Wie der Übergang gelingen kann

Weltkirche als Agent einer sozial-ökologischen Transformation

Bonn ‐ Bei der sozial-ökologischen Transformation kommt auch den Kirchen eine wichtige Rolle zu. Worin bestehen die Herausforderungen? Ein Überblick.

Erstellt: 15.02.2023
Aktualisiert: 16.03.2023
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Der Ökonom Simon Kuznets, Erfinder des Bruttoinlandsprodukts (BIP), hat selbst darauf hingewiesen, dass das BIP nur einen sehr eingeschränkten Indikator für Lebensqualität darstelle, weil es viele Aspekte wie u. a. soziale Beziehungen, Umweltbedingungen, Gesundheit, Sinn nicht berücksichtigt. Nachhaltige Entwicklung kann daher nicht auf wirtschaftliche Entwicklung oder „nachhaltiges Wachstum“ reduziert werden, wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ betont. Dennoch räumt er zu Recht ein, dass Wachstum bei der Armutsbekämpfung auch eine Rolle spielt.

Diese Rolle hat die Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz (SWS) in der Studie Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien von 2018 näher untersucht und ist dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: Wachstum pauschal abzulehnen, sei genauso falsch, wie es als vorrangige wirtschaftspolitische Strategie zu verfolgen. Denn viele Probleme, die mit der derzeitigen Wachstumsfixierung verbunden werden, sind auf einen wirtschaftlichen Entwicklungspfad zurückzuführen, der durch problematische Anreizmechanismen und Rahmenbedingungen bedingt ist. Deshalb ist es zentral, durch eine sozial-ökologische Transformation die sozialen und ökologischen Kosten, die Produktion und Konsum verursachen, nicht länger auf unbeteiligte Dritte abzuwälzen.

Zentrale Voraussetzung dafür sind geeignete Ordnungsstrukturen, die den Umweltgebrauch mit einem verursachergerechten Preis belegen und damit den Weg zu kohlenstofffreien Wirtschafts- und Energiekreisläufen bereiten. Eine solche Bepreisung muss jedoch mit sozialem Ausgleich verbunden und international abgestimmt werden. Dafür sind technische und wirtschaftliche Effizienzsteigerungen genauso wichtig wie eine Kultur der Genügsamkeit (Suffizienz), der Solidarität und der internationalen Zusammenarbeit.

Wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann

Mit der Nachfolgestudie „Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann“ hat die SWS Mitte 2021 eine Orientierung in dreierlei Hinsicht dafür gegeben, wie der notwendige Wandel gelingen kann: erstens durch eine Perspektive, die eine motivierende und orientierende Kraft für den Wandel entfaltet, Chancen aufzeigt und somit einzelne Menschen und ganze Gesellschaften zu den notwendigen Veränderungen ermutigt. Demnach sollen alle Menschen jetzt und zukünftig unter Wahrung der planetaren Grenzen gut leben können.

Anhand von zentralen Handlungsfeldern für die Transformation – Energie-, Konsum-, Mobilitäts- und Agrarwende – identifizieren die Fachleute zweitens grundlegende Hindernisse, die die notwendigen Veränderungen blockieren oder erschweren. Dies sind schwache Institutionen und mangelhafte Ordnungsstrukturen, die eine Verlagerung der wahren Kosten auf unbeteiligte Dritte zulassen, ungelöste Verteilungskonflikte und ungleiche Machtverhältnisse, mangelnder Mut zur politischen Gestaltung und Kommunikation sowie problematische Leitbilder für gutes Leben und die Vernachlässigung der kulturellen Dimension.

Bild: © KNA

Auf dieser Grundlage benennt die Studie vier Stellschrauben gelingender Transformation, die gemeinsam und aufeinander abgestimmt in den Blick zu nehmen und neu zu justieren sind: einen Ordnungsrahmen schaffen, der Innovationen und das Gemeinwohl befördert; Zumutungen und neue Handlungschancen fair verteilen; gesellschaftliche Unterstützung durch politischen Mut, Transparenz und Teilhabe fördern sowie Transformation als kulturelle Aufgabe ernst nehmen

Zum spezifischen Beitrag der Kirche für eine sozial-ökologische Transformation

Als weltweite Gemeinschaft und globaler Akteur, der zugleich in sehr unterschiedlichen Kulturen verankert ist, hat die katholische Kirche vielfältiges Potenzial, den notwendigen Wandel zu befördern. Die reichen spirituellen und moralischen Traditionen des Christentums sind eine wichtige Quelle der Kraft und Motivation für persönliche und strukturelle Veränderungen. Daher sollte die Kirche ihren eigenen Erziehungs- und Bildungsauftrag für nachhaltige Entwicklung auf allen Ebenen ernst nehmen und dabei neben der rationalen Erörterung des Themas (Gründe, ethische Argumente) auch die affektiv-emotionale und „spirituelle“ Dimension menschlichen Handelns ansprechen, um zu einem nachhaltigen Lebensstil motivieren zu können.

Dieses reiche Potenzial bringt jedoch auch eine mindestens ebenso große Verantwortung mit sich. Denn die Kirche muss eine Balance zwischen Universalismus und Partikularismus finden, um einerseits ihrem universalen Anspruch gerecht zu werden, die Einheit in globaler Perspektive zu bewahren, und andererseits Raum für unterschiedliche kulturelle Traditionen und Entwicklungen zu lassen.

Bild: © KNA

Anwältin für grenzüberschreitende globale Gerechtigkeit, universelle Menschenrechte und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen kann die Kirche daher nur dann sein, wenn sie sich als Lerngemeinschaft begreift und sich selbst um glaubwürdiges Verhalten und notwendige Reformen im eigenen Verantwortungsbereich bemüht. Dazu müssen die Ortskirchen ihre Zusammenarbeit als gemeinsamen Lernprozess verstehen, als ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Und die Ortskirchen sollten innerhalb des gesamten kirchlichen Einfluss- und Verantwortungsbereichs den eigenen ökologischen Fußabdruck vermindern, ihr Beschaffungswesen konsequent an sozial-ökologischen Kriterien ausrichten, ihre Gebäude, Liegenschaften und Geldanlagen nachhaltig bewirtschaften.

Wenn dies gelingt, kann die katholische Kirche als Weltkirche nicht nur ihr materielles und strukturelles Vermögen, sondern auch ihr spezifisches Potenzial als weltweite Glaubensgemeinschaft in den gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess einbringen, das durch Durststrecken trägt, Gemeinsamkeiten sucht und Hoffnung vermittelt.

Prof. DDr. Johannes Wallacher
Vorsitzender der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz und Präsident der Hochschule für Philosophie München

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im August 2022 im Jahresbericht Weltkirche 2021.

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