„Man kann heute mit dem ersten Schritt anfangen“
Dass es höchste Zeit für eine sozial-ökologische Wende ist, haben die meisten verstanden. Prof. Dr. Petra Dickel erklärt im Interview, warum das individuelle Verhalten häufig noch nicht zum Ernst der Lage passt – und wie sich das ändern lässt.
Aktualisiert: 03.04.2023
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Über zehn Jahre ist es schon her, dass die Band Deichkind über kognitive Verzerrungen rappte: “Autos machen Dreck, Umwelt geht kaputt, doch ne fette neue Karre ist leider geil“, hieß es in ihrem Erfolgssong. Diese Haltung bleibt verbreitet, gerade im Hinblick auf die Klimakrise. Warum das so ist, erforscht die Professorin Petra Dickel – im Projekt „Kognitive Einflussfaktoren der Klima- und Umweltschutzkommunikation“ der Fachhochschule Kiel. Im Interview spricht sie über Eisbären, Fridays for Future und die Möglichkeiten zur Veränderung.
Frage: Frau Dickel, viele Probleme rund um den Klimawandel sind in der Gesellschaft deutlich präsenter als noch vor zehn Jahren. Ein Erfolg?
Dickel: Man kann darüber diskutieren, ob sie präsent genug sind – aber grundsätzlich ist diese starke Präsenz gut. Wir wissen sehr viel über die Ursachen und Folgen des Klimawandels. Das allein reicht allerdings nicht aus. Das ist der Punkt, an dem unser Projekt ansetzt: Trotz der starken Präsenz braucht es immer noch ein Umdenken und vor allem eine Veränderung im Handeln. Da besteht eine sehr große Lücke. Zu wissen, was es bräuchte, und das tatsächlich umzusetzen, ist ein Unterschied.
Frage: Warum fällt es uns so schwer, die Klimakrise als unser Problem zu betrachten?
Dickel: Das hat viele Gründe. Kulturelle Unterschiede spielen eine Rolle, aber auch der Stand von Wissen, Einstellungen und Erfahrungen unterscheidet sich. Wir untersuchen sogenannte kognitive Verzerrungen, also ein fehlerhaftes Wahrnehmen, Erinnern und Urteilen, über welches wir uns meist nicht bewusst sind. Es geht um bestimmte Verhaltens- und Handlungsmuster, die mehr oder weniger automatisiert ablaufen. Routinen, über die wir nicht nachdenken müssen, sind überlebensnotwendig – sie führen aber manchmal auch dazu, dass wir uns widersprüchlich verhalten oder bestimmte Aspekte eines Themas nicht wahrnehmen.
Frage: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Dickel: Dafür finden sich im Alltag viele Beispiele. So wissen wir, dass das Fahrradfahren oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel deutlich klimaschonender sind. Dennoch steigen wir ins Auto oder fliegen in den Urlaub - und produzieren mehr CO2, als es notwendig wäre. Natürlich hängt das auch von den Rahmenbedingungen ab, aber in vielen Fällen ist es schlicht bequemer, darüber nicht nachzudenken. Oder wir finden Rechtfertigungsmechanismen wie: Letzte Woche bin ich mit dem Fahrrad gefahren, also kann ich heute wieder das Auto nehmen.
Frage: Vorwürfe, die einen wahren Kern haben, hören die meisten Menschen besonders ungern. Welche Rolle spielt es, wenn man sich ertappt fühlt?
Dickel: Ich würde das als Störgefühl beschreiben, das wir uns soweit zurecht legen, bis es dann doch wieder passt. Wir sehen andere, die wenig fürs Klima tun – und fühlen uns selbst entlastet. Oder wir denken: Das habe ich doch immer so gemacht, es hat viele Vorteile, das so zu machen. Diese inneren Widersprüche sind uns oft nicht bewusst beziehungsweise wir versuchen, diese schnell aufzulösen.
„Nicht in Schockstarre fallen, sondern dranbleiben.“
Frage: Viele sehen die jüngere Generation als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Gibt es bei dem Thema einen Generationenkonflikt?
Dickel: Das würde ich nicht sagen. Die Themen Umwelt- und Klimaschutz sind seit Jahrzehnten präsent, spätestens ab den 1970er, 80er Jahren mit der Anti-Atomkraft-Bewegung. Ich denke eher, dass es in jeder Generation Menschen gibt, die sich klimafreundlicher verhalten und für Klimaziele kämpfen, andere verhalten sich klimaschädlicher, und dann gibt es viele dazwischen. Die Unterschiede betreffen weniger die Generationen, sondern vielmehr Milieus, auch Länder. Studien zeigen, dass die reichen Nationen das Problem im Wesentlichen verursachen und die ärmeren Länder es ausbaden müssen.
