Golfschürfer im peruanischen Regenwald
Peru ‐ Ein vom katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstütztes Internat in Puerto Maldonado, Peru setzt auf die Ausbildung indigener Mädchen, damit sie der „Zivilisation der Zerstörung“ durch Goldschürfer etwas entgegensetzen können.
Aktualisiert: 15.11.2022
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Ende Januar wird Papst Franziskus im peruanischen Regenwald direkt mit den Auswirkungen der Umweltzerstörung konfrontiert werden, die er in seiner Enzyklika Laudato si' anprangert. Schon beim Anflug auf die Dschungelstadt Puerto Maldonado wird er die wüste Einöde sehen, die die Goldschürfer hinterlassen. Der Angriff auf die Natur ist auch einer auf die Menschheit. Die dort lebenden Indigenen haben kaum eine Chance, sich gegen die Zerstörung ihres Lebensraums zu wehren.
Ein von Ordensfrauen getragenes und vom katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstütztes Internat in Puerto Maldonado setzt auf die Ausbildung indigener Mädchen, damit sie der „Zivilisation der Zerstörung“ etwas entgegensetzen können.
Am Anfang war das Gold in Madre de Dios, der Amazonasprovinz im Osten Perus. Von wilden Bergbächen seit Millionen von Jahren den Eingeweiden der Anden entrissen, durch schroffe Bergtäler gespült und schließlich im Amazonasbecken abgelagert, wo aus den eisigen Gebirgsbächen breite, träge dahinfließende Flüsse werden. „Manchmal spielten wir als Kinder mit den glitzernden Körnchen im Sand", erinnert sich Guadalupe Tayori. Ihr Leben drehte sich um das Wasser. Rostrot bis lehmbraun in der Regenzeit, dunkelblau bis kristallklar in der Trockenzeit. Immer eine erfrischende Abkühlung. Immer eine Vorratskammer voller Fische. Die alte Dame vom Volk der Arakbut seufzt und schweigt. Die Erinnerung an das Paradies, das Puerto Luz einmal war, macht sie traurig.
Die kleine, sehnige Frau mit dem dichten schwarzen Haar ist 58 Jahre alt und Matriarchin eines Familienclans. Tayori war das einzige Mädchen von sechs Geschwistern. Frauen haben sich zu kümmern, so will es die Tradition. Um die Kinder, um den Mann, um die Eltern und um die chacra, das kleine Grundstück, auf dem die Amazonas-Indigenen vieles von dem anbauen, was sie zum Leben brauchen: Bananen, Ananas, Maniok, Palmfrüchte, Zuckerrohr und Barbasco, dessen giftige Wurzeln die Arakbut zum Fischen verwenden. Für die Schule blieb nicht viel Zeit. Tayori schaffte es bis zur dritten Klasse an der Grundschule von Puerto Luz. Ihren Eltern war es egal. Etwas Wichtiges lerne man in der Schule der Weißen ohnehin nicht, fanden sie. Nach der Tradition jung verheiratet, bekam Tayori sechs Kinder. Ihre Mädchen sollten es einmal besser haben, beschloss sie, „damit das Volk der Arakbut eine Zukunft hat“.
Denn die „Zivilisation der Zerstörung“ rückt immer näher. Das nächste Dorf ist die Goldgräbersiedlung Delta, eine halbe Stunde Motorradfahrt entfernt. Ein trostloses Kaff aus ärmlichen Holzhütten, abgedichtet gegen den Regen mit blauen Plastikplanen. Wer hierher kommt, hat es eilig. Ein paar Jahre ackern unter der gnadenlosen Sonne des Regenwalds, und dann als reicher Mann in die Heimat zurückkehren. Viermal mehr Männer als Frauen leben hier, jedes Jahr befreit die Polizei um die 20 Mädchen aus der Zwangsprostitution, wie Amalia Ravello von der Caritas erzählt. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Polizisten gehören zu den Stammkunden der Bordelle, und kaum einer der Zuhälter wird jemals zur Rechenschaft gezogen. In Delta gibt es kein Trinkwasser, keine Straßen, keinen Handyempfang und Strom nur aus dem Generator – aber improvisierte Supermärkte, Apotheken, Tankstellen und Bars. Wer mag, zahlt mit Gold, das an der Kasse aufgewogen wird.
Von Delta schwirren die Goldsucher rund um die Uhr aus. Wie rastlose Ameisen fällen sie Bäume und wühlen mit Vorderladern und Baggerschiffen den Sandboden um. Für ein Gramm Gold muss mindestens eine Tonne Stein und Geröll abgetragen und über eine Rutsche, belegt mit faserigem Teppich, geleitet werden. Dort bleibt der schwere, dunkle Sand kleben, in dem sich der Goldstaub versteckt. Anschließend wird die Masse mit Quecksilber versetzt und das Gold herausgelöst. Zurück bleibt eine verseuchte Wüste. Die Spur der Zerstörung ist inzwischen 70.000 Hektar groß. Im Fluss Madre de Dios sind die überlebenden Fische ungenießbare Giftbomben. 60 Prozent aller Speisefische und 78 Prozent aller Bewohner der Provinzhauptstadt Puerto Maldonado weisen erhöhte Quecksilberwerte auf, hat das Carnegie-Institut in einer Studie 2013 festgestellt. Am stärksten ist die Belastung bei den Kindern in indigenen Gemeinden der Region Madre de Dios. Quecksilber führt zu Nervenstörungen, Muskelschwund und Missbildungen bei Neugeborenen.
Tayoris Töchter wollten diesem Ambiente entfliehen. Doch die nächste Sekundarschule ist in Puerto Maldonado, und bis dahin sind es sechs Stunden – in Booten, Bussen, Motorrädern und auf der Ladefläche von Pickups, wenn nicht gerade Hochwasser und der Fluss unpassierbar ist. „Das Internat Santa Cruz war die einzige Chance“, erzählt Tayori. Sie meint damit die katholische Bildungseinrichtung der Missionsschwestern der „Hijas de la Purísima Virgen María“ in Puerto Maldonado. Seit 1980 beherbergen die Schwestern jedes Jahr bis zu 20 indigene Mädchen, die an der angeschlossenen katholischen Privatschule die Sekundarstufe abschließen. „Das Internat ist nur für indigene Mädchen, weil sie am meisten benachteiligt werden und niemand ihnen eine Chance gibt“, sagt Schwester Maria Trinidad Mockabee.
Bei den Schwestern werden die Mädchen für eine bescheidene Gebühr von umgerechnet 15 Euro monatlich beherbergt und verköstigt, bekommen Nachhilfe und psychologische Unterstützung. Zwei der drei Töchter Tayoris haben die Schule besucht. Eine ist Lehrerin, die andere studiert Kommunikationswissenschaften. Sie sehen die Situation kritisch. „Von außen kommen viele schlechte Dinge, und wir sind nicht darauf vorbereitet. Die Eindringlinge wollen nur das Gold, aber wir haben den Schaden“, bedauert María. Sie möchte deshalb gerne einmal Anwältin werden – „um mein Volk zu verteidigen, denn uns geschieht viel Unrecht“.
„Amazonien ist für uns alle ein Prüfstein“, appellierte Franziskus erst vor wenigen Monaten in Kolumbien. „Dort können wir sehen, ob unsere materialistisch und pragmatisch ausgerichtete Gesellschaft in der Lage ist, dieses Geschenk zu bewahren, statt es zu zerstören.“
Von Sandra Weiss
© Adveniat