Von Delta schwirren die Goldsucher rund um die Uhr aus. Wie rastlose Ameisen fällen sie Bäume und wühlen mit Vorderladern und Baggerschiffen den Sandboden um. Für ein Gramm Gold muss mindestens eine Tonne Stein und Geröll abgetragen und über eine Rutsche, belegt mit faserigem Teppich, geleitet werden. Dort bleibt der schwere, dunkle Sand kleben, in dem sich der Goldstaub versteckt. Anschließend wird die Masse mit Quecksilber versetzt und das Gold herausgelöst. Zurück bleibt eine verseuchte Wüste. Die Spur der Zerstörung ist inzwischen 70.000 Hektar groß. Im Fluss Madre de Dios sind die überlebenden Fische ungenießbare Giftbomben. 60 Prozent aller Speisefische und 78 Prozent aller Bewohner der Provinzhauptstadt Puerto Maldonado weisen erhöhte Quecksilberwerte auf, hat das Carnegie-Institut in einer Studie 2013 festgestellt. Am stärksten ist die Belastung bei den Kindern in indigenen Gemeinden der Region Madre de Dios. Quecksilber führt zu Nervenstörungen, Muskelschwund und Missbildungen bei Neugeborenen.
Tayoris Töchter wollten diesem Ambiente entfliehen. Doch die nächste Sekundarschule ist in Puerto Maldonado, und bis dahin sind es sechs Stunden – in Booten, Bussen, Motorrädern und auf der Ladefläche von Pickups, wenn nicht gerade Hochwasser und der Fluss unpassierbar ist. „Das Internat Santa Cruz war die einzige Chance“, erzählt Tayori. Sie meint damit die katholische Bildungseinrichtung der Missionsschwestern der „Hijas de la Purísima Virgen María“ in Puerto Maldonado. Seit 1980 beherbergen die Schwestern jedes Jahr bis zu 20 indigene Mädchen, die an der angeschlossenen katholischen Privatschule die Sekundarstufe abschließen. „Das Internat ist nur für indigene Mädchen, weil sie am meisten benachteiligt werden und niemand ihnen eine Chance gibt“, sagt Schwester Maria Trinidad Mockabee.
Bei den Schwestern werden die Mädchen für eine bescheidene Gebühr von umgerechnet 15 Euro monatlich beherbergt und verköstigt, bekommen Nachhilfe und psychologische Unterstützung. Zwei der drei Töchter Tayoris haben die Schule besucht. Eine ist Lehrerin, die andere studiert Kommunikationswissenschaften. Sie sehen die Situation kritisch. „Von außen kommen viele schlechte Dinge, und wir sind nicht darauf vorbereitet. Die Eindringlinge wollen nur das Gold, aber wir haben den Schaden“, bedauert María. Sie möchte deshalb gerne einmal Anwältin werden – „um mein Volk zu verteidigen, denn uns geschieht viel Unrecht“.
„Amazonien ist für uns alle ein Prüfstein“, appellierte Franziskus erst vor wenigen Monaten in Kolumbien. „Dort können wir sehen, ob unsere materialistisch und pragmatisch ausgerichtete Gesellschaft in der Lage ist, dieses Geschenk zu bewahren, statt es zu zerstören.“
Von Sandra Weiss
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