„Mohammed selbst zeigte eine tiefe Verbundenheit zur Natur“
Paderborn ‐ Auch im Islam sind die Gläubigen dazu aufgerufen, die Schöpfung zu bewahren. Idris Nassery hat in Paderborn einen Lehrstuhl für Islamische Rechtswissenschaften inne. Er sieht im Koran gleich mehrere umweltethische Ansätze.
Aktualisiert: 26.05.2023
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Unter dem Titel „Verlorenes Paradies? Umweltethik im Kontext der islamischen Theologie“ veranstalten das Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster und das Paderborner Institut für Islamische Theologie in diesem Sommersemester eine hybride Ringvorlesung. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Idris Nassery, Lehrstuhlinhaber für Islamische Rechtswissenschaften in Paderborn, über Ansätze einer islamischen Umweltethik.
Frage: Herr Professor Nassery, gibt es überhaupt eine islamischen Umweltethik?
Nassery: Ja. Sie existiert nicht erst seit dem Aufkommen von Bewegungen wie Fridays for Future oder der Letzten Generation. Bereits seit den 70er Jahren haben in islamisch geprägten Länder staatliche wie nicht-staatliche Akteure Initiativen und Ansätze entwickelt, um der dort spürbaren Umweltkrise zu begegnen. Die theoretische Grundlage dafür wurde jedoch erst im Zuge der praktischen Umsetzung geschaffen.
Frage: Lehrstühle für islamische Umweltethik gibt also noch nicht?
Nassery: Nein. Die Forschung und Diskussion zu diesem Thema konzentriert sich derzeit eher auf philosophische Ansätze, die sich mit Umweltethik im Allgemeinen befassen. Künftig könnten aber auch Lehrstühle oder Forschungseinrichtungen entstehen, die sich explizit mit islamischer Umweltethik auseinandersetzen.
Frage: Kann eine islamische Umweltethik sich denn auf den Koran oder die Tradition berufen?
Nassery: Definitiv. Der Koran und die prophetische Tradition bieten dafür reiche Quellen. Die göttliche Offenbarung wurde in engem Kontakt mit der Natur und der Schöpfung an den Propheten Mohammed übermittelt. Mohammed selbst zeigte eine tiefe Verbundenheit zur Natur und zur Tierwelt. In der Betonung der Vollkommenheit und Harmonie der Schöpfung finden sich grundlegende Prinzipien, die als Ausgangspunkt für eine zeitgemäße Umweltethik dienen können. Es liegt an den muslimischen Wissenschaftlern, diese Anknüpfungspunkte zu erforschen und weiterzuentwickeln, um Entwürfe einer islamischen Umweltethik zu formulieren.
„Nur wenn die Schöpfung bewahrt bleibt, kann auch die vollständige Schönheit Gottes wahrgenommen werden.“
Frage: Können Sie das konkretisieren?
Nassery: Konkret lassen sich fünf wissenschaftliche Ansätze für Zugänge einer islamische Umweltethik erkennen. Der erste Grundsatz basiert auf der Vorstellung, dass der Mensch eine Verantwortung und Treuhänderschaft für die Schöpfung trägt. Gemäß dem islamischen Grundprinzip der halifa ist der Mensch nicht nur ein Stellvertreter oder Statthalter Gottes, sondern Bewahrer der Schöpfung. Seine Aufgabe besteht darin, die Schöpfung zu erhalten. Dabei ist diese Verantwortung eng mit dem freien Willen des Menschen verknüpft. Es liegt an ihm, diese Verantwortung wahrzunehmen im Einklang mit den Lehren des Islam.
Frage: Der Auftrag Gottes darf aber nicht als Ermutigung zur Ausbeutung der Schöpfung missverstanden werden?
Nassery: Eine solche Deutung wurde im Islam nicht etabliert oder akzeptiert. Vielmehr betrachtet der Islam den Auftrag Gottes an den Menschen ohne derartige negative Konnotationen. An dieser soliden Grundlage lässt sich auch heute noch anknüpfen.
Frage: Welchen weiteren Ansatz für eine islamische Umweltethik sehen Sie?
