Was sie von Plänen der kommunistischen Zentralregierung in ihrer Stadt halte, fragt Liu die Verkäuferin. „Momentan passiert erst mal gar nichts. Niemand darf mehr ein Apartment oder ein Stück Land pachten. Wir dürfen unser Geschäft weder renovieren noch aufstocken. Wer heiratet und mit seinem Mann zusammenzieht, darf sich offiziell nicht mehr am neuen Wohnort anmelden“, erzählt die Frau.
Auf der anderen Straßenseite betreibt ein junges Paar ein Restaurant: ein dunkler Raum, in dem ein paar Hocker und Tische stehen. Davor, auf dem Bürgersteig, wird in verbeulten Töpfen auf offenem Feuer gekocht. „Vielleicht kommen ja ein paar internationale Firmen hierher – aber was haben wir davon?“, fragt der Mann. Er und seine Frau könnten allenfalls als Hilfskräfte arbeiten. „Die gut bezahlten Jobs gehen an die Leute von auswärts, die besser ausgebildet sind.“
Das Ehepaar wird eines Tages nicht mehr hier leben. Sie werden mit ihren verbeulten Töpfen umgesiedelt – nach weit draußen in neue, namenlose Wohnblocks. Allzu häufig müssen in China Menschen Großprojekten weichen. Beim Bau des umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamms mussten Hunderttausende in Zentralchina ihre Dörfer verlassen. In Peking wurden vor Jahren im Zeichen der Modernisierung die traditionellen Wohnviertel abgerissen. Von den 6.000 historischen Hutongs sind nur 600 übrig geblieben.
Zehn Kilometer außerhalb von Xiongxian liegt Baiyangdian, eines der größten Feuchtgebiete Chinas. Pekinger kommen oft am Wochenende hierher, um sich mit roten Holzschiffen auf schmalen Wasserwegen umherfahren zu lassen. „Dort drüben“, sagt Liu und zeigt auf die Felder, die sich hinter dem Schilf erstrecken, „werden in einigen Jahren Bürotürme und Apartmenthäuser stehen.“