Vom Dilemma der katholischen Kirche in China

Vom Dilemma der katholischen Kirche in China

China ‐ Der Steyler Missionar Pater Martin Welling, Leiter des China-Zentrums, kehrte Anfang der Woche von einer China-Reise zurück. Im zweiten Teil unseres Interviews ging es neben den Verhandlungen zwischen China und dem Vatikan auch um Armut und Wirtschaft.

Erstellt: 28.05.2017
Aktualisiert: 19.03.2024
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Der Steyler Missionar Pater Martin Welling leitet seit 2012 das China-Zentrum in Sankt Augustin. Anfang der Woche kam er von einer China-Reise zurück - kurz vor dem Weltgebetstag für die Kirche in China. In einem ersten Teil des Interviews sprachen wir mit ihm über die Lage der Christen in dem Land. Im zweiten Teil sprechen wir über mögliche Konsequenzen der Vatikan-Verhandlungen mit China sowie über die Themen Armut und Wirtschaft.

Frage: Wie optimistisch sind Sie und welche Konsequenzen hätte eine Einigung des Vatikan mit China – etwa bei den Bischofsernennungen?

Welling: Unter den verschiedenen Antworten von Bischöfen und Priestern, die ich in China auf diese Frage erhalten habe, hat mich eigentlich eine besonders überzeugt – ein Bischof meinte: Wenn wir es auch unter vielen Opfern schaffen – etwa mit einer wie auch immer gearteten Anerkennung der illegitimen Bischöfe – eine von allen Seiten anerkannte Bischofskonferenz Chinas zu etablieren, dann gibt es einen zentralen, eindeutigen Kommunikationskanal zwischen der chinesischen Kirche und der Regierung. Zugleich würden wir auf Augenhöhe stehen mit den Bischofskonferenzen weltweit und könnten unseren Beitrag als vollwertiges Mitglied der katholischen Weltkirche leisten!

Allerdings könnte so etwas zu noch größeren Spannungen in der chinesischen Kirche führen:

Ich habe die „militanten“ Untergrundchristen angesprochen. Sie lehnen konsequent die Verhandlungen des Vatikan mit China ab. Man begegnet dort Priestern und Bischöfen, die zum Teil über 30 Jahre ihres Lebens im Gefängnis und Arbeitslager verbracht haben, weil sie nicht auch nur einen Deut von der Treue zu Rom und zum Papst abweichen wollten. Papst Pius XII. hatte ja 1949 jegliche Zusammenarbeit mit Kommunismus unter die Strafe der Exkommunikation gestellt, sie waren gehorsam und haben unendlich viel Leid erfahren. Viele verstehen nicht, dass im Gegensatz zu der von Pius XII. verkündigten „Wahrheit“ schon Benedikt XVI. 2007 in seinem Brief an die chinesische Kirche zur Zusammenarbeit ermutigte und Franziskus seit 2014 mit den Kommunisten verhandelt, die streng genommen gar keine mehr sind.

„Die Untergrundchristen verehren ihre alten ,Märtyrer', helfen ihnen, pflegen sie und sind ob der neuesten Entwicklungen erfüllt von Zorn und bitterer Ohnmacht. Sie wollen sich nicht beugen! Nie!“

—  Zitat: Pater Martin Welling, Leiter des China-Zentrums in Sankt Augustin

„Wahrheit bleibt doch Wahrheit“ brach es aus einem Priester heraus, der über 35 Jahre im Arbeitslager geschuftet hat und jetzt ganz ärmlich im tiefsten Untergrund lebt. Und während diese großartigen Christen, vor allem diese greisen Bischöfe, fast alle Frieden und Ruhe ausstrahlen, im Geist der Vergebung für ihre Peiniger sprechen, sagen: „Wir haben lange gelitten, aber wir werden auch jetzt gehorchen“, sind nicht alle Untergrundchristen dazu bereit. Sie verehren ihre alten „Märtyrer“, helfen ihnen, pflegen sie und sind ob der neuesten Entwicklungen erfüllt von Zorn und bitterer Ohnmacht. Sie wollen sich nicht beugen! Nie!

Andere Gruppen der Untergrundkirche denken ähnlich wie die Katholiken der „offenen“, „offiziellen“ Kirchen: es wäre ja gut, wenn es einen Konsens zwischen dem Vatikan und China gäbe, aber fast alle sind sich sicher: „Die vatikanische Delegation wird fürchterlich über den Tisch gezogen“. Der Argwohn sitzt tief, denn die Verhandlungen sind geheim, es wird nicht einmal offiziell veröffentlicht, wer da den Vatikan vertritt. In der vatikanischen Delegation gibt es dem Vernehmen nach nur einen einzigen Chinesen, der aber nicht in China lebt. Es entscheiden also fast ausschließlich Nicht-Chinesen über das Schicksal Chinas, die mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung nicht leben müssen. Der Hongkonger Kardinal Tong versuchte in einem langen Artikel dem tiefen Misstrauen zu begegnen und den Zweiflern zu versichern, der Papst werde nicht gegen seine eigenen Prinzipien verstoßen!