Frage: Welche Rolle spielt die Bildung von Gruppen und Allianzen, um ein Thema ernsthaft anzugehen?
Dickel: Das Thema Präsenz hängt stark mit Aktivitäten von Gruppen zusammen. Dabei geht es einerseits darum, überhaupt Aufmerksamkeit zu erreichen - andererseits darum, Denkanstöße und neue Ideen zu bekommen. Wichtig sind Gruppen wie Fridays for Future auch für die persönliche Identifikation von jungen Menschen.
Frage: Gibt es erste Erkenntnisse dazu, was in der Kommunikation des Themas eher schlecht oder auch besonders gut funktioniert?
Dickel: Wichtig ist der persönliche Bezug zu einem Thema. Die Klimakommunikation funktioniert am besten, wenn man einen Bezug herstellen kann zu dem Ort, an dem man lebt, zum eigenen Job oder Hobbies. Das ist effektiver als die früheren Kampagnen mit Eisbären, die für viele Menschen geografisch und auch gefühlsmäßig weit weg sind. Allerdings ist die Vorstellung, der Klimawandel sei weit weg, immer noch in vielen Köpfen verankert. Man redet es sich schön, wenn die Sommer immer heißer werden und es im Winter keinen Schnee mehr gibt. Dabei sind dies nur die Vorboten von noch dramatischeren Folgen.
Frage: Manche sagen, es bräuchte eine positive Zukunftsvision statt apokalyptischen Szenarien. Wie schätzen Sie das ein?
Dickel: Insbesondere die jüngere Forschung ergibt, dass die Kommunikation von Lösungen mehr erreicht, als Probleme darzustellen. Es ist also sehr wichtig aufzuzeigen, wie es gehen kann, wie man konkret am Klimaschutz arbeiten kann. Horrorszenarien erleben viele Menschen als abschreckend. Wenn man Menschen nicht signalisiert, dass sie etwas tun können, dann ziehen sie sich zurück und resignieren. Dieser zentrale Punkt der Klimakommunikation muss noch stärker beachtet werden. In unseren Studien geht es auch um die Frage, wie sich Personengruppen mit unterschiedlichem Wissen und unterschiedlichen Einstellungen erreichen lassen.
Frage: Jede und jeder Einzelne kann etwas tun – aber sind für die wirkungsvollen Änderungen nicht auch Politik und Wirtschaft gefragt?
Dickel: Das muss Hand in Hand gehen. Wenn nur einzelne Personen ihr Verhalten umstellen, während Wirtschaft und Politik das Gegenteil tun, dann beißt sich das gewaltig. Bei diesem Thema müssen alle auf allen Ebenen sich gemeinsam anstrengen - und eben auch auf individueller Ebene. Die einzelne Person hat nicht den einen großen Hebel, aber die Summe an verschiedenen Einzelhandlungen macht einen Unterschied.
Frage: Haben Sie einen Tipp, wie jede und jeder im Kleinen anfangen kann?
Dickel: Wichtig ist vor allem, sich selbst noch häufiger an die eigene Nase zu fassen und sich zu fragen: Was kann ich heute konkret für den Klimaschutz tun? Diese Frage stellen wir uns zu selten oder wiegeln sie ab. Ob es darum geht, Wasser zu sparen, vielleicht doch das Fahrrad zu nehmen oder einen Veggie-Day einzulegen - es wirklich zu tun, ist der Knackpunkt. Man kann und muss nicht von heute auf morgen die Welt revolutionieren, aber man kann heute mit dem ersten Schritt anfangen.
Frage: Also jeden Tag eine gute Tat fürs Klima?
Dickel: Genau, und am nächsten Tag vielleicht zwei oder drei. Nicht in Schockstarre fallen, sondern dranbleiben. Wichtig ist, dass sich aus der stetigen Wiederholung dieser Aktivitäten neue Routinen entwickeln. Irgendwann fragt man sich nicht mehr, ob es komisch oder unbequem ist, das Fahrrad zu nehmen, sondern tut es einfach. Wenn wir diesen Punkt erreichen, sind wir schon einen großen Schritt weiter. kna