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Friedensnobelpreisträger Pérez Esquivel sieht Kriegsschuld der NATO
Buenos Aires ‐ Argentinien ist nicht nur 13 Flugstunden von Deutschland entfernt, auch die Ansichten über Russlands Krieg gegen die Ukraine liegen oft weit auseinander, wie ein Interview mit einem Nobelpreisträger zeigt.
Aktualisiert: 23.10.2023
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Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel (91), einer der einflussreichsten Vordenker der lateinamerikanischen Linken, fordert den Westen im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zum Umdenken auf. Waffenlieferungen seien der falsche Weg, sagt der enge Freund von Papst Franziskus. Perez Esquivel wurde während der argentinischen Militärdiktatur in den 1970er Jahren verhaftet und gefoltert. 1980 erhielt er für seinen Einsatz für Gewaltfreiheit den Friedensnobelpreis.
Frage: Herr Perez Esquivel, wie schätzen Sie aus der Distanz die Situation rund um die Ukraine ein?
Perez Esquivel: Das ist nicht ein Krieg der Ukraine gegen Russland. Den Krieg führen die Vereinigten Staaten und die NATO gegen Russland und gegen China. Wie Papst Franziskus sagt, befinden wir uns mit der aktuellen Eskalation der Waffen bereits im dritten Weltkrieg. Und die NATO steht nicht außerhalb des Krieges, die NATO trainiert, schickt Personal, versucht, Russland zu provozieren. Hütet euch davor! Russland ist kein Land, das einfach so unterworfen werden kann. Der Krieg wird geführt, weil die USA rund um Russland herum Militärbasen errichten wollten. Der Westen ist auf dem falschen Weg.
Frage: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein?
Perez Esquivel: Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Dies könnte einen Atomkrieg auslösen, der Planet ist in Gefahr. Die Apokalypse wird von Menschen verursacht werden. Nicht durch eine Naturkatastrophe. Ich bin wirklich in großer Sorge, zumal es ja auch Konflikte um Taiwan und in Korea gibt.
Frage: Aber Russland ist in die Ukraine einmarschiert.
Perez Esquivel: Russland hat lange Zeit versucht zu verhandeln, aber die USA wollten nicht.
Frage: Sie kritisieren auch die Waffenlieferungen aus Deutschland für die Ukraine. Warum?
Perez Esquivel: Weil man die Milliarden sieht, die in die Herstellung von Waffen investiert werden. Nicht aber in den Krieg, der gegen den Hunger und die Armut weltweit geführt werden muss. Es wird dabei nicht bedacht, dass zwei Drittel der Menschheit vom kapitalistischen System ausgeschlossen sind. Sie leben in Armut und Hunger. Das alles wird die Welt verändern.
Frage: Man sollte die Ukraine also sich selbst überlassen?
Perez Esquivel: Sie müssen keine Waffen schicken. Sie müssen Bücher schicken, sie müssen Medikamente schicken, sie müssen humanitäre Hilfe schicken. Die Waffen, die hergestellt werden, sind für den Tod bestimmt, nicht für das Leben. Alle Waffen. Eigentlich müsste die Kirche in Deutschland dagegen aufstehen. Der Einmarsch in die Ukraine ist nicht gerechtfertigt, das stimmt. Aber es wird keine Lösung mit Waffen geben. Dafür müssen wir Wege des Dialogs finden. Und dafür muss sich die Kirche einsetzen. Es müssen Brücken gebaut, Gespräche geführt und Verhandlungen aufgenommen werden. Die Kirchen sollten sich hinter den Papst stellen.
Warum rebellieren die Kirchen in Deutschland, Frankreich und Italien nicht gegen diese ganzen Waffenlieferungen? Warum erheben sie nicht ihre Stimmen für den Frieden? Ich fürchte, das alles ist kein Einzelfall. Denn die Kirche, der Weltkirchenrat, die Muslime, der Islam, sie alle befinden sich in einer sehr starken Krise der Spiritualität.
Die Fragen stellte Tobias Käufer
KNA
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