
Hamburger Erzbischof: Flucht ist etwas Globales
Kairo ‐ Die Flucht ist zwar längst vorbei. Doch sudanesische Geflüchtete stehen auch im Nachbarland Ägypten vor vielen Problemen. Besonders betroffen: Kinder, wie Flüchtlingsbischof Heße bei seinem Besuch erlebt.
Aktualisiert: 05.09.2025
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Mit Krieg, Hunger und Vertreibung sind Millionen Menschen im Sudan konfrontiert. Doch über den seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Bürgerkrieg und die gravierenden Folgen wird kaum gesprochen. Jetzt hat Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, geflüchtete Sudanesen im Nachbarland Ägypten getroffen. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach er über die Begegnungen.
Frage: Im Sudan ereignet sich die größte Vertreibungskrise der Welt mit rund 12 Millionen Geflüchteten, davon rund 1,5 Millionen in Ägypten. Warum spricht fast niemand in Europa darüber?
Erzbischof Stefan Heße: Aus der europäischen Perspektive scheint der Sudan weit weg. Auch kommen wenige der Geflüchteten aus dem Sudan bei uns an. Man versucht, sich das vom Leib zu halten. Das geht aber nicht. Wir müssen das Fluchtgeschehen als etwas Globales begreifen, das uns alle betrifft. Aktuell liegt unser Fokus stark auf der Ukraine und auf Gaza. Wir tun aber gut daran, unseren Blick auch auf das Schicksal der sudanesischen Geflüchteten zu richten. Dabei dürfen wir nicht die eine Gruppe gegen die andere ausspielen.
Frage: Mit Ihrer Reise machen Sie auf die Lage der sudanesischen Flüchtlinge aufmerksam. Welche weiteren Maßnahmen zur Unterstützung braucht es?
Heße: Es braucht Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Die katholische Kirche hier ist klein, leistet aber eine sehr intensive Arbeit, etwa in der Gesundheitsversorgung oder der Beschulung der Kinder. Gleichzeitig brauchen wir weitere Wege der Unterstützung, etwa durch Vereinbarungen mit Deutschland und der EU. Ägypten selbst steht vor großen Herausforderungen, etwa der Inflation, und ist auch deshalb auf internationale Hilfe angewiesen. Mit einer solchen Reise kann man die Politik, die stets global denken muss, an solche Herausforderungen erinnern.
Frage: Was bewegt die geflüchteten Menschen besonders?
Heße: Mit der Ankunft in Ägypten ist die Erfahrung der Flucht für viele Menschen nicht vorbei. Wir haben eine junge Frau getroffen, die im Sudan ihr Ökonomie-Studium begonnen hatte. Fortsetzen kann sie das hier nicht, weil sie auf sich gestellt ist und fast jeden Tag aufs Neue schauen muss, wo sie unterkommt. Eine reguläre Wohnung kann sie sich nicht leisten, und ein Lager gibt es nicht.
„Umgerechnet auf die steigende Zahl der Flüchtlinge weltweit steht für den Einzelnen immer weniger Geld zur Verfügung“
Frage: Unter den Geflüchteten sind auch viele Kinder.
Heße: Und Eltern bewegt, wie ihre Kinder ausgebildet werden, damit sie eine Zukunft haben. Die meisten werden in einem Parallelsystem nach sudanesischem Curriculum unterrichtet, damit sie am Ende wenigstens ein Zertifikat zum Studieren erhalten. Den Zugang zum ägyptischen Schulsystem haben sie erst, wenn sie die verschiedenen Stufen der Registrierung bewältigt haben. Übrigens kann dies über zwei Jahre dauern. Und die Registrierungen sind ausschließlich in Kairo möglich. Für viele Geflüchtete bedeutet das: Sie leben in der Gefahr, inhaftiert und abgeschoben zu werden.
Frage: Unicef schätzt, dass die öffentliche Entwicklungshilfe für den Bildungssektor um 3,2 Milliarden US-Dollar sinken wird. Das kann bedeuten: Bis Ende 2026 gehen möglicherweise weitere sechs Millionen Kinder nicht mehr in die Schule. Haben junge Geflüchtete überhaupt Perspektiven?
Heße: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die internationalen Hilfsmittel, vor allem aus den USA, deutlich reduziert wurden. Umgerechnet auf die steigende Zahl der Flüchtlinge weltweit steht für den Einzelnen immer weniger Geld zur Verfügung. Kinder sind besonders betroffen: Eine gute Bildung ist das Startkapital für das spätere Leben. Ohne diese erhöht sich das Armutspotenzial. Man steckt in einem Teufelskreis.
Frage: Wie sieht die ägyptische Gesellschaft die Geflüchteten?
Heße: Sie wurden anfangs willkommen geheißen. Im Laufe der Zeit wurde es aber immer schwieriger. Ägypten ist selbst in keiner einfachen Lage. Deshalb braucht es auch Möglichkeiten und finanzielle Mittel für die eigene Bevölkerung. Sonst entstehen Neiddebatten über die Verteilung von Mitteln. Man ist gut beraten, zu Ägyptens Stabilität beizutragen. Anders als alle seine Nachbarländer ist Ägypten nicht von Krieg betroffen.
Frage: Gut 110 Millionen Menschen leben in Ägypten. Die große Mehrheit der Ägypter sind Muslime; die meisten Christen koptisch-orthodox. Wie erleben Sie die katholische Kirche im Land?
Heße: Es gibt eine überschaubare Zahl an Katholiken. Bemerkenswert ist, wie sehr sich die kleine katholische Kirche hier engagiert. In Assuan haben wir ein Gesundheitszentrum und ein Schulzentrum besucht. Die jungen Menschen, die sich dort einsetzen, waren sehr von ihrer Arbeit überzeugt. Auch arbeitet die Caritas interreligiös und hat muslimische Mitarbeiter. Ich bin beeindruckt, wie selbstverständlich das läuft.

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