipppunkt, ab dem mehr oder weniger komplexe Systeme nicht mehr funktionieren.

Mit dem Beispiel vom Wasserhahn leiten die Wissenschaftler vom Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der UN-Universität in Bonn ihren Report „Interconnected Disaster Risks“ ein. Die dritte Auflage des Berichts zur Katastrophenvorsorge wurde am Mittwoch vorgestellt und enthält mehrere Beispiele für Kipppunkte, auf die die Menschheit nicht zuletzt aufgrund des fortschreitenden Klimawandels zusteuert.

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Bekanntes findet sich darunter wie die Gefahr von steigenden Temperaturen für den menschlichen Organismus. Derzeit seien rund 30 Prozent der Menschheit für mindestens 20 Tage im Jahr potenziell tödlichen Klimabedingungen ausgesetzt, halten die Forscher fest. Bis zum Jahr 2100 könne dieser Anteil bei 70 Prozent liegen.

Kaskadenartiges Aussterben abhängiger Arten

Welche Folgen der Verlust von Artenvielfalt haben kann, illustrieren die Autoren am Beispiel der im südlichen Nordamerika lebenden Gopherschildkröte. Sie gräbt regelrechte Höhlensysteme, die wiederum von 350 weiteren Arten genutzt werden, um sich oder die eigenen Nachkommen vor Raubtieren und extremen Temperaturen zu schützen. Sterben die Schildkröten aus, hat das also Konsequenzen für zahlreiche weitere Arten.

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Aus der Tatsache, dass momentan rund eine Million Pflanzen- oder Tierarten zu verschwinden drohen, wird das ganze Ausmaß des Problems ersichtlich. Die Studie spricht von einem kaskadenartigen Aussterben abhängiger Arten, „was schließlich zum Zusammenbruch des Ökosystems führen kann“. Ähnlich beunruhigend wirkt das, was die Wissenschaftler zum Thema Wasserversorgung zusammengetragen haben. Auf den Bergen schmelzen die Gletscher, in den Tiefen der Erde leeren sich die unterirdischen Wasserspeicher.

Einer der Treiber: die Landwirtschaft, die aufgrund häufiger werdender Dürren immer öfter und in immer größerem Umfang auf die Wasserspeicher zurückgreift. Aus mehr als der Hälfte der großen Grundwasserleiter der Welt werde mehr Wasser entnommen, als sich auf natürliche Weise wieder auffüllen könne, warnen die Autoren des Berichts. Einige Länder wie Saudi-Arabien hätten diesen Kipppunkt der Grundwassererschöpfung bereits überschritten. Andere, wie Indien, seien nicht weit davon entfernt.

Sondermüll im Weltall

Die Experten der UN-Universität richten ihren Blick nicht nur auf die Erde, sondern auch ins All. Inzwischen hat auch der Weltraum ein ernstes Müllproblem. Abermillionen Teile von einem Millimeter Größe bis hin zu ausrangierten Raketenstufen kreisen im Orbit. Und bedrohen jene Satelliten, über die unsere Kommunikation läuft oder die uns mit Messdaten zum Zustand der Erde versorgen.

Ein anderes System, das laut Studie aus der Spur geraten könnte, ist das Versicherungswesen. Wegen Klimawandel und Umweltzerstörung werden Policen immer teurer. In Australien würden inzwischen mehr als eine halbe Million Häuser nicht mehr gegen Flutschäden versichert.

Gegenwart von der Zukunft her gestalten

Der BMZ-finanzierte Report über „Interconnected Disaster Risks“ soll aber nicht bei einer Bestandsaufnahme stehen bleiben. Denn das Wissen um Zusammenhänge und Kipppunkte, betonen die Autoren, ermögliche gezieltes Gegensteuern. Eine Welt ohne Müll, ein Leben im Einklang mit der Natur, mehr weltweite Kooperation, Solidarität mit den nachfolgenden Generationen und eine „Wirtschaft des Wohlbefindens“ anstelle einer auf Wachstum fixierten Ausbeutung: Die Empfehlungen der Wissenschaftler zielen aufs große Ganze.

Letztlich geht es um einen Bewusstseinswandel. Bisher habe die Devise gegolten: „Wir gehen von der Vergangenheit aus und ziehen Schlüsse für die Zukunft“, sagt die stellvertretende Leiterin des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit Zita Sebesvari im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Stattdessen gelte es verstärkt, die Gegenwart ausgehend von der Zukunft zu gestalten.

Bericht herunterladen

Der komplette Bericht sowie weitere Videos finden Sie auf den Internetseiten des Institute for Environment and Human Security der United Nations Unversity in Bonn.

Joachim Heinz (KNA)

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