„Bei grüner Energie können wir von Brasilien lernen“
Rio de Janeiro ‐ Der Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat Brasilien bereist. Die Größe der Probleme, aber auch der Pragmatismus des Landes bei deren Lösung haben die Teilnehmer überrascht.
Aktualisiert: 04.03.2024
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Eine Woche lang haben die Mitglieder des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das größte Land Südamerikas besucht. Die Reise führte die Delegation durch die Amazonasregion, in die Hauptstadt Brasilia und nach Rio de Janeiro. Dort berichtete der Ausschussvorsitzende Christoph Hoffmann (FDP) am Montag im KNA-Interview über die Eindrücke aus dem BRICS-Staat.
Frage: Herr Hoffmann, in Amazonien brennt wieder einmal der Wald. Versagt der 2023 mit viel Vorschusslorbeer angetretene Präsident Lula da Silva in Sachen Amazonasschutz?
Hoffmann: Es gibt einen Anstieg von CO2-Emissionen durch Waldbrände, die aber zum Teil gelegt werden. Präsident Lula hat die Abholzungsraten im Amazonasgebiet nach unten gebracht, aber in anderen Regionen sind sie gestiegen. Die Situation ist komplex. Das organisierte Verbrechen sickert massiv in das Amazonasgebiet ein, und die Polizei ist trotz ihrer Kontrollsysteme nicht schlagkräftig genug.
Und den Kommunen vor Ort und den indigenen Völkern fehlt es an alternativen Einkommensquellen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat ja dazu beigetragen, nachhaltige Produkte zu entwickeln, um Einkommen zu generieren. Aber das wird nicht reichen. Denn die illegale Goldförderung, Drogenhandel oder illegaler Holzschlag sind finanziell sehr verlockend. Uns war vor der Reise nicht bewusst, dass die Bedrohung für diese Region nicht nur von der Agrarindustrie kommt, sondern auch durch die international verflochtene Kriminalität, mit der die Bevölkerung Einkommen generiert.
Frage: Was gibt es denn für Alternativen in dieser Region?
Hoffmann: Eine Alternative ist die Freihandelszone in der Millionenmetropole Manaus, wo sehr viele Arbeitsplätze entstanden sind, auch dank deutscher Unternehmen. Das sind gute Arbeitsplätze mit gutem Einkommen und innerhalb der Legalität. Das muss der Weg sein. Gleichzeitig müssen wir die indigenen Gemeinschaften unterstützen, die den Wald schützen wollen und in ihm und von ihm leben.
Frage: Deutschland finanziert mit Norwegen den Amazon Fund zur nachhaltigen Waldnutzung. Löst Geld Probleme?
Hoffmann: Beim Amazon Fund haben wir einen guten Eindruck gewonnen. Aber generell muss man genau hinschauen. In der Entwicklungszusammenarbeit erlebt man oft, dass zu viel Geld die Korruption anheizt. Und es ist ein weltweites Problem, dass nachhaltige Waldbewirtschaftung nicht so viel Einkommen generiert wie Agrarindustrie. Aber der Verlust großer tropischer Regenwälder wie des Amazonaswaldes hätte gravierende Auswirkungen auf unser Klima.
Frage: Brasilien fordert lautstark die 100 Milliarden Dollar, die die Industrienationen im Pariser Abkommen von 2015 für den Waldschutz versprochen haben. Wo bleiben die?
Hoffmann: Es muss auch eine Aufnahmefähigkeit dafür vorhanden sein. Es nützt nichts, einfach das Geld da hinzukippen. Es muss zu denen gelangen, die den Wald schützen. Klar, wir müssen den Wald subventionieren. Aber es muss zielgerichtet sein. Und angesichts der organisierten Kriminalität müssen wir Geld in den Aufbau von mehr Staatlichkeit investieren. Der Schutz dieser Gebiete muss besser laufen, was eigentlich eine innerstaatliche brasilianische Aufgabe ist. Aber unsere Delegation war erstaunt, wie groß das Amazonasgebiet und wie schwierig dessen Überwachung ist.
Frage: Kann Deutschland beim Thema erneuerbare Energien von Brasilien lernen?
Hoffmann: Brasilien hat eine vorbildliche Energiepolitik. Da können wir uns eine Scheibe abschneiden. Man geht technologieoffen vor: Wo Wind ist, baut man Windanlagen, wo Sonne ist, Solaranlagen. Stets entlang des Bedarfs und der Wirtschaftlichkeit. Ich will einen Austausch mit brasilianischen Experten zum Thema erneuerbare Energien, grünem Wasserstoff und Biomasse etablieren. Von deren Know-how können wir lernen, wie beim grünen Wasserstoff, den wir zukünftig in großen Mengen brauchen.
Zudem produziert Brasilien viel Energie aus Biomasse. Das wäre eine Alternative für unsere Bauern, die über niedrige Einkommen klagen. Wir haben in Deutschland die moralisch unterfütterte Diskussion, dass für den Teller und nicht für den Tank produziert werden soll. Es ist aber sinnvoll, hier von Brasilien zu lernen.
Frage: Sind die Brasilianer pragmatischer?
Hoffmann: Ja, und wir müssen unsere nationalen Interessen klarer definieren. Schauen Sie sich die Geschwindigkeit beim Ausbau der Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland an. So kann es nicht funktionieren.
Frage: Seit über 20 Jahren stocken Verhandlungen des Südamerika-Blocks Mercosur mit der EU über ein Freihandelsabkommen. In Brasilien, das nicht zuletzt zur aufstrebenden Gruppe der BRICS-Staaten zählt, beschwert man sich über den moralischen Zeigefinger der Europäer mit Blick auf ethische Produktionsbedingungen und Umweltschutz. Ist da was dran?
Hoffmann: Europäische Arroganz ist hier schon ein Thema. Die Menschen in Südamerika würden von dem Abkommen profitieren, genau wie bei uns. Doch in Europa streiten wir über Rindfleischimporte aus Argentinien. Das ist unverhältnismäßig. Und Europa verliert global an Bedeutung. Wir können anderen keine großen Vorschriften mehr machen, wie zum Beispiel europäische Lieferkettengesetze. Unsere Werte sind gut, und wir sollten sie auch exportieren. Aber wir brauchen auch wirtschaftlich überzeugende Argumente.