Wenn die Wüste gefräßig wird
Bonn/N'Djamena ‐ Es ist eine unvorstellbar riesige Fläche: In jeder Minute verliert die Welt fruchtbares Land in der Größe von vier Fußballfeldern. Darunter leiden vor allem Frauen.
Aktualisiert: 28.06.2024
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Hindou Oumarou Ibrahim spricht gern und mit großer Achtung über ihre Großmutter. Eine Frau, die enormes Wissen über traditionelle Medizin und Meteorologie habe und sich in ihrer entlegenen Region im zentralafrikanischen Tschad auskenne. All das sei nötig, um in dem Sahelstaat zu überleben und zu wissen, wohin die Familie als nächstes mit ihrem Vieh zieht. Die Familienmitglieder gehören zur ethnischen Gruppe der Mbororo; eine Untergruppe der Fulbe, die in ganz West- und Zentralafrika verbreitet ist.
Traditionell sind es Nomaden, von denen einige bis heute mit ihrem Vieh und der ganzen Familie durch die Region ziehen. Hindou Oumarou Ibrahim setzt sich als Präsidentin der Organisation für indigene Frauen und Menschen im Tschad (AFPAT) für ihre Rechte ein. Bei ihrem Besuch beim Global Media Forum der Deutschen Welle (DW) in Bonn spricht sie über den Alltag ihrer Familie.
Ihre Heimatregion ist stets von großen Extremen geprägt gewesen. Während die Temperatur etwa im Mai auf durchschnittlich mehr als 40 Grad steigt, kann es in manchen Jahren und Regionen nur wenige Wochen später zu schweren Überschwemmungen kommen. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist heute wichtiger denn je. Der Klimawandel trifft den Sahel mit voller Wucht. Starkregen wird etwa auch deshalb zu einem immer größeren Problem, weil harte und völlig ausgedörrte Böden kein Wasser mehr aufnehmen können. Überschwemmungen sind vorprogrammiert.
Die Konsequenzen des Klimawandels gehen in Debatten um den Ukraine-Krieg und die Lage in Israel und dem Gazastreifen zumeist unter. Dabei hat gerade die Wüstenbildung enorme Auswirkungen. Weltweit falle ihr jede Minute eine Fläche von vier Fußballfeldern zum Opfer, sagt Ibrahim Thiaw, Leiter des UN-Sekretariates der Konvention zur Bekämpfung von Wüstenbildung (UNCCD) mit Sitz in Bonn.
Längst nicht mehr nur Problem ärmerer Länder
„Doch der Begriff wird falsch verstanden“, sagt Thiaw im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA); „er wird von vielen nur mit armen Ländern in Verbindung gebracht“. Fragen und Entwicklungen rund um Land seien aber von globaler Bedeutung. Bevölkerungszahlen stiegen, die Mittelschicht wachse; das führt zu mehr Konsum. „Aufgrund von Klimawandel und Wüstenbildung verringern sich jedoch die Ressourcen. Es kommt zunehmend zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.“
Im besonderen Maße betroffen sind Frauen. In Regionen der Welt, in denen es nur viele Kilometer entfernte Brunnen gibt, verbringen sie durchschnittlich jeden Tag eine Stunde mit Wasserholen, so Thiaw. Trinkwasser ist es nicht, im Gegenteil. Wenn einstmals landwirtschaftlich genutzte Flächen veröden, verschlechtert sich auch die Qualität des Wassers.
Das führt verstärkt zu Konflikten; zwischen Viehhaltern und Bauern, zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung. Mangelnde Ressourcen bieten auch Nährboden für terroristische Gruppen. Wer etwa rund um den schrumpfenden Tschadsee keine Landwirtschaft mehr betreiben kann, muss andere Einnahmequellen finden. „Sollte es zu einem Dritten Weltkrieg kommen, könnte der Mangel an Wasser die Ursache sein“, sagt Thiaw.
Zuletzt forderte auch der Vatikan bessere Migrationsmöglichkeiten für Menschen, die von Naturkatastrophen oder dem Klimawandel betroffen sind. 2023 mussten 26,4 Millionen Menschen nach Naturkatastrophen flüchten. Im Jahr zuvor waren es laut UN-Angaben sogar knapp 33 Millionen.
Wenn Menschenrechtsaktivistin Hindou Oumarou Ibrahim über die gravierenden Klimaveränderungen in ihrer Heimat Tschad spricht, hört sie oft eins. „Sie sagen mir: Du armes Ding.“ Aber Mitleid will sie nicht. Stattdessen Solidarität und echtes Interesse. Dem Globalen Norden gehe es bislang ums Geld; „er interessiert sich nicht für meine Leute.“ Es sei höchste Zeit, dass sich das ändert.