Zentralchina auf Landkarte
Junge Erwachsene wollen nicht mehr heiraten

China erwartet starken Geburtenrückgang

Peking ‐ Chinas Bevölkerung altert schneller als erwartet. Die Zahl der Hochzeiten bricht ein. Gründe sind fehlende Jobs, Geldmangel und die Angst vor familiärer Verantwortung. Viele Frauen empfinden die Ehe auch als „Fessel“.

Erstellt: 22.02.2025
Aktualisiert: 20.02.2025
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Von Andreas Landwehr (KNA)

Immer weniger Chinesen wollen heiraten. Dadurch sinkt die Zahl der Geburten weiter und die Gesellschaft überaltert noch schneller. Im vergangenen Jahr haben so wenig Chinesen geheiratet wie seit 1980 nicht mehr. Die Zahl fiel im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent auf 6,1 Millionen, wie das Verwaltungsministerium in Peking mitteilte.

Carl Minzner von der US-Denkfabrik Council of Foreign Relations nennt als Gründe „eine abnehmende Zahl junger Erwachsener, eingetrübte wirtschaftliche Aussichten für Hochschulabsolventen, eine veränderte Einstellung zur Ehe und eine zunehmende Polarisierung der Geschlechter“.

Die chinesische Konjunktur hat zu kämpfen. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist so hoch wie nie. Die Kosten für Wohnraum und Lebenshaltung steigen, ebenso die Ausgaben für Kinder und Bildung. Für Männer, die in China meist eine Wohnung oder hohe Mitgift mit in die Ehe bringen müssen, sind Hochzeiten teuer.

„Der Hauptgrund für den Rückgang der Hochzeiten ist das Geld“, sagt auch die 29 Jahre alte Angestellte Zhang Li. „Die meisten jungen Menschen stehen gleich nach dem Universitätsabschluss vor dem Problem, dass sie kaum eine Anstellung finden.“ Und wenn sie einen Job hätten, reiche das Gehalt gerade für die Lebenshaltungskosten. Für ihre Generation sei es fast unmöglich, sich vom eigenen Gehalt eine Wohnung zu kaufen: „Teure Hypotheken machen es unmöglich.“ 

Auch der Mondkalender hat Auswirkungen

Ohnehin sei es schwer, einen Partner zu finden. „Nach der Arbeit sind wir müde und wollen keine Zeit damit verbringen, neue Leute kennenzulernen, Blind Dates zu haben und uns zu verabreden“, erläutert Zhang Li. „Wenn wir freie Zeit haben, nutzen wir sie lieber zum Geldverdienen.“ 

Auch die Lebenseinstellung habe sich geändert. Junge Leute konzentrierten sich mehr auf sich selbst. „Sobald sie heiraten, müssen sie Verantwortung für ihren Partner und ihre neue Familie übernehmen, was für die meisten jungen Menschen eine Belastung sein kann“, schildert die Angestellte aus ihrem Freundeskreis. „Junge Menschen wollen sich nicht noch mehr aufladen.“ 

Gerade Frauen zögern, ihr Ja-Wort zu geben. Besonders wenn sie mitten im Beruf stehen, finanziell unabhängig sind und fürchten, dass Kindererziehung und Haushalt - wie in der traditionell männerdominierten chinesischen Gesellschaft üblich – an ihnen hängenbleiben. Viele Frauen wollten aber persönliche Unabhängigkeit und Respekt, so Zhang Li. Sie seien nicht bereit, eine „Unterdrückung durch traditionelle Konzepte“ hinzunehmen: „Wir glauben, dass die Ehe eine Fessel für die Frau ist.“ 

Zwar geht die Zahl der Hochzeiten schon länger zurück, doch 2024 war ein besonders negatives Jahr. Viele Paare hatten ihre Eheschließung auf 2023 vorgezogen, um im Jahr des Drachen 2024 ein Kind zu bekommen. Nach dem Mondkalender verheißt das Drachenjahr für Chinesen besonderes Glück. Doch der Rückgang der Hochzeiten war außergewöhnlich. Die Zahl lag 2024 um elf Prozent unter der von 2022. 

Rentensystem in Gefahr

Ohne Heirat auch keine Kinder, da in China außerehelich kaum Kinder geboren werden. So erwarten Experten in diesem Jahr einen weiteren Einbruch der Geburtenrate. Die Fruchtbarkeitsrate lag schon 2022 nur noch bei 1,075 – etwas mehr als die Hälfte der Rate, die für eine stabile Bevölkerungszahl nötig wäre. In diesem Jahr soll die Zahl nach UN-Angaben noch weiter zurückgehen. Das gefährdet das Renten- und Pflegesystem. 

Die Überalterung ist Ergebnis der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik, die erst 2015 beendet wurde. Die Folgen dieses Bevölkerungsexperiments wurden lange unterschätzt. Nun will der Staat mit Propaganda junge Leute zum Heiraten und Kinderkriegen animieren. Behörden organisieren Dating-Veranstaltungen, Massenhochzeiten oder geben finanzielle Anreize – bisher ohne Erfolg.

„Sollte sich dieser besorgniserregende Trend fortsetzen, würde die Zahl der Hochzeiten bis 2029 unter drei Millionen sinken, was einen Geburtenkollaps zur Folge hätte“, warnt der Bevölkerungsforscher Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin. Er hält die Abwärtsentwicklung für „unumkehrbar“. „Die demografische Krise in China übersteigt die Vorstellungskraft der chinesischen Behörden bei weitem.“ 

Unter den wenigen Katholiken und anderen Christen in China dürfte der Trend nach Einschätzung von Yi Fuxian nicht anders sein. Er verweist auf Südkorea, wo die Hälfte der Bevölkerung dem Christentum angehört, aber die Zahl der Heiraten und die Fruchtbarkeitsrate die niedrigsten in Ostasien sind. Christentum und Katholizismus hätten kaum Einfluss auf die Heiratsgewohnheiten. 

Schon seit drei Jahren schrumpft die chinesische Bevölkerung. Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst. Die Überalterung schreitet unaufhaltsam voran. „China wird schneller grau als reich“, heißt es. Rund 250 Millionen Chinesen sind heute über 60 Jahre alt. Die Zahl soll sich bis 2050 auf 520 Millionen mehr als verdoppeln. 

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