Deutsche Bischöfe ringen um Krieg und Frieden
Augsburg ‐ In der Friedensbewegung standen einst Kirchenleute an der Seite von Pazifisten. „Frieden schaffen ohne Waffen“, hieß es auf Demos und in Predigten. Nicht erst seit dem russischen Angriff auf die Ukraine zeigen sich neue Herausforderungen.
Aktualisiert: 14.02.2024
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2023 war, gemessen an der Opferzahl militärischer Konflikte, eines der blutigsten Jahre der jüngeren Vergangenheit. Und die Angst vor einer Eskalation wächst weiter – nicht nur in Nahost, auch in Europa. In diese Lage hinein wollen die deutschen Bischöfe, wenige Tage nach der Münchner Sicherheitskonferenz, bei ihrer Vollversammlung in Augsburg am 21. Februar ein neues Friedenswort veröffentlichen. „Prinzipienfest, aber auch nuanciert und wirklichkeitsgerecht“, heißt es in der Ankündigung.
Präsentiert wird der Text vom Münsteraner Theologen Heinz-Günther Stobbe (76), einem der renommiertesten katholischen Friedensforscher in Deutschland. Stobbe führt in seinem Denken vermeintliche Gegensätze zusammen: Da ist zum einen der klare Pazifismus, der unter Berufung auf die Bergpredigt Jesu jegliche Gewaltanwendung ablehnt. Eine Haltung, die von nicht wenigen als realitätsfern oder gar feige gebrandmarkt wird, obwohl ihre konsequentesten Vertreter dafür das eigene Leben zu opfern bereit sind.
Mitglieder der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi, die in dieser Tradition stehen, können ein Lied davon singen. Wenn sie sich in aktuellen Debatten um Waffenlieferungen, eine deutsche Beteiligung der militärischen Sicherung von Handelswegen im Roten Meer oder einer Aufrüstung der Bundeswehr kritisch zu Wort melden, müssen sie mit Anfeindungen rechnen.
Pazifismus als Gewissensappell
Stobbe macht sich ihre Haltung nicht zu eigen, aber er würdigt deren Bedeutung. Es brauche die Stimme des Pazifismus im Ringen um Krieg und Frieden, sagt er. Als Stachel im Fleisch, als Gewissensappell, sich niemals mit Gewalt abzufinden, sich an sie zu gewöhnen und stets nach Alternativen zu suchen. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat sich zuletzt auch in diese Richtung geäußert.
Und dann gibt es noch die bis heute wirkmächtige Tradition, die auf den Kirchenvater Augustinus und seine Lehre vom „Gerechten Krieg“ zurückgeht. Diese sei im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen und Weltkriege zwar nicht mehr haltbar, sagt Stobbe. Dennoch sieht er in diesem Denken ein bleibendes Verdienst. Krieg sei dadurch überhaupt erst zu einem moralischen Problem geworden. Sprich: Vor Augustinus war Krieg so normal, dass sich niemand darüber den Kopf zerbrach, ob er überhaupt gerechtfertigt ist.
Augustinus steht also bis heute als Pate hinter denen, die Gewalt als äußerstes Mittel zur Gefahrenabwehr und Selbstverteidigung für legitim halten, auch in der katholischen Kirche. Während in Deutschland angesichts der von Putins Regime in Russland ausgehenden Bedrohung solche Stimmen an Gewicht gewinnen, macht Papst Franziskus in Rom noch mehr als seine Vorgänger den christlichen Pazifismus stark. Zuletzt warnte er in seiner Neujahrsansprache vor Diplomaten vor einem „dritten Weltkrieg in Stücken“. Und davor, zivile Opfer als „Kollateralschäden“ angeblich unvermeidbarer Kampfhandlungen zu betrachten.
Neuer Grundlagentext der Bischöfe erwartet
Es gibt in der katholischen Kirche eine Kommission namens Justitia et Pax (Gerechtigkeit und Frieden), in der die meisten katholischen Organisationen und Akteure aus der Friedens- und Menschenrechtsarbeit vertreten sind. Stobbe ist dort Moderator. Markus Patenge, der als Referent bei Justitia et Pax für Friedensethik und Sicherheitspolitik zuständig ist, hält es für falsch, „Pazifismus oder Waffen“, „Gewalt oder Verhandlungen“ als Alternativen zu betrachten, zwischen denen man sich entscheiden müsse.
Gewaltfreiheit als innere Einstellung behalten, auch wenn man unter bestimmten Umständen einen Einsatz von Waffen richtig findet, sich dabei aber ihrer verhängnisvollen Anziehungskraft entziehen – das sei jetzt in der katholischen Friedensethik gefragt, so der Experte.
Bleibt abzuwarten, wie die deutschen Bischöfe diesen Spagat meistern. Dem Vernehmen nach fällt die Fortschreibung des 170 Seiten starken Grundlagentextes „Gerechter Friede“ aus dem Jahr 2000 nicht schlanker aus.
Bisher ist nur der Titel bekannt: „Friede diesem Haus“. Ein Jesuswort aus dem Lukas-Evangelium, zugleich ein Auftrag an seine Jünger und damit an die Kirchen. Mehr als ein frommer Wunsch?