„Der Vatikan will den Dialog mit China vorantreiben“
Rom/Sankt Augustin ‐ Die Beziehungen zwischen China und dem Vatikan sind kompliziert. Ein Konzil in Shanghai vor 100 Jahren sollte Besserung bringen. Daran erinnert nun eine hochkarätige Konferenz in Rom – und weckt zugleich Erwartungen.
Aktualisiert: 21.05.2024
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1924 fand in Shanghai das erste Teil-Konzil der Kirche in China statt. Daran erinnert am Dienstag im Vatikan ein Kongress mit bedeutenden Wissenschaftlern und Vertretern der chinesischen Kirche, zudem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und Kurienkardinal Luis Tagle; der Papst sendet eine Videobotschaft. Über Erwartungen an das Treffen und die Lage der Christen vor Ort spricht die Sinologin und China-Expertin Katharina Wenzel-Teuber im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie ist Chefredakteurin von „China-Heute“, das vom China-Zentrum der Steyler Missionare in Sankt Augustin bei Bonn herausgegeben wird.
Frage: Frau Wenzel-Teuber, welche Erwartungen haben Sie an das Symposium?
Katharina Wenzel-Teuber: Es setzt ein Zeichen: Mit dieser in der Tat ungewöhnlich hochrangigen Präsenz machen Papst und Kurie deutlich, welch große Bedeutung sie China und seiner Kirche beimessen und dass sie den Dialog vorantreiben wollen. Auch seitens der chinesischen Kirche ist die Teilnahme hochrangig. Generell ist zu begrüßen, dass Vertreter der Kirche in China den Vatikan und den Papst besuchen dürfen. Ein normaler, regulärer Kontakt mit Rom oder Ad-limina-Besuche sind den chinesischen Bischöfen ja nicht erlaubt.
Frage: Aus China werden Professorin Zheng Xiaoyun und Professor Liu Guopeng teilnehmen, ebenso der Bischof von Shanghai, Joseph Shen Bin. Wie maßgeblich sind diese drei?
Wenzel-Teuber: Bischof Shen Bin ist derzeit eine der einflussreichsten Figuren in der Kirche Chinas. Er ist der Vorsitzende der – von Rom bislang nicht anerkannten – offiziellen Chinesischen Bischofskonferenz. Dass er in diese Position gelangen konnte, zeigt, dass er auch das Vertrauen der Kommunistischen Partei Chinas und des Staates besitzt.
Er wurde im April 2023 ohne Billigung des Papstes von einem kleinen Bistum in die wichtige Diözese Shanghai versetzt. Erst drei Monate später ernannte ihn auch Papst Franziskus zum Bischof von Shanghai. Für Bischof Shen bedeutet die Einladung nach Rom eine große Anerkennung. Sie ist inhaltlich passend, weil die erste große Bischofssynode in der Geschichte Chinas, die ja Thema des Symposiums ist, vor 100 Jahren in Shanghai stattfand.
Frage: Und die beiden Professoren?
Wenzel-Teuber: Zheng Xiaoyun und Liu Guopeng kommen vom Institut für Weltreligionen der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften. einer der maßgeblichen staatlichen Think Tanks für Religionsfragen. Zheng ist die Leiterin des Instituts, Guo der Fachmann für Katholizismus. Übrigens ist mit dem Laien und Theologen Tan Lizhu auch ein Vertreter der Chinesischen Katholischen Patriotischen Vereinigung bei dem Symposium. Tan ist der Generalsekretär dieser Vereinigung, die zusammen mit der Bischofskonferenz die staatlich gestützte Leitung der offiziellen chinesischen Kirche bildet.
Frage: Rechnen Sie mit konkreten Schritten zu einer (weiteren) Annäherung zwischen Peking und dem Vatikan?
Wenzel-Teuber: Möglicherweise möchten der Papst, das vatikanische Staatssekretariat und ihre Berater mit dieser Konferenz den sino-vatikanischen Dialog vorantreiben, auch mit Blick auf die anstehende Erneuerung des vorläufigen Abkommens über Bischofsernennungen. China scheint diese Initiative positiv aufzunehmen, sonst wäre eine solch hochrangige Teilnahme von chinesischer Seite sicher nicht möglich gewesen.