Nassery: Ein weiterer bedeutsamer Ansatz gründet auf dem Konzept der Einheit und Einsheit (tauhid) Gottes sowie seiner tiefen Verbundenheit mit der gesamten Schöpfung. Indem der Mensch sich als Teil eines umfassenden Ganzen begreift, wird sein Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung gestärkt. In diesem Zusammenhang strebt der Mensch danach, das harmonische Gleichgewicht des gesamten Systems zu bewahren. Eine aufrichtige Religiosität kann also nicht gelebt werden, wenn die Umwelt verwahrlost oder verfällt. Der Mensch erkennt seine untrennbare Verbindung mit dem umfassenden ökologischen Gefüge. Denn nur wenn die Schöpfung bewahrt bleibt, kann auch die vollständige Schönheit Gottes wahrgenommen werden.
Frage: Dieser Ansatz baut auf der Ästhetik auf. Gibt es auch Forderungen, die auf Moral oder Gerechtigkeit aufbauen?
Nassery: In einem dritten Ansatz wird tatsächlich die rücksichtslose Ausbeutung der Schöpfung durch den vorangetriebenen Kapitalismus missbilligt. Denn die Menschen haben die moralische Verpflichtung, Gerechtigkeit und Fairness gegenüber der Schöpfung sicherzustellen. Dies erfordert eine nachhaltige und reflektierte Nutzung der Ressourcen - auch mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der künftigen Generationen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Umweltzerstörung am stärksten diejenigen trifft, die diese selbst kaum verursacht haben. Ein deutliches Beispiel dafür war die verheerende Sintflut in Pakistan im vergangenen Jahr, deren zerstörerische Wucht ausgerechnet diejenigen traf, die nahezu nichts zum CO2-Ausstoß beigetragen hatten.
Frage: Das heißt: Entschiedene Maßnahmen gegen den Klimawandel sind erstmal Sache der entwickelten Länder mit ihrem exzessiven Konsum und Energieverbrauch?
Nassery: Wenn wir konsequenter handeln würden, könnten wir möglicherweise einige Katastrophen in ärmeren Ländern vermeiden. Hier lehrt uns der vierte Ansatz zu einem islamischen Zugang zur Umweltethik, dass der Mensch eine natürliche Veranlagung (fitra) und eine angeborene Neigung hat, die auf Gott ausgerichtet ist. Es ist ein innerer Kompass, der die natürliche Ordnung wertschätzt und schützt. Dieses grundlegende ethische Verhalten ermutigt die Menschen dazu, im Einklang mit den natürlichen Prozessen zu handeln, anstatt sich dem rücksichtslosen Konsum hinzugeben. Schließlich versucht der fünfte Ansatz, der vor allem im deutsch- und englischsprachigen Kontext verankert ist, all diese Ansätze miteinander zu verbinden, um eine umfassende islamische ökologische Ethik zu etablieren.
Frage: Inwieweit sind die Ansätze schon bei der Bevölkerung in islamisch geprägten Staaten angekommen?
Nassery: Sie sind in vielen Ländern mit muslimischer Prägung bisher noch nicht weit verbreitet. Diese Länder sind häufig von Armut, Analphabetismus und fehlenden Perspektiven geprägt, wodurch Umweltfragen oft nicht im Vordergrund stehen können. Die Bevölkerung ist primär damit beschäftigt, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen und ihre Familien zu versorgen. Umweltschutz und die nachhaltige Entwicklung müssen dort mit der Bekämpfung von Armut, Bildungsdefiziten und anderen dringenden Problemen einhergehen. Daher benötigen diese Länder eine umfassende Unterstützung, insbesondere von europäischen Staaten.
Frage: Gibt es denn bereits muslimische Umweltbewegungen?
Nassery: Im deutschsprachigen Raum existieren muslimische Vereine wie „NourEnergy“, die sich für grüne Energie engagieren. Auf globaler Ebene gibt es Bewegungen, die das Bewusstsein für Umweltfragen schärfen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Der Umweltschutz erfordert aber Anstrengungen aller Menschen. Von zentraler Bedeutung ist es, dass Regierungen entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.
KNA