Schweizer Zeitung erhebt Missbrauchsvorwürfe gegen die Piusbruderschaft
Genf ‐ Journalisten in der Schweiz berichten über Versäumnisse der katholischen Piusbruderschaft bei der Aufarbeitung von Missbrauch. Die Recherchen umfassen zahlreiche Fälle in mehreren Ländern.
Aktualisiert: 15.01.2024
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Die Schweizer Tageszeitung „Le Temps“ wirft der katholisch-traditionalistischen Piusbruderschaft gravierende Defizite im Umgang mit Missbrauch vor. Bei monatelangen Recherchen in mehreren Ländern trug das Blatt nach eigenen Angaben etliche Fälle von körperlicher, sexueller und seelischer Gewalt in den Reihen der Bruderschaft zusammen. In einem am Wochenende veröffentlichten Artikel ist von rund 60 „problematischen Priestern“ die Rede.
„Le Temps“ beklagt, dass der Umgang der Oberen mit den Beschuldigten in der Regel nachlässig sei. Verhängte Sanktionen seien kaum umsetzbar. Anzeigen bei der Justiz kämen spät oder gar nicht vor. Als Grundlage der Auswertung dienten Unterlagen zu abgeschlossenen Gerichtsverfahren, interne Dokumente und mehrere Zeugenaussagen. Die Vorwürfe betreffen nahezu den gesamten Zeitraum seit Gründung der Bruderschaft 1970.
In einem Fall führten die Recherchen zu konkreten Schritten. Im Schweizer Kanton Wallis kündigten die zuständigen Behörden eine Untersuchung an der von den Piusbrüdern geleiteten Grundschule in Econe an. Ein ehemaliger Schüler gab gegenüber „Le Temps“ zu Protokoll, dort in den 1980er Jahren gewaltsame Übergriffe erlitten zu haben. Der heute 41-Jährige sagte, er sei vor Mitschülern mit heruntergelassener Hose mit Stöcken geschlagen worden, noch bevor er acht Jahre alt gewesen sei.
Bruderschaft widerspricht Vertuschungsvorwurf
Die Piusbruderschaft betonte auf Anfrage des Blattes, dass sie jeder Meldung in Sachen Missbrauch nachgehe. Vertuschung gebe es nicht. „Ganz im Gegenteil, wir ermutigen alle Personen nachdrücklich, die Justizbehörden und uns über Fälle zu informieren, von denen sie Kenntnis haben.“ Die Gemeinschaft kooperiere mit den staatlichen Behörden.
Die Priesterbruderschaft Sankt Pius X. wurde 1970 vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) gegründet. Sie lehnt Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ab. Streitpunkte sind vor allem Liturgie, Religionsfreiheit und Ökumene. Die Konzilslehren hätten die Tradition der Kirche zerstört, so Lefebvre, der selbst am Konzil teilnahm. Die Piusbruderschaft sieht sich als Bewahrerin der Tradition der „Heiligen Römischen Kirche“.
Anfangs kirchlich anerkannt, entzog Rom der Gruppe 1975 die kirchenrechtliche Zulassung. Nach unerlaubten Priesterweihen wurde Lefebvre 1976 die Ausübung seines Bischofsamts verboten. Indem er 1988 ohne päpstliche Zustimmung vier Priester seiner Bruderschaft zu Bischöfen weihte, zogen sich alle fünf die Exkommunikation, also den Ausschluss aus der katholischen Kirche, zu. Papst Benedikt XVI. (2005-2013) hob diese Exkommunikation zwar 2009 auf; zu einer theologischen Einigung kam es aber nicht.
Nach eigenen Angaben unterhält die Bruderschaft heute Niederlassungen in mehr als 60 Ländern. Die aktuell rund 700 Priester sind auf verschiedenen Gebieten tätig – unter anderem in der Missionsarbeit, aber auch in Schulen und Seminaren. Der internationale Sitz der Gemeinschaft befindet sich in Menzingen im Schweizer Kanton Zug.
Sexualisierte Gewalt und Prävention
Informationen und Kontaktmöglichkeiten für Betroffene von sexueller Gewalt finden Sie hier bei der Deutschen Bischofskonferenz.
KNA