Frage: Im Herbst steht die Erneuerung genau dieses Abkommens bevor.
Wenzel-Teuber: Alles in allem scheint eine weitere Verlängerung des vorläufigen Abkommens (und noch keine endgültige Vereinbarung) wahrscheinlich. Kardinal Parolin hat am 23. April einer kanadischen Website bestätigt, dass die vatikanische Seite das Abkommen zu erneuern hoffe und dass man darüber mit den chinesischen Verhandlungspartnern in Dialog stehe. Erzbischof Gallagher, der vatikanische Außenminister, äußerte sich im März in einem Interview ähnlich. Er sprach allerdings auch von dem Wunsch, das Abkommen möge ‘besser funktionieren, mit mehr Ergebnissen; und wir glauben immer noch, dass es verbesserungsfähig ist’.
Frage: Gibt es Signale der chinesischen Seite zur Frage der Verlängerung?
Wenzel-Teuber: Bisher nicht. Dass im Januar im Rahmen des Abkommens drei Bischofsweihen mit päpstlicher und behördlicher Zustimmung stattfanden, kann man als positives Signal sehen. Das Abkommen werde gut umgesetzt und China sei bereit, die Beziehungen zwischen China und dem Vatikan ständig weiter zu verbessern, sagte am 1. Februar der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Zuvor hatte China allerdings einseitig zwei Bischöfe versetzt, darunter wie erwähnt Bischof Shen. Im zweiten Fall degradierten 2022 die Behörden den Untergrundbischof von Yujiang, Peng Weizhao, zum Weihbischof einer von Rom nicht anerkannten Diözese. Peng war von den Behörden unter Druck gesetzt worden. Rom protestierte gegen den Vorgang und hat bis heute nicht zugestimmt. Diese beiden Versetzungen zeigen, dass Chinas Behörden bei der Einsetzung von Bischöfen am längeren Hebel sitzen.
Frage: Wie bewerten Sie die Situation der Christen bzw. der Katholiken in China?
Wenzel-Teuber: Es sind beeindruckend lebendige Gemeinschaften. Im Bistum Shanghai etwa wurden seit Januar 470 Personen getauft. Allerdings wird der Lebensraum der Kirchen durch die parteistaatliche Religionspolitik immer stärker eingeschränkt. Im Bereich der offiziellen Kirchen haben staatliche Kontrolle und ideologischer Druck stark zugenommen. Die Kirchen sollen die politische Agenda von Partei und Staat nicht nur unterstützen, sondern aktiv unter den Gläubigen propagieren.
Sehr starken Druck üben die Behörden auf Klerus und Ordensleute der Gemeinschaften im Untergrund aus, sich zu registrieren. Das ist eine Kehrseite des Abkommens. In einigen ehemals starken Untergrund-Diözesen ist inzwischen die Mehrheit der Priester zur offiziellen Kirche übergetreten. Nicht immer können die Gemeinden dies akzeptieren.
Frage: Eines der Themen des Kongresses ist die koloniale Mentalität, die man mit dem Konzil damals hinter sich lassen wollte. Inwieweit ist das gelungen?
Wenzel-Teuber: Manche Anliegen des Shanghaier Konzils von 1924 kann man als erfüllt betrachten; etwa, was den einheimischen Klerus betrifft. Während es 1924 nur ausländische Missionsbischöfe in China gab – die ersten Chinesen wurden 1926 zu Bischöfen geweiht –, wird die Kirche in China heute von einheimischen Bischöfen geleitet.
Das Konzil forderte von den Missionaren außerdem mehr Respekt für die chinesische Kultur. Es beauftragte die Übersetzung der gesamten Bibel ins moderne Chinesisch und befürwortete den Bau von Kirchen in chinesischem Stil. Dieses Anliegen der Inkulturation – um einen später entstandenen Begriff zu verwenden – gilt für die katholische Kirche in China natürlich auch heute, zumal sich Kultur und Gesellschaft ständig verändern.