Tragödie der Yanomami in Brasilien geht auch unter Lula weiter
Rio de Janeiro ‐ Im größten Reservat Brasiliens verbreiten sich erneut Krankheiten und Hunger. Denn auch die neue Regierung von Präsident Lula da Silva kann die illegalen Goldsucher nicht aus dem Yanomami-Gebiet vertreiben.
Aktualisiert: 02.02.2024
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Die Bilder ausgemergelter indigener Kinder sorgten im Januar 2023 in ganz Brasilien für Entsetzen. Die damals gerade aus dem Amt geschiedene Regierung von Jair Messias Bolsonaro habe bewusst die prekäre Lage im Yanomami-Reservat hingenommen, erklärten Journalisten damals. Sie sprachen angesichts von Krankheiten und Hunger gar von einem „Genozid“ an den Indigenen. Doch ein Jahr später geht die Tragödie unverändert weiter. Denn auch der neuen Regierung gelingt es nicht, die illegalen Goldgräber aus der Region zu vertreiben.
Dabei hatte der linke Präsident Luiz Inacio Lula da Silva den Schutz der Indigenen auf seine Fahne geschrieben. Einen Tag nachdem Medien Anfang 2023 berichtet hatten, dass unter Bolsonaros Regierung von 2019 bis 2022 insgesamt 570 Kinder unter 5 Jahren in dem Reservat gestorben seien, war Lula mit einer Entourage von Ministern und vielen Versprechen ins nördliche Amazonasgebiet geeilt. Im Yanomami-Reservat rief er medienwirksam den gesundheitlichen Notstand aus.
Seitdem hat die Regierung umgerechnet rund 200 Millionen Euro für den Schutz des Gebiets und der dort lebenden 30.000 Indigenen ausgegeben; rund 2.000 Ärzte wurden in die Region entsandt. Doch verbessert hat sich wenig. Von Januar bis November 2023 starben in dem Reservat 308 Indigene, darunter 162 Kinder unter 5 Jahren. Davon waren 104 Kleinkinder von unter einem Jahr. Die Fälle von Malaria, Grippe und Durchfallerkrankungen nahmen zuletzt wieder zu, Dutzende Indigene verhungerten.
Vor einigen Wochen kündigte Lula an, den Schutz der Yanomami zur Chefsache zu machen. Doch ähnliche Versprechen habe er bereits ein Jahr zuvor gegeben, merkten kritische Medien an. „Die Regierung hat dabei versagt, die Leben der Yanomami zu retten“, schrieb das sonst der Regierung wohlgesonnene Amazonas-Portal „Sumauma“. „Ich würde sagen, dass die Regierung das Problem unterschätzt hat“, sagte Estevan Senra von der NGO Instituto Socioambiental mit Blick auf die illegalen Goldsucher.
Immer wieder Zusammenstöße mit Goldsuchern
Der katholische Indigenen-Missionsrat Cimi bezeichnete am Donnerstag in einer Erklärung die eingeleiteten Maßnahmen als „ungenügend und nicht effektiv“. Die Regierung habe keine permanenten Kontrollen, auch nicht des Luftraums, eingerichtet und sei nicht gegen die Versorgungslinien der Goldsucher vorgegangen. Am schwersten wiegt jedoch der Vorwurf, dass die Lula-Regierung dem Druck lokaler Eliten nachgegeben habe, die die Goldsucher schützen. So setze auch das Militär den Auftrag nicht um, die Goldsucher zu vertreiben.
Seit der Erschließung des nördlichen Amazonasgebiets in den 1970er Jahren war es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Yanomami und Goldsuchern gekommen. Zur Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 hatte die damalige Regierung auf internationalen Druck hin das Indigenen-Gebiet eingerichtet. Mit rund 100.000 Quadratkilometer ist die „Terra Indigena Yanomami“ bis heute das größte Reservat Brasiliens.
Schutz vor Eindringlingen garantierte das nicht. Was auch an der Größe und der Abgeschiedenheit des Geländes liegt. Unter der Bolsonaro-Regierung nahm die Zahl der dort illegal arbeitenden Goldsucher auf bis zu 20.000 zu. Beim rücksichtslosen Schürfen verseuchen sie die Flüsse mit Quecksilber und schleppen unkontrolliert Krankheiten ein.
Überdies nahm auch die Aktivität von Drogenbanden in dem Gebiet zu. Neben brasilianischen Gangs, die seit Jahren um die Schmuggelrouten durch Amazonien kämpfen, sind nun auch kolumbianische und venezolanische Banden dort aktiv. Bolsonaro, der sich stets für eine wirtschaftliche Erschließung der Indigenen-Gebiete aussprach, wurde mehrfach von der Justiz aufgefordert, gegen die Eindringlinge vorzugehen. Doch Kommandoaktionen des unwillig erscheinenden Militärs blieben erfolglos.
Obwohl die neue Regierung die von Bolsonaro ausgedünnten Kontrollbehörden wie die Indigenen-Behörde Funai personell wieder aufstocken will, fehlt es noch immer an ausreichenden Kontrollen. Zwar nahmen die Aktivitäten der Goldsucher nach ersten erfolgreichen Aktionen der Regierung in der ersten Jahreshälfte 2023 um bis zu 80 Prozent ab. Allerdings kamen die meisten danach schnell wieder zurück.
Oftmals würden die kriminellen Banden von venezolanischem Gebiet her in das Reservat eindringen, berichten Medien. Das abgelegene, schwer zugängliche Gelände stellt die Regierung derweil vor große logistische Probleme. So sei es nicht gelungen, rund 40.000 für die Yanomami vorgesehene Hilfspakete an die Indigenen zu verteilen, schrieb das Portal „G1“ in dieser Woche.