Vielleicht sind ja noch vertrauensbildende Maßnahmen geplant, denn sonst bliebe ein Bild im Gedächtnis, bei dem Katholiken, die ihr halbes Leben der Treue zur Weltkirche und zum Papst geopfert haben, unbeachtet am Rande jenes Weges bleiben, auf dem die Delegation mit den illegitimen und teils exkommunizierten Bischöfen zur Vertragsunterschrift mit den chinesischen Behörden schreitet! Wie sollen die Gemeinschaften der chinesischen Kirche dann zusammenfinden? Ich bin überzeugt von der Liebe des Papstes zu China und von seiner Weisheit. So wird er vielleicht doch einen Weg aus diesem Dilemma finden.

„‚Uns hätte nichts Besseres passieren können als dieser Trump‘, meinte ein Chinese aus der Wirtschaft. Wo Trump Löcher in die internationalen Vernetzungen schneidet, bauen die Chinesen schnell einen Arm der Seidenstraße hinein!“

—  Zitat: Pater Martin Welling, Leiter des China-Zentrums in Sankt Augustin
Bild: © China-Zentrum

Frage: Chinas Wirtschaft lahmt zurzeit, der Kampf gegen die Armut gestaltet sich als schwierig, 82 Millionen Menschen fehlt das Nötigste zum Leben. Wie sehr ist Ihnen Armut auf Ihrer Reise begegnet und inwiefern waren chinesische Christen davon betroffen?

Welling: Auf unserer Reise konnten wir diesmal nicht in die wirklich armen Berggegenden Chinas fahren. Es gibt immer noch sehr viele Arme, es tut weh und fordert zu mehr Einsatz auf. Dennoch muss man fairerweise sagen: es gibt wohl kein Land auf der Erde, das in den letzten Jahrzehnten so intensiv und erfolgreich gegen die Armut großer Teile der Bevölkerung gearbeitet hat wie China. Natürlich kann man nicht die Augen verschließen vor der Riesenschere zwischen den Superreichen und den Hunderten Millionen armen Menschen in China. Die Gefahr, die darin steckt, hat die Kommunistische Partei Chinas klar erkannt. Hoffen wir, sie handelt entschlossen und schnell, wie sie auch alle Infrastrukturprojekte behandelt, was zeigt: wenn sie wollen, können sie!

Frage: Wie haben Sie die neuen Bestrebungen Chinas zur Wiederbelebung der Seidenstraße aufgenommen? Glauben Sie, dass damit auch eine kulturelle Öffnung Richtung Westen einhergehen könnte, wie sie einst durch die Seidenstraße gegeben war?

Welling: Darüber wurde bei unserem Besuch sehr viel gesprochen. Die beiden Seidenstraßen (ein Gürtel, eine Straße) werden viele Nationen und Wirtschaften vernetzen und haben durchaus auch mit Armutsbekämpfung zu tun, denn die damit geschaffenen Infrastrukturen nutzen China und den ländlichen Gebieten. Ferner schickt China zu solchen großen Projekten fast immer seine eigenen Ingenieure, auch seine eigenen Arbeiter, seine eigenen Maschinen und bisweilen sogar sein eigenes Material. China wird stark von diesem – eigentlich symbolischen – Konzept profitieren. Es wird dadurch vielleicht sogar der wichtigste globale Player: „Uns hätte nichts Besseres passieren können als dieser Trump“, meinte ein Chinese aus der Wirtschaft. Wo Trump Löcher in die internationalen Vernetzungen schneidet, bauen die Chinesen schnell einen Arm der Seidenstraße hinein!

Die kulturellen und sogar religiösen Implikationen sind durchaus Gegenstand der Forschung in höchsten chinesischen Kreisen. Selbstverständlich gibt es Implikationen, vor allem, weil beide Straßen durch muslimische Gegend führen, vor denen China durchaus Respekt, wenn nicht Sorgen wegen terroristischen Einflusses hat. Wie genau diese kulturellen und religiösen Begegnungen dann Einfluss auf China haben werden, wird man schlicht abwarten müssen. Aber China schaut genau hin!

Das Interview führte Claudia Zeisel